Erziehungscamp


 

 

RTL zahlte und filmte: Letzter Ausweg Erziehungscamp

 

Münster. Andreas ist 15 Jahre alt – aber weit davon entfernt, ein normaler Jugendlicher zu sein. Er trinkt, kifft, schwänzt die Schule, hat eine Reihe von Einbrüchen begangen, hat bereits eine Tochter.

„Wir waren nur noch verzweifelt“, erinnert sich sein Vater Jürgen Eckert. „Mit dem Jugendamt hatten wir alle Möglichkeiten ausgeschöpft – doch Andreas lehnte jede Hilfe kategorisch ab.“

 

„Fix und fertig“ seien er und seine Ex-Frau gewesen, als sie 2007 auf die TV-Serie „Teenager außer Kontrolle“ aufmerksam wurden: Acht verhaltensauffällige Jugendliche nehmen in den USA auf Wunsch ihrer Eltern an einer erlebnisorientierten Therapie teil. Der Sender RTL übernimmt die Kosten – und darf dafür das Geschehen filmen.

„Eine Katastrophe“, sagt Jugendamtsleiterin Anna Pohl. „Der letzte Strohhalm, an den wir uns geklammert haben“, entgegnet Jürgen Eckert.

Mit seinem Sohn und dessen Mutter fährt er 2007 nach München, um sich die Produktionsgesellschaft und die Therapeuten, die sich um die Jugendlichen kümmern sollen, anzuschauen. Die Eltern sind begeistert, der Sohn ist interessiert. „Als wir davon hörten, welche Erfolge mit den Teilnehmern der ersten Staffel erreicht wurden, war klar, dass unser Junge teilnimmt“, sagt Eckert.

Neben Dealern, Schlägern und Ausreißern ist Andreas derzeit auf RTL zu sehen. Der Erfolg ist groß – drei Millionen Zuschauer. „Eine Sendung, für die ich kein Verständnis habe“, sagt Jugendamtsleiterin Pohl. „Da geht es nicht um pädagogische Konzepte, sondern um die Quote.“ Ihre Befürchtung: „Eine Mediengeschichte zulasten der Jugendlichen.“

Jürgen Eckert kann solche Einwände nachvollziehen – verweist indes auf die Entwicklung, die Andreas in den Monaten nach Aufzeichnung der Serie durchgemacht hat.

„Er ist über den Berg“, versichert der 46-Jährige, „wir haben unseren Sohn wieder.“

An die Dreharbeiten hängte Andreas einen dreimonatigen Aufenthalt auf einer weiteren Ranch an – „auf unsere Kosten“. Mittlerweile ist er aus den USA zurück, besucht eine Schule im Ausland, wird bald für einen Monat zu seinen Eltern nach Münster kommen, um danach für zwei Jahre in die USA zu gehen. „Gerade haben wir die Zusage von der High School bekommen“, berichtet der Vater.

Mittlerweile ist Andreas 16, „er trinkt nicht mehr, nimmt keine Drogen, geht regelmäßig zur Schule – und hat wieder Ziele“. Eine Entwicklung, die die Eltern vor einem Jahr kaum noch für möglich gehalten hatten. „Der Aufenthalt auf der Ranch hat ihn gefestigt. Er hat wieder Spaß am Leben. Was früher war, ist vorbei“, sagt der Vater.

Dass nun Millionen Menschen diese Entwicklung verfolgen können, findet er fair – „schließlich hat der Sender seine Teilnahme bezahlt“. Andererseits räumt er ein, „dass wir uns natürlich gefragt haben, was gewesen wäre, wenn die Sache anders ausgegangen wäre.“

Auf diese Frage müssen sie sich nun keine Antwort geben – zum Glück.

 

VON MARTIN KALITSCHKE, MÜNSTER

 

http://www.westfaelische-nachrichten.de/lokales/muenster/nachrichten/RTL_zahlte_und_filmte_Letzter_Ausweg_Erziehungscamp.html

 

 

 

Kommentar Väternotruf:

"Acht verhaltensauffällige Jugendliche nehmen in den USA auf Wunsch ihrer Eltern an einer erlebnisorientierten Therapie teil. Der Sender RTL übernimmt die Kosten – und darf dafür das Geschehen filmen.

„Eine Katastrophe“, sagt Jugendamtsleiterin Anna Pohl."

 

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Frau Pohl sollte sich mal lieber um die Katastrophen kümmern, die alljährlich in deutschen Jugendämter über die Bühne gehen, die von inkompetenten und verhaltensauffälligen Jugendamtsmitarbeiter zu verantworten sind. Vielleicht sollte man mal von RTL finanziert ein Drittel aller deutschen Jugendamtsmitarbeiter in ein Erziehungscamp in den Serengeti-Nationalpark nach Afrika schicken. Wer dort stur an seiner Inkompetenz festhält, wird verdientermaßen vom Löwen gefressen.

 

 

 


 

 

17. Januar 2008, 09:55 Uhr

UMSTRITTENE ERZIEHUNGSMASSNAHME

Hessen schickt kriminellen Jugendlichen nach Sibirien

Die Toilette im Garten musste er sich selber bauen, das Holz zum Heizen selber hacken, auf fließendes Wasser muss er ganz verzichten: Das Jugendamt des Landkreises Gießen hat einen gewalttätigen Jugendlichen in ein Erziehungscamp nach Sibirien geschickt - für neun Monate.

Hamburg - Der immer wieder als besonders gewalttätig aufgefallene 16-Jährige soll ein Dreivierteljahr unter extremen Bedingungen leben. Laut einem Bericht des Hessischen Rundfunks handelt es sich um eine 1:1-Maßnahme: Der Schüler steht während der Zeit im Erziehungscamp unter der ständigen Aufsicht eines Betreuers.

Der Jugend- und Sozialdezernent des Landkreises Gießen, Stefan Becker, sagte der "Süddeutschen Zeitung", die Verhältnisse vor Ort entsprächen "etwa dem Stand wie bei uns vor 30 oder 40 Jahren". Ziel der Maßnahme sei, dem jungen Kriminellen einer "möglichst reiz- und konsumarmen Umgebung auszusetzen".

Zuvor hätten mehrere Psychologen den Schritt als geeignet für den Jungen eingeschätzt. Der Jugendliche soll für insgesamt neun Monate in Sibirien bleiben. Die Hälfte der Zeit sei vorbei, sagte Becker. "Das ist keine Art der Sanktionierung, sondern eine erlebnispädagogische Maßnahme", so der Dezernent in der "Süddeutschen Zeitung". Es handle sich aber um einen Einzelfall.

"Der einzige Weg"

Laut "Bild"-Zeitung lebt der Schüler, der in einem Heim und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mehrfach seine Betreuer angegriffen hat, in dem sibirischen 5000-Einwohner-Dorf Sedelnikowo hinter dem Ural. Die Unterbringung in dem Heim koste rund 150 Euro täglich und damit nur ein Drittel dessen, was eine Unterbringung in einem geschlossenen Heim in Deutschland koste.

Laut Becker war die Unterbringung in Sibirien für den Schüler "die Ultima Ratio, der einzige Weg". Die "Gießener Zeitung" zitiert den Jugendamtsleiter Peter Heidt mit den Worten: "Er war nirgends zu halten".

Die Unterbringung von Jugendlichen in Erziehungscamps außerhalb Europas ist nicht unumstritten. 2004 tötete ein 14-Jähriger bei einem Aufenthalt in Griechenland seinen Betreuer. Vor zwei Jahren verschwand ein 17-Jähriger bei einer solchen Maßnahme für mehrere Wochen in Kirgisien.

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch, CDU, hat in den vergangenen Wochen wiederholt härtere Strafen für kriminelle Jugendliche gefordert. Unter anderem plant Koch längere Haftstrafen, Erziehungscamps und eine strafrechtliche Verfolgung schon unter 14-Jähriger.

han

www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,529138,00.html

 

 

 


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