Jugendhilfe in der ehemaligen DDR


 

 

Margot Honecker im Gespräch mit Jugendfunktionärinnen

 

 

 „Das Ziel der Umerziehung besteht darin, die . . . Besonderheiten in der Persönlichkeitsentwicklung zu überwinden, die Eigenheiten im Denken und Verhalten der Kinder und Jugendlichen zu beseitigen und damit die Voraussetzungen für eine normale Persönlichkeitsentwicklung zu schaffen.“

 

Eberhard Mannschatz, DDR-Pädagoge, mitverantwortlich für die Jugendwerkhöfe, heute aktiv in der Bildungspolitik der PDS, zur Aufgabe der Jugendwerkhöfe.

 

 


 

 

 

Schwarze Pädagogik

Auch wenn die DDR-Pädagogik nicht nur schwarz war, sondern in der Praxis durchaus differenziert von liberal bis autoritär repressiv, so bleibt festzuhalten, dass in nicht wenigen Fällen die Rechte von Kindern, Jugendlichen und Eltern massiv missachtet und mit Füßen getreten wurden. Die schwarze Pädagogik ist allerdings keine Erfindung der DDR, sondern schon viel älter und auch im Westen weit verbreitet.

Die schwarze Pädagogik reicht mindestens zurück bis zu Daniel Gottlieb Moritz Schreber, geboren 15.10.1808, gestorben 10.11.1861, in Leipzig, über den noch in "Meyers Grosses Taschenlexikon", (West)Ausgabe 1981 nur Gutes zu lesen ist. 

"Leitete ab 1844 in Leipzig eine orthopädische Heilanstalt; schuf Spielplätze, die mit Kinderbeeten und Gärten für Erwachsene verbunden waren, aus denen später die sogenannten Schrebergärten entstanden. Schreber setzte sich vor allem für eine Regform der körperlichen Erziehung und die Einführung der Jugendgymnastik ein."

Und dass die Missachtung elementarer Rechte von Kindern und Vätern in der Bundesrepublik durch den Staat bis heute Tradition hat, brauchen wir den Besuchern von vaeternotruf.de hier sicher nicht noch einmal ausführen.

 

 

 


 

 

Rat des Stadtbezirks Berlin-Mitte

Referat Jugendhilfe

102 Berlin, Alexanderplatz 1

 

 

Frau Kybart - Jugendfürsorgerin (ab , ..., 1979)

 

 

 

 


 

 

 

«Einen Freispruch hat es nicht gegeben»

Ehemals wegen Missbrauchs angeklagter Erzieher darf weiter im Kinderheim arbeiten

Meerane (ddp- lsc ). Einen Freispruch hat es nicht gegeben, im Gegenteil: Vor zweieinhalb Jahren stellte das Landgericht Leipzig das Verfahren wegen Kindesmisshandlung im ehemaligen DDR-Spezialkinderheim «Erich Hartung» in Meerane ein. Den Angeklagten wurde per Beschluss die Zahlung einer Geldstrafe auferlegt; Peter M. (Name von der Redaktion geändert) musste insgesamt 5000 Euro an zwei damalige Nebenkläger und den Weißen Ring zahlen. Ein Freispruch, dies bestätigt die zuständige Staatsanwaltschaft Chemnitz, sieht anders aus. Ein Urteil aber auch: Wegen der Einstellung des Verfahrens nach Paragraph 153a der Strafprozessordnung gelten die drei damals Angeklagten als nicht vorbestraft. Peter M. arbeitet auch heute noch als Erzieher, das Jugendamt sprach ihm sogar ein Pflegekind zu. 

Die Verteidiger erklärten damals nach der überraschenden Einstellung des Verfahrens am 14. Juni 2004, die Entscheidung des Gerichts sei nicht als Schuldeingeständnis zu werten. Eine Sichtweise, die die Staatsanwaltschaft nicht teilt. Die Einstellung des Verfahrens sei kein Freispruch gewesen. Wer von seiner Unschuld überzeugt ist, würde eine solche Geldbuße niemals bezahlen, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Doch die Geldbuße wurde bezahlt, wenn auch leicht verspätet, so doch in voller Höhe.

Im Juni 2004 war einer der spektakulärsten Fälle von angeblicher Kindesmisshandlung in einem ehemaligen DDR-Heim vor dem Landgericht Leipzig verhandelt worden. Den vier Angeklagten wurde vorgeworfen, zwischen 1986 und 1990 mehrere Kinder eingesperrt, gedemütigt und in einem Fall auch sexuell missbraucht zu haben. Solche Spezialheime, einst auf Weisung von DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker geschaffen, sollten vermeintlich schwererziehbare Abweichler auf Linie bringen und für eine sozialistische Umerziehung sorgen. Das Verfahren endete überraschend noch am selben Tag mit der Einstellung und der Verhängung von Bußgeldern.

Rechtlich betrachtet muss Peter M. also nicht entlassen werden; er arbeitet heute weiter in dem Kinderheim, das unter neuer Führung und mit gänzlich anderen Konzepten als zu DDR-Zeiten in Meerane weiter Kinder betreut. Er ist Betreuer einer kleinen Wohngruppe mit Jungen und Mädchen, die meisten von ihnen zwischen 14 und 15 Jahren. Er hätte aber zum Schutz der ihm anvertrauten Kinder entlassen werden können; das Bundesarbeitsgericht hatte bereits 1998 die Hürden schon beim Verdacht auf Kindesmissbrauch in solchen Fällen sehr niedrig gehängt. Doch alle Zuständigen berufen sich auf die Entscheidung des Leipziger Landgerichts.

Man habe den damaligen Gerichtsbeschluss an das zuständige Landesjugendamt in Chemnitz zur Prüfung weitergeleitet, sagt Andreas Rothe, pädagogischer Leiter des Erziehungsfördervereins Meerane, der das heutige Kinderheim unter dem Dach der Diakonie betreibt. «Das Landesjugendamt hat das sehr sorgfältig geprüft und uns mitgeteilt, dass dem nichts entgegensteht, Herrn M. weiter zu beschäftigen.» Das Landesjugendamt schrieb im Oktober 2004 dazu: Herr M. könne auch weiter «uneingeschränkt» in dem Kinderheim eingesetzt werden.

Der Verein argumentiert indessen auf einer ganz anderen Ebene. Eine Entlassung M.´s hätte möglicherweise Arbeitsrechtsklagen nach sich gezogen. Das Budget des Vereins sei aber so knapp kalkuliert, dass unterm Strich kein Geld für große Rücklagen bleibe. «Irgendwelche horrenden Abfindungen sind kalkulatorisch überhaupt nicht machbar», sagt der 2. Vorsitzende des Vereins, Wolfram Schlecht. Aus arbeitsrechtlicher Sicht hätte der Verein «das wirtschaftlich nicht überlebt», sagt der ehemalige Vorsitzende und Geschäftsführer Ingolf Wachs. Und Rückendeckung habe es ja vom Landesjugendamt gegeben, das nur bei einer Verurteilung die Entlassung angeordnet hätte.

Peter M. vertritt heute die Ansicht, dass mit der damaligen Einstellung des Prozesses und der Geldzahlung «keinerlei Strafanerkennung erfolgt» sei. Und ob es bei einer weitergehenden Verhandlung damals ein klares Ergebnis gegeben hätte, «steht sicher auch in den Sternen», sagt M. Vieles sei im Vorfeld des Prozesses sehr unfair gelaufen, einige der damaligen Anschuldigungen seien «reine Hirngespinste» gewesen.

Mario S., Nebenkläger bei dem Prozess und Opfer des DDR-Heims in Meerane, bleibt indessen auch heute noch dabei: «Peter M. hat mich sexuell missbraucht!» Das Leipziger Urteil sei ihm noch immer unbegreiflich, 48 Zeugen hätten damals gehört werden sollen, nicht einer war zu Wort gekommen.

Den «sexuellen Missbrauch» weist das Landratsamt Chemnitzer Land als Aufsichtsbehörde für das Jugendamt Glauchau zurück. Die Behörde vermittelte ein Pflegekind in M.´s Familie, allerdings schon bevor die Anschuldigungen vor Gericht kamen. M. sei angeklagt gewesen wegen Verdachts der Misshandlung Schutzbefohlener. «Der Vorwurf lautete nicht auf sexuellen Missbrauch», erklärt das Landratsamt. Zudem habe die Mutter des vierjährigen Mädchens darauf bestanden, wegen des guten Betreuungsverhältnisses ihr Kind in der Familie zu belassen. Vielleicht auch, weil man ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte: M. war sehr wohl wegen sexuellen Missbrauchs in einem Fall angeklagt, erklärt die Staatsanwaltschaft. Dieser Anklagepunkt sei von der Zahlung der Geldstrafe nicht ausgenommen worden.

(ddp)

24.11.2006

 

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Alexander Markus Homes geht in seinem Buch "Heimerziehung: Lebenshilfe oder Beugehaft? Gewalt und Lust im Namen Gottes", das bei Books on Demand GmbH, Norderstedt (ISBN 3-8334-4780-X), erschienen ist, sehr ausführlich auf den skandalösen Fall ein. Die Tatsache, dass der Erzieher auch weiterhin im Kinderheim beschäftigt ist, hat Homes in seinem Buch ausdrücklich erwähnt; der obige ddp-Text basiert inhaltlich auf sein Buch.

 

 


 

 

 

 

DDR-VERGANGENHEIT / Vom Jugendwerkhof Torgau ist nicht viel übrig geblieben. Nur die Erinnerung der Opfer

Der Schock wirkt weiter

Schule schwänzen oder die falsche Musik hören – das reichte für die Einweisung in die Erziehungsanstalt. Nun trafen sich zum ersten Mal die Ehemaligen.

 

DRILL: Auf der Tafel standen einst die Namen der Bestraften und Belobigten. Foto: Helmuth Frauendorfer

 

Autor: HELMUTH FRAUENDORFER

Seine Stimme zittert. Er ist aufgeregt. Er steht so nahe zur Tür, als wollte er sicher sein, dass er nur einen Schritt über das Laminat machen muss, um draußen zu sein, um diesen Raum mit den weißen Tapeten und der holzgetäfelten dunklen Decke verlassen zu können. Dabei hat er keinen Grund mehr zu flüchten.

Ein Foto von ihm hängt zwei Räume weiter, siebzehn war Stefan Lauter damals. Er könnte sich seiner selbst sicher sein und seiner Biografie. Aber ganz sicher ist hier keiner. Und das merkt man auch Stefan Lauters Stimme an, als er sagt: „Am liebsten wäre ich 1985 geboren, nicht 1967.“

Dann wäre ihm vieles erspart geblieben, wie den anderen mehr als dreißig „Ehemaligen“ auch, die in diesem Raum sitzen an diesem schönen Herbsttag, diesmal aber freiwillig. Denn hier, im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, wurde ihre Jugend gebogen und gebrochen von Erziehern der Deutschen ach so Demokratischen Republik. Es ist das erste Treffen der ehemaligen Insassen.

„Auf Biegen und Brechen“ – so heißt auch die Dauerausstellung in der Erinnerungs- und Begegnungsstätte Torgau, in der Fotos von Stefan Lauter und anderen hängen, zusammen mit den wenigen Bildern, die es noch von der Umerziehungsanstalt gibt.

Die Ausstellung wurde erst Ende Mai dieses Jahres eröffnet. Etwa 1200 Besucher fanden bislang den Weg dahin. Neben Tagesbesuchern waren das Schüler, Gruppen aus der Erwachsenenbildung und internationale Gruppen, wie unlängst Touristen aus der Ukraine, für die der Bezug zum Pädagogen Makarenko besonders spannend war.

Insgesamt ist nicht viel übrig geblieben. Eine Gittertür, zwei Pritschen, zwei Kübel, ein Stück Stacheldraht. Das Verwaltungsgebäude steht noch da, ist heute Gedenkstätte. Die anderen Trakte, die Zellen, der „Fuchsbau“, die Schleuse, die Sturmbahn, alles umgebaut, eine feine Wohnsiedlung ist daraus geworden.

Die Mauer hinter der Mauer

Die Lobby der Ehemaligen aus dem Geschlossenen Jugendwerkhof war nicht stark genug, sodass die Treuhand-Liegenschaftsverwaltung die seit 1990 leer stehende Immobilie 1996 an einen privaten Investor verkaufte. Mico-Harriet Fabri hat vier Monate in der Hölle von Torgau verbracht: „Der Gedanke, dass dort Menschen ruhig schlafen, wo wir früher beim ersten Gitter- und Schlüsselklappern aufsprangen, unsere Betten einrissen, in die Schuhe sprangen und uns für einen Tag voller Torturen aufstellten, der lässt mich frösteln.“

Der Geschlossene Jugendwerkhof war die verschärfteste Form der militaristischen Maßregelung und Umerziehung von Kindern und Jugendlichen, um sie kollektiv dem sozialistischen Menschenbild gleich machen zu können. Man brauchte als Jugendlicher bloß ein bisschen anders zu sein – nur wenige Male die Schule schwänzen, die falsche Kleidung tragen, eine eigene Meinung haben, sich den Pionier- und FDJ-Zwängen nicht unterordnen –, schon landete man im Jugendwerkhof.

Vor allem, wenn man keinen Rückhalt in der Familie hatte. Da entschieden Jugendämter, Lehrer und Erzieher willkürlich darüber, ob sich jemand außerhalb oder innerhalb von Stacheldraht und Mauern bewegte. Und das innerhalb der sowieso von Mauer und Stacheldraht umgebenen DDR. Die Mauern hinter der Mauer.

Mico-Harriet Fabri stammt aus einer solchen Familie, die ihr keinen Rückhalt bot und sie dem Messer der DDR-Erziehung auslieferte. Als Kind lebt sie bei der Mutter und erlebt vier Scheidungen, Prügel, Instrumentalisierung, Misshandlung. Mal steckt ihre Mutter sie geknebelt in einen Schuhschrank, mal bewahrt sie sie als Paket verschnürt im Keller auf, ein anderes Mal hält sie das Kind an den Füßen aus dem fünften Stock und ruft ihm zu: „Wenn du nicht machst, was ich sage, lasse ich los.“

Die DDR-Pädagogen vermerken später lapidar in ihrer Akte: „Gestörtes Mutter-Kind-Verhältnis führte zu Erziehungsproblemen.“ Im Kinderheim Calbe ist Mico-Harriet Fabri Klassenbeste, wird zwei Klassen hochgestuft und soll Gruppenratsvorsitzende werden – aber dazu müsste sie Jungpionier werden. Sie will nicht. Die Statuten gefallen ihr, auch später jene der FDJ.

Aber sie hat Fragen dazu. Warum es im alltäglichen Leben anders ist als in den Statuten beschrieben? Ihre Fragen sind unerwünscht. Später, als das Lehrfach Staatsbürgerkunde dazukommt, merkt sie, dass da gelogen wird, und verweigert die erwünschten Antworten; da ist sie nicht mehr Klassenbeste.

Über ihr Leben entscheiden andere. Weil ihre Mutter nicht in der Partei ist und sie wegen ihrer Fragen als „renitent“ gilt, wird sie 1987 in den Jugendwerkhof Bernburg eingewiesen. Keine Chance für eine Ausbildung. Stattdessen: Drill, Arbeit, keinerlei Freiheit. Gruppenzwänge, pädagogisch gewollt. Wenn jemand schlechte Arbeitsergebnisse hat, der Boden nicht richtig gewischt ist oder Mico-Harriet Fabri nichts zu den in den Nachrichten gepriesenen Errungenschaften der DDR sagen will, wird die ganze Gruppe bestraft. Danach verschwinden die Erzieher ganz bewusst.

„Dann durfte die Gruppe mich als Punchingball benutzen, dann war ich vogelfrei ausgeliefert. Und wenn 27 Mädchen ihren Frust an dir loslassen und jede froh ist, nicht selbst in der Mitte zu stehen, dann hältst du es nicht mehr aus.“

Das geschieht öfter, mit ihren 1,56 Metern ist sie meistens die Kleinste in der Gruppe. Sie flüchtet. Des Öfteren.

„Jeder Fahrradkeller, in dem ich schlief, jedes Waldstück machte mir weniger Angst als die im Jugendwerkhof nachts abgeschlossene Station.“

Entweichung – das offizielle Unwort für Flucht. Dafür gibt es Strafen. Vor der Gruppe, mit der Gruppe. Hackordnung. Einzelarrest. Das heißt dann im DDR-Deutsch der Pädagogen: „Eingliederung nach der Entweichung mit Rechenschaftslegung vor dem Kollektiv . . . scheiterten generell, da sie für keinerlei Kontaktaufnahme zugänglich war.“ Sie wird mit Medikamenten ruhig gestellt. Dann die Einlieferung nach Torgau. Die JWH-Direktorin vermerkt in der Akte: „Vorschläge für Erziehungsprozess in Torgau: Abbau der Kontrastellung.“

Zur Eröffnung dieser ersten Begegnung der Ehemaligen stellt Stefan Lauter verschiedene Fragen. „Was machen die Leute, die hier tätig waren?“ Und er zählte auf. Ehemalige Erzieher, die jetzt in karitativen Vereinen, in anderen Erziehungseinrichtungen tätig, ja sogar verbeamtet sind, während die meisten der Insassen eine geknickte Biografie haben, ihnen die Möglichkeit einer Ausbildung genommen wurde.

Viele sind auch nach der Wende dazu nicht mehr in der Lage und leben deshalb am Existenzminimum. Oder darunter. Wie Sonja B., die gerne lange Fingernägel hätte, sie aus Angst immer noch abknabbert, die bis heute nicht in der Lage ist, zu sagen, wenn ihr etwas nicht gefällt: So ausgelöscht wurde ihre Persönlichkeit.

Stefan Lauter erwähnt den DDR-Pädagogen Eberhard Mannschatz, der mitverantwortlich ist für die Jugendwerkhöfe, der heute in der Bildungspolitik der PDS mitmischt. Mannschatz formulierte die Aufgaben der Jugendwerkhöfe so: „Das Ziel der Umerziehung besteht darin, die . . . Besonderheiten in der Persönlichkeitsentwicklung zu überwinden, die Eigenheiten im Denken und Verhalten der Kinder und Jugendlichen zu beseitigen und damit die Voraussetzungen für eine normale Persönlichkeitsentwicklung zu schaffen.“

Mannschatz war bis 1977 Abteilungsleiter im Ministerium für Volksbildung, also der Handlanger und Vollstrecker von Margot Honecker. Bei einem Besuch in einem Jugendwerkhof fragt die Cheferzieherin der DDR eine Jugendliche, wie es ihr gehe. Diese antwortet: „Geht so.“ Die Folge der mangelnden Euphorie: für das Mädchen drei Tage Einzelarrest.

Weg mit der Westjeans!

Dass Mannschatz noch tätig ist, findet Stefan Lauter unerträglich. Er selbst kommt 1985 nach Torgau, denn „sein Denken und Handeln ist sehr durch westliche Einflüsse geprägt. Auch die kirchliche Beeinflussung hat hier einen großen Anteil.“

Stefan Lauter ist heute als politisch Verfolgter rehabilitiert, und seine Einweisung nach Torgau wurde als eine Rechtsstaatswidrigkeit gerichtlich anerkannt.

Anders im Fall Mico-Harriet Fabri; ihr wurde die Zeit in Torgau nicht anerkannt. Sie kämpft noch vor Gerichten.

Stefan Lauter sagt am Anfang der Begegnung auch: „Nicht aufgeben. Und schämt euch nicht. Lasst euch begutachten. Geht zu Therapeuten. Was man mit sich trägt, ist kein Zuckerschlecken.“

Mico-Harriet Fabri hat dreimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie hat im Jugendwerkhof Bernburg Schlimmes, Unerträgliches erlebt, sagt sie, aber Torgau war die Hölle.

Jeder „Neuzugang“ muss in der Schleuse zwischen den beiden verschlossenen Toren warten. Mico-Harriet Fabri steht fünf Stunden lang mit dem Gesicht zur Wand da. Ein anderer, René K., guckt bei seiner Einweisung durch das Schlüsselloch und muss deswegen unter anderem 200-mal schreiben: „Ich darf nicht durch das Schlüsselloch gucken.“ Er landet im Jugendwerkhof, weil er Plastikbeutel mit West-Reklame benutzt und sich geweigert hat, in der Schule die West-Jeans auszuziehen und im Slip nach Hause zu laufen.

In Torgau gibt es nur Anstaltskleidung. Nichts Privates soll da sein. Nach der Schleuse folgen drei Tage Arrest in einer Zelle mit einem Kübel und einer Pritsche, die man tagsüber nicht benutzen darf. Nach diesen Tagen ist jeder nur noch Kollektiv. Selbst beim Toilettengang. Verrichtungen auf Kommando. „Wer das nicht schaffte“, so Frau Fabri, „musste trotzdem das ganze Morgenprogramm absolvieren.“ Das beginnt um 5.30 Uhr mit Sport. Nach dem Sport die politische Indoktrination. Sport wird hier als Waffe eingesetzt. Wenn eine die Sturmbahn nicht schafft, muss die ganze Gruppe erneut antreten. Hackordnung. Oder sie wird vom Erzieher bestraft. Im Laufschritt eine Schubkarre mit einer schweren Bahnschwelle über den Hof schieben. Anketten am Gitter im Treppenbereich. Der „Torgauer Dreier“: Liegestütz, Hocke und Hockstrecksprung. Die häufigste Strafe: „Entengang“ – 20- oder 50-mal die drei Stockwerke rauf und runter, in der Hocke, mit den Händen hinter dem Kopf. Mico-Harriet Fabri zeigt es. Sie schafft drei Stufen. „Ich weiß nicht, wie ich es damals geschafft habe. Es war die Angst.“ Bei ihrer Ankunft in Torgau schafft sie es nicht. Dafür schlägt der Erzieher ihr den großen Schlüsselbund an den Kopf. Dagegen wehrt sie sich. Aber erst Jahre später. Im Oktober 2000 erwirkt sie eine rechtskräftige Strafe gegen diesen Erzieher wie auch gegen jenen, der ihr in der Arrestzelle den Kübel verweigert, „sodass sie sich nach mehreren Stunden in ihre Kleidung entleeren musste“ (Zitat aus dem Strafbefehl).

Nichts gesehen, nichts gehört

In Torgau ist jede Stunde des Tages und der Nacht durchorganisiert. Es gibt keine Individualität. Es gibt kein Entrinnen. Drei bis fünf Meter hohe Mauern trennen die Kinder und Jugendlichen vom Duft der Straße. Schließlich hat dieses Gebäude Tradition: 1901 Militäranstalt, nach dem Ersten Weltkrieg Gerichtsgefängnis, nach 1945 Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Geheimpolizei NKWD, von 1952 bis 1963 Jugendgefängnis, und im Mai 1964 nimmt der Geschlossene Jugendwerkhof eifrig seine Arbeit auf, erst ein Jahr später wird seine Funktion auch gesetzlich verankert.

So übereifrig kommt auch im November 1989 ein Anruf vom Ministerium für Volksbildung, die Anstalt aufzulösen. Am 17. November wird der letzte Insasse entlassen und das Personal beginnt wegzureißen, was nach Gefängnis aussieht, und die Akten zu vernichten. Schließlich werden Erzieher als Fachpersonal übernommen für das Internat, das hier einzieht.

Für die Torgauer ist dieser Ort bis heute ein Problem, so Beate Senftleben, die Projektleiterin der Erinnerungs- und Begegnungsstätte. Viele wollen sich die Ausstellung erst gar nicht anschauen, sagen, eigentlich bräuchte man solche Einrichtungen jetzt noch für die Jugend von heute; andere wollen von dem Treiben hier nichts gewusst haben, haben die Schreie nie gehört; und wiederum andere sagen: „Wir schämen uns hinterher für das, was hier gewesen ist.“

Von alldem, was im November 1989 in Torgau geschieht, erfährt Mico-Harriet Fabri erst mal nichts. Sie sitzt im Jugendwerkhof Magdeburg. Die Mauer ist längst gefallen. Nicht für sie. Erst 1990 wird sie entlassen; traumatisiert von den Demütigungen. „Die haben mir eingeredet, ich sei eine Lügnerin, ein schlechter Mensch, und fast hätte ich es geglaubt. Jetzt bin ich dreißig und fühle mich als Loser. Der Glaube an Gerechtigkeit oder an irgendetwas ist erschöpft, und ich bin es auch.“

 

Die Fotosammlung „Auf Biegen und Brechen“ gibt es auch als Wanderausstellung bis zum 10.04.2004 in der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zu sehen.

 

Externe Links:

www.jugendwerkhof.info

 www.jugendwerkhof-torgau.de

 

 

 

aus: "Rheinischer Merkur",

Nr. 47, 20.11.2003

http://www.rheinischer-merkur.de/aktuell/ku/ku_034704.html

 

 

 

 


 

 

Kindesmisshandlung in der DDR - ein verleugnetes Problem

Mit dem Bild des "neuen sozialistischen Menschen" ist Kindesmisshandlung durch die Familie oder gar den Staat nicht zu vereinbaren. Obwohl es das Problem in der DDR gab, war seine wissenschaftliche Erforschung unmöglich. In ihrer Dissertation geht Dr. Sabine Gries dem verleugneten Problem auf den Grund.

http://eheseelsorge.net/Sete124.htm

 

Posteingang 12.11.01

 


 

 

Jugendhilfereport aus der DDR

Einen alten rosarot geschriebenen Jugendhilfereport aus der DDR wollen wir Ihnen nachfolgend vorstellen. Allerdings darf man daran nicht alles für bare Münze nehmen, wer aus der DDR kommt und ein wenig von der damaligen Jugendhilfe erfahren hat, dem wird je nachdem ob er persönlich betroffen war oder nicht, entweder das Schmunzeln kommen oder eine Gänsehaut den Rücken hoch und runter laufen.

 

Anton, 9.6.2001

 


 

 

09.06.2001© Nordkurier-Online

Jugendkriminalität ruft Kommissionen auf den Plan

 

Wie sich die Region nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte - Aufgeschrieben von unserem Mitarbeiter Dietrich Gildenhaar

Insel Usedom. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges begann auch in Ostvorpommern eine andere Zeitrechnung. In unserer Samstag-Serie nimmt sich UsedomKurier-Mitarbeiter Dietrich Gildenhaar dieses Abschnittes der regionalen Geschichte an. Heute geht es um Probleme mit der jungen Generation.

Trotz umfassender Einwirkung auf die Jugend durch FDJ, Betriebe oder Berufsschulen kamen die Verantwortlichen des Kreises nicht umhin, sich Anfang der 50-er Jahre immer stärker zu wachsenden Problemen junger Leute im Alter zwischen 14 und 21 Jahren zu äußern. Dabei zeigte sich in den Kreisen Usedom und Anklam, dass weder Veranstaltungen noch Kultur- und Sportangebote dazu führten, einen Teil der Jugend "für die großen Aufgaben der demokratischen Umgestaltung" zu begeistern.

Arbeitsbummelei, negatives öffentliches Auftreten gegenüber Badegästen in den Sommermonaten, Alkoholmissbrauch und zunehmende Tendenzen straffälligen Verhaltens wurden registriert.

Krasser Widerspruch

Das stand im krassen Widerspruch zum propagierten Bild der jungen Menschen in der DDR. So berichtete ein Anklamer Jugendschöffe: "Die Hauptverhandlung beginnt! es handelt sich um einen Fall von fahrlässiger Brandstiftung, der einem jugendlichen Landarbeiter zur Last gelegt wird. Ein Schaden von 34 000 Mark entstand! allmählich gelingt es dem Gericht! sich ein Bild zu machen.

Nun hat die Vertreterin der FDJ Gelegenheit, ihr Urteil über den Angeklagten abzugeben. Dann ergreift der Staatsanwalt das Wort zu seinem Strafantrag auf eine mehrmonatige Gefängnisstrafe!"

Aus solchen Vorfällen ergab sich die Forderung eines gemeinsamen Handels von befähigten Jugendlichen und den Justizmitarbeitern mit dem Ziel, erziehungsfördernde Urteile bei Gesetzesverstößen zu erreichen. Neben den sozialen Problemen im Elternhaus sah man unter ideologischen Aspekten auch Ursachen für das "Versagen der Jugendlichen durch Einfluß westlicher Kultur wie Kriminal- und Abenteuerschmöker sowie amerikanische Gangsterfilme!", aber auch in mangelnder Wirksamkeit der Jugendämter.

Der Kreiskorrespondent der "Landes-Zeitung" berichtete damals im üblichen optimistischen Grundton über die Situation vor Ort, wobei sich ein differenzierteres Bild ergab: "Auf Umwegen erreicht mich die Mär, daß unser Jugendamt in Ahlbeck unter Leitung des Genossen Lüdtke aus einem Wettbewerb der Jugendämter als bestes des Landes Mecklenburg hervorgegangen sei. Da ich gerade im Haus 'Fritjof' zu tun hatte, stieg ich die Treppe hinauf, um mich zu vergewissern! Da das Jugendamt 59 Gemeinden zu betreuen hat, was die 2 Sachbearbeiter und 3 Referenten niemals schaffen würden, hat man in allen Gemeinden Jugendhilfekommissionen eingerichtet. Sie sind der verlängerte Arm des Jugendamtes und können viel zur Förderung der Jugend beitragen wenn sie gut arbeiten. Beispielgebend ist hierbei die Gemeinde-Jugendkommission Heringsdorf, die aus einem Wettbewerb !des Kreises als Sieger hervorging.

 

Hilfe bei der Erziehung

 

Über ihre Arbeit hörte ich Folgendes: Regelmäßig alle 14 Tage finden Zusammenkünfte der Mitglieder statt. Sämtliche gestellten Termine sind bisher fristgerecht eingehalten worden. Insbesondere sind auch die Pflegeberichte immer pünktlich und genau formuliert eingereicht worden. Darüber hinaus interessiert sich diese Jugendkommission sehr für die Arbeit der FDJ-Gruppen und Pionierfreundschaft, bekämpft energisch die Bummelanten und Schulschwänzer, unterstützt die Sportarbeit, führt Tanzgaststättenkontrollen durch, überprüft Pflegestellen, holt Auskünfte ein und hilft alleinstehenden Müttern bei der Erziehung ungehorsamer Söhne.

Weniger begeistert äußerte man sich über die Jugendkommissionen in Zinnowitz und Morgenitz.

Sehr aufschlußreich waren die Tatsachen, die Frau Voß berichten konnte. Sie muß sich mit Unterhaltsklagen von Frauen beschäftigen, deren Männer in der westdeutschen Bundesrepublik leben. 'Das schönste dabei ist', rief sie empört aus, daß sich die westdeutschen Behörden auf den Standpunkt stellen, man kann den Männern nicht zumuten, in die Ostzone zu gehen.'

Was aus solchen Kindern werden kann, erzählte uns Kollege Meyer: 'Gestern Abend erhielten wir einen Anruf aus Bergen auf Rügen. Dort waren zwei Jugendliche aufgegriffen worden, als sie im Begriff waren, Diebereien durchzuführen. Sie stammten aus dem Kreis Usedom und waren mit dem Kahn unterwegs, um Abenteuer zu erleben. Zu Hause hatten sie erzählt, daß sie ihre Tante besuchen wollten. Auf ähnliche Lügen stoßen wir oft, wenn wir uns die Berufsschulbummelanten vornehmen.

 

Kinderheim überfüllt

 

Den tollsten Fall aber erlebte ich mit einigen Grundschulkindern. Sie fehlten wochenlang in der Schule. Als es dem Lehrer endgültig zu dumm wurde, und er sich mit den Müttern in Verbindung setzte, waren diese sehr erstaunt. Die Kinder waren regelmäßig zur festgesetzten Zeit weggegangen und zur richtigen Zeit zurückgekommen.

Kinder, deren Mütter das Sorgerecht entzogen wurde, werden in unser kreiseigenes Kinderheim aufgenommen. Gegenwärtig ist das Heim allerdings überfüllt. Wir könnten gut ein Zweites brauchen!"

Quellen: Aus der "Landes-Zeitung", Jahrgänge 1950-52

 

 


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