Eva Schumann


 

 

 

"Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern.

Anmerkung zu der Entscheidung des BGH vom 4.4.2001"

in: "Familie und Recht", 2/2002, s. 59-67

 

Dr. Eva Schumann, Universität Leipzig, Juristenfakultät, Burgstr. 27, 04109 Leipzig

 

 

"...

Darüber hinaus verstößt das Fehlen einer Regelung, die eine allein am Kindeswohl orientierte Übertragung der Sorge auf beide Eltern oder den Vater vorsieht, gegen Art. 6 V GG, weil dies eine sachlich nicht begründbare Benachteiligung im Verhältnis zu ehelichen Kindern und solchen nichtehelichen Kindern, deren Eltern Sorgeerklärungen abgegeben haben, darstellt.(61) Da das aus der Verfassung abgeleitete Kindeswohlprinzip für alle Kinder gleichermaßen gilt, ist unabhängig vom Status des Kindes in jedem Einzelfall den Kindesinteressen der Vorrang vor allen anderen beteiligten Interessen einzuräumen.(62)

Hingegen steht die vom BGH beschworene, mit der Geburt naturgegebene Hauptverantwortung der Mutter für das Wohl des Kindes im Widerspruch zu der in der Verfassung enthaltenen naturgegebenen Verantwortung beider Eltern. Der Gesetzgeber (63)und ihm folgend der BGH (64) verstoßen mit der Hervorhebung der Rechte und Interessen der Mutter aber nicht nur gegen das Elternrecht des Vaters, sondern vor allem gegen das Kindeswohl.(65) Daß Eltern, im Ringen um Machtpositionen am Kind, häufig nicht dessen Wohl, sondern in erster Linie ihre Interessen im Blick haben, ist so selbstverständlich, wie es unverständlich ist, daß sich der Gesetzgeber mit der Kindschaftsrechtsreform und nun auch der BGH diese Sichtweise zu eigen gemacht haben. Das Kindschaftsrecht hat das Kindeswohl in seinen Mittelpunkt zu stellen und darf sich ebensowenig von Interessen der Mütter leiten lassen, wie es das in anderen Zeiten von solchen der Väter durfte.

Eine verfassungskonforme Lösung müßte jedem von der elterlichen Sorge ausgeschlossenen Elternteil in den achtzehn Jahren zwischen Geburt des Kindes und dessen Volljährigkeit auf Antrag ein Verfahren eröffnen, in dem eine am Kindeswohl orientierte Überprüfung der gesetzlich oder durch richterliche Entscheidung zugewiesenen Sorge vorgenommen wird. Dabei könnten durchaus - wie schon bislang im Verhältnis von § 1671 BGB zu § 1696 I BGB - unterschiedliche Eingriffsschwellen (allerdings deutlich unterhalb der Schwelle des § 1666 I BGB) für die verschiedenen Konstellationen vorgesehen werden. Insbesondere sollte auch berücksichtigt werden, daß die Übertragung der Alleinsorge auf den antragstellenden Elternteil in stärkerem Maße in das Elternrecht des sorgeberechtigten Elternteils eingreift als die Beteiligung an der Sorge.

Für die nähere Zukunft bleibt den von der Sorge ausgeschlossenen Vätern nichtehelicher Kinder noch die Anrufung des BVerfGs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Spätestens der Gang nach Straßburg dürfte durchaus Erfolg versprechen.(66)

Dr. Eva Schumann, Universität Leipzig,

Juristenfakultät, Burgstr. 27, 04109 Leipzig

 

 

61 Außerdem sind die in Art. 14 GG geschützten Vermögensinteressen des Vaters berührt, der selbst dann der Mutter nach § 16151 II 2 BGB Betreuungsunterhalt leisten muß, wenn die Betreuung durch die Mutter dem Kindeswohl abträglich ist und er selbst zur Betreuung des Kindes geeigneter wäre. Dazu Schumann, FamRZ 2000, 389, 395f

62 Nach BVerfGE 61, 358, 378 muß "bei einem etwaigen Widerstreit zwischen den Interessen der Eltern und dem Wohle ihres Kindes . . . dem Kind der Vorrang zukommen".

63 Etwa BT-Dr. 13/4899, 59f. Dort wird von einer kindeswohlorientierten Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater mit der Begründung abgesehen, daß anderenfalls "die Alleinsorge der Mutter eines nichtehelichen Kindes bis zu dessen Volljährigkeit unter dem jederzeitigen Vorbehalt stünde, ohne Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung auf den Vater überzugehen". Bei einer Beeinträchtigung der Erziehungsfähigkeit der Mutter die sich auf das Kindeswohl auswirkt, wird ein Sorgerechtswechsel abgelehnt, weil dadurch "Probleme der Mutter ... eine neue, für die Mutter gefährliche Dimension erhalten (würden)". Kritisch zur Stärkung der Rechtsstellung der Mutter zu Lasten des Kindes durch die Kindschaftsrechtsreform auch schon Gaul, FamRZ 1997, 1441, 1450, 1466; sowie Kohler, ZfJ 1999, 128, 129ff

64 Es sei - so der BGH (FuR 2001, 357, 360) - verfassungsgemäß, daß der Gesetzgeber von der "Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung, durch die das Elternrecht des Vaters mit den ggfs. entgegenstehenden Interessen der Mutter unter vorrangiger Beachtung des Kindeswohls abzuwägen gewesen wäre," abgesehen und stattdessen die Entscheidung allein der Mutter überlassen habe. Es sei auch mit der Verfassung vereinbar, daß "die gewählte gesetzliche Regelung ... die rechtliche Stellung der Mutter" stärke. Schließlich sei es nicht verfassungswidrig, daß der Gesetzgeber "eine hohe Schwelle gegen eine Durchbrechung der Alleinsorge der Mutter in Konfliktfällen" vorgesehen habe, weil jede andere Regelung nicht nur dem Kindeswohl zuwiderlaufend sei, sondern auch "für das Verhältnis zwischen Mutter und Kind nachteilig angesehen" werden müsse (361).

65 Dabei drängen sich Parallelen zum Mutterbild Hitlers förmlich auf. So sah schon der Entwurf zum Zweiten Familienrechts-Änderungsgesetz von 1940 in Anknüpfung an Gesetzesentwürfe aus den Jahren 1922, 1925 und 1929 die Einräumung der elterlichen Gewalt an den Vater eines natürlichen (nichtehelichen) Kindes auch gegen den Willen der Mutter vor. Der Gesetzentwurf wurde jedoch nicht verabschiedet, weil Hitler ihn ablehnte. Nach seiner Auffassung sollte der Vater nur mit Einverständnis der Mutter die elterliche Gewalt erhalten. Dabei "betonte der Führer mit aller Entschiedenheit, daß nicht die Sorge für das Wohl des Kindes in erster Reihe ausschlaggebend sei, sondern das ethische Recht der Mutter auf das Kind" (Schreiben Lammers vom 2.8.1940 zit. nach Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, 1993, 703, 704). Insgesamt beurteilte Hitler den Entwurf als ein Gesetz "zur Entrechtung der unehelichen Mutter" (Vermerk Lammers über eine Besprechung mit Hitler am 21.9.1940, ebenda, 713). Dazu Schumann, Die nichteheliche Familie, 107-123, insbesondere 122f

66 Nach der Rechtsprechung des EGMR (FamRZ 2000, 1077) "verbietet Art. 14 EMRK eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der Geburt, wenn sie nicht durch objektive und vernünftige Gründe gerechtfertigt ist" - Erst jüngst hat der EGMR der Bundesrepublik Deutschland die Zahlung einer Entschädigung von insgesamt 143.000 DM an drei Väter auferlegt, denen deutsche Gerichte zu Unrecht den Umgang mit ihren nichtehelichen Kindern verweigert hatten (FAZ vom 12.10.2001, S. 4)."

 

 

 

 


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