Missbrauch mit dem Missbrauch


 

 

 

Oberlandesgericht spricht Pädagogen Schadensersatz aufgrund unberechtigter Verdächtigung wegen Kindesmissbrauchs zu

In einem am 19.5.2010 verkündeten Urteil hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main einem Sozialpädagogen Schadensersatz zugesprochen, weil dieser wegen Kindesmissbrauchs verdächtigt worden war.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung ehrverletzender Äußerungen betreffend den sexuellen Missbrauch eines Kindes und auf Schadensersatz in Anspruch. Er hatte das betroffene Kind im Rahmen eines Schülerprojekts und als Fußballtrainer betreut. Die beklagte Psychotherapeutin gelangte im Rahmen einer therapeutischen Behandlung des Kindes zu der Einschätzung, es bestehe der Verdacht, dass der Kläger das Kind in den Jahren 2004 und 2005 sexuell missbraucht habe. Hierüber sprach sie nach Ende der Behandlung mit verschiedenen Personen. Der Kläger verlor seine Arbeitsstelle bei einem gemeinnützigen Verein und gab seine Tätigkeit als Pädagoge und Fußballtrainer auf. Ein gegen ihn eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Der Kläger führt all dies auf die Verdächtigungen der Beklagten zurück.

Das Landgericht hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe den Kläger nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht rechtswidrig verletzt. Die Unterrichtung des gemeinnützigen Vereins, für den der Kläger gearbeitet habe, sei zum Schutz des Kindes erforderlich gewesen. 

Auf die Berufung des Klägers änderte das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts nunmehr ab und verurteilte die Beklagte zur Unterlassung der Äußerungen, sprach dem Kläger eine Entschädigung von 2.000,- € zu und stellte fest, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, der diesem durch ihre Äußerungen entstanden sei. Zur Begründung führt das Oberlandesgericht aus, die Beklagte habe den Kläger rechtswidrig und schuldhaft in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, indem sie einen unnötig großen Personenkreis über ihren Verdacht unterrichtet habe. Sie hätte sich darauf beschränken müssen, ihren Verdacht gegenüber den für die Aufklärung zuständigen Behörden - städtische Stellen für Kinderschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft - zu äußern. Die Unterrichtung des Arbeitgebers des Klägers sowie anderer Personen hätte sie damals jedoch unterlassen müssen. Soweit sich die Beklagte darauf berufe, sie habe dies zum Schutz des Kindes für erforderlich gehalten, hätte es genügt, die zuständigen Behörden auf diese Einschätzung hinzuweisen. Bei der Bemessung der Entschädigung sei zu berücksichtigen, dass der Verdacht der Beklagten zusätzlich als unberechtigt behandelt werden müsse. Da das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger eingestellt worden sei, gelte für diesen die Unschuldsvermutung.

Die Entscheidung ist faktisch nicht anfechtbar. Sie kann in Kürze im Volltext unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abgerufen werden.

 

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 19.5.2010, Aktenzeichen 1 U 49/09

Pressesprecher RiOLG Ingo Nöhre

 

http://www.olg-frankfurt.justiz.hessen.de/irj/OLG_Frankfurt_am_Main_Internet?rid=HMdJ_15/OLG_Frankfurt_am_Main_Internet/sub/d79/d7960b5a-9170-b821-f012-f31e2389e481,,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm

 

 


 

 

Ansprüche auf Unterlassung und billige Entschädigung in Geld wegen Äußerungen über sexuellen Kindesmissbrauch

Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 19. Mai 2010

Az.: 1 U 49/09

Der Kläger hat die Beklagte auf Unterlassung ehrverletzender Äußerungen betreffend den sexuellen Missbrauch eines Kindes und auf immateriellen sowie materiellen Schadenersatz in Anspruch genommen, den er im Wege einer Leistungs- und einer Unterlassungsklage geltend gemacht hat.

Das Landgericht hat in der 1. Instanz die Klage insgesamt abgewiesen mit der Begründung, die Beklagte habe den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht rechtswidrig verletzt. Die Unterrichtung der Zeugin als Vertreterin des den "Schülerladen" betreibenden Vereins sei zum Schutz des Kindes notwendig gewesen.

Der Kläger hat mit seiner Berufung das Vorliegen von Rechtsfehlern und eine unzureichende Würdigung der vorgetragenen Tatsachen gerügt.

Der Kläger hat das betroffene Kind in einem sog. "Schülerladen" und als Fußballtrainer, später auch individuell sozialpädagogisch betreut. Die Beklagte behandelte das Kind psychotherapeutisch. Sie gelangte dabei zu der Einschätzung, es bestehe der Verdacht, dass der Kläger das Kind sexuell missbrauche. Hierüber sprach sie nach dem Ende der psychotherapeutischen Behandlung mit verschiedenen Personen. Der Inhalt der Äußerungen blieb in Einzelheiten streitig, insbesondere ob und bei welchen Gelegenheiten sie den Kläger und das Kind namentlich bezeichnete. Der Kläger verlor später seine Arbeitsstelle in dem "Schülerladen" im Wege eines Aufhebungsvertrages mit dem Trägerverein. Seine Tätigkeit als Pädagoge und Fußballtrainer gab er auf. Das gegen ihn geführte strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde eingestellt.

Das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) ist der der Ansicht, dass der Kläger dadurch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach § 823 Abs. 1 BGB verletzt worden sei, dass die Beklagte einen unnötig großen Personenkreis über ihren Verdacht unterrichtet habe, er habe das Kind sexuell missbraucht.

Das Gericht führt dazu aus, dass die Beeinträchtigung dieses Rechts erst nach einer umfassenden Abwägung der Interessen des sich Äußernden und des von der Äußerung Betroffenen festgestellt werden kann. Dabei ist das Grundrecht des sich Äußernden auf freie Meinungsäußerung und der Rechtsgedanke des § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen) zu berücksichtigen. Ehrverletzende Tatsachenbehauptungen sind nur dann zulässig, wenn sie wahr sind, denn grundsätzlich sind wahre Tatsachenbehauptungen hinzunehmen. In Fällen, in denen die Behauptung zu einer Stigmatisierung des Betroffenen führen kann und dessen Intimsphäre berührt, muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Eine solche Äußerung ist nur dann insoweit als rechtmäßig anzusehen sein, als sie zur Förderung höherwertiger Interessen erforderlich ist. Dabei ist derjenige, der die ehrverletzende Tatsachenbehauptung aufstellt, für die Richtigkeit beweisbelastet. Hat der Äußernde vor Aufstellung der Tatsachenbehauptung alle ihm zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, kann eine solche gegebenenfalls als rechtmäßig anzusehen sein.

Für den vorliegenden Einzelfall stellt das Gericht fest, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers selbst dann vorgelegen hätte, wenn der Verdacht der Beklagten berechtigt gewesen wäre. Denn die Äußerungen betrafen den Kernbereich der Intimsphäre und waren zu seiner Stigmatisierung geeignet. Die Beklagte hätte sich deshalb auf Äußerungen gegenüber denjenigen Personen beschränken müssen, deren primäre Aufgabe es ist, Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen, mithin die zuständigen städtischen Stellen und die Staatsanwaltschaft. Die Beklagte hatte teilweise zugestanden, anderen Personen als den zuständigen Stellen und der Staatsanwaltschaft von ihrem "Missbrauchsverdacht" berichtet zu haben. Unerheblich war dabei, dass die Beklagte den Namen des Klägers und des Kindes nicht nannte, da für die Gesprächspartner jedenfalls der Kläger ohne weiteres zu identifizieren war. Die Beklagte konnte die Unterrichtung Anderer auch nicht damit rechtfertigen, dass sie einen unverzüglichen Schutz des Kindes gerade durch die betreuende Einrichtung gewährleisten wollte. Denn hätte eine besondere Eilbedürftigkeit vorgelegen, hätte die Beklagte die zuständigen Behörden auf ihre Einschätzung der Eilbedürftigkeit hinweisen können.

Das OLG stellt fest, dass der Verdacht auch deshalb als unberechtigt behandelt werden muss, weil das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger eingestellt worden war.

Der Umstand, dass die Beklagte durch den Vortrag von Belegtatsachen ihre psychotherapeutische Schweigepflicht gegenüber dem Kind verletzen würde, kann nicht dazu führen, dass der Kläger die ehrverletzende Behauptung auch ohne solche Tatsachen als gegebenenfalls wahr hinnehmen muss.

Hinsichtlich der Schuldfrage konstatiert das OLG, die Beklagte müsse sich Fahrlässigkeit i. S. d. § 276 BGB vorwerfen lassen, da man von einer Psychotherapeutin erwarten muss, dass sie die Grenzen ihres Äußerungsrechts kennen muss und die potenziellen Konsequenzen ihres Verhaltens für den Betroffenen bedenkt.

Aus der schuldhaften Persönlichkeitsverletzung ergeben sich vorliegend Ansprüche des Klägers auf Unterlassung der Äußerung, auf Ersatz materiellen Schadens sowie auf eine Entschädigung, die das Gericht hier i. H. v. 2.000 ? als der Billigkeit entsprechend dem Kläger zugesprochen hat.

Das OLG hat eine Revision nicht zugelassen, da es eine klärungsbedürftige rechtliche Grundsatzfrage nicht erkennt, und auch nicht darin sieht, dass in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion die Frage im Fokus steht, wie der sexuelle Missbrauch von Kindern zukünftig besser unterbunden werden kann.

Das Urteil ist veröffentlicht unter www.olg-frankfurt.justiz.hessen.de.

 


 

 

 

Kindsmissbrauch war eine Erfindung der Ex-Frau

Von Klaus Utzni

Es ist ein öffentlicher Prozess, bei dem ein Vater als mutmaßlicher Kinderschänder angeklagt ist, beschuldigt von seiner Ex-Frau. Auch das Fernsehen berichtet über den Fall. Doch das Urteil stellt die Anklage auf den Kopf. Der 36-jährige Immobilienmakler wird vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs seiner zur Tatzeit 18 Monate alten Tochter glasklar freigesprochen - ohne Wenn und Aber.

In der Urteilsbegründung dreht Vorsitzender Richter Bernhard Kugler den Spieß um. Er bezichtigt die Anzeigeerstatterin, die als Zeugin im Prozess alle Vorwürfe vehement wiederholt hatte, der Lüge: „Sie hat ganz bewusst versucht, den Angeklagten in die Pfanne zu hauen, ihn als Kinderschänder an den Pranger zu stellen. Und das ist leider nicht der erste Fall, dass jemand zu Unrecht beschuldigt wird“. Der Angeklagte, der stets seine Unschuld beteuert hatte, ist erleichtert, sagt aber zugleich: „Dieser Prozess war für mich erniedrigend“. Das Schöffengericht kann seine Gefühlslage verstehen. Das Gericht habe die Anklage zugelassen, weil die Angaben der Ex-Frau auch nach einem psychologischen Gutachten glaubhaft erschienen, begründet Richter Kugler. Und ohne zusätzliche Zeugen, benannt von der Verteidigung, hätte es, räumt das Gericht ein, für den Angeklagten „schlecht ausgesehen“.

Diese Zeugen, zwei ehemalige Lebenspartner der Frau und ein Verwandter, hatten die 30-Jährige als „aggressiv“ und als „Geschichtenerzählerin“ beschrieben und - so das Gericht - in zwei Punkten objektiv der Lüge überführt. Verteidiger Gerhard Decker hatte denn auch in seinem Plädoyer das Verhalten der Frau als „Riesenschweinerei“ bezeichnet: „Für einen Angeklagten ist es ganz, ganz schwer, sich gegen einen solchen Vorwurf zur Wehr zu setzen“. Das Gericht habe eine „Granatenlüge“ aufgedeckt, die für die Zeugin Folgen haben müsse. Geahndet werden müsse auch der Brief des Anwalts der Frau mit Drohungen gegen seinen Mandanten, die „schon fast eine versuchte Erpressung darstellen“, forderte Decker. „Ich schäme mich für diesen Kollegen“. Staatsanwältin Alexandra Körner, die ebenfalls auf Freispruch plädiert hatte, wird nun wohl Ermittlungen gegen die Frau und ihren Anwalt einleiten. Als Motiv für die falschen Beschuldigungen nimmt das Gericht den Sorgerechtsstreit der inzwischen geschiedenen Eheleute um die kleine Tochter an.

07.02.2009

http://www.augsburger-allgemeine.de/Home/Lokales/Augsburg-Stadt/Lokalnews/Artikel,-Kindsmissbrauch-war-eine-Erfindung-der-Ex-Frau-_arid,1478307_regid,2_puid,2_pageid,4490.html#car

 

 


 

 

 

Richter: Mutter "missbrauchte" Kinder

RAVENSBURG / HERBERTINGEN - Mit einem Freispruch ist vor dem Landgericht Ravensburg der Prozess gegen einen 50-Jährigen zu Ende gegangen, der angeklagt war, zwei seiner Kinder sexuell missbraucht zu haben. Das Gericht drehte den Spieß sogar um: Um ihren Ex-Mann zu belasten, habe die Mutter "die Kinder im weitesten Sinne missbraucht".

Nach drei Tagen intensiver Beweisaufnahme herrschte unter den Beteiligten große Einigkeit: Sogar Staatsanwältin Juliane Prasse, und der Vertreter der Nebenklage als Vertreter der Kinder, Philip Wills, forderten Freispruch für den Angeklagten aus einem Herbertinger Teilort. Verteidiger Ingo Pfliegner musste sich diesen Anträgen nur noch anschließen. Nach den Plädoyers erlebte man eine Mutter der Kinder, die laut fluchend ihre Jacke in einen Sitz im Wartebereich des Sitzungssaals donnerte und nach der Urteilsverkündung im Gerichtssaal ihren Ex-Mann anschrie, dass sie jetzt in Revision gehe.

Für die große Mehrheit im voll besetzten Gerichtssaal kam nach den Plädoyers und dem Urteil Freude auf. Nach der Urteilsbegründung wurde der Freispruch mit Applaus begrüßt.

Den Weg zum Freispruch hatte die Gutachterin geöffnet. Sie schloss zwar aus, dass den Kindern in bewusster Absicht Aussagen in den Mund gelegt wurden, konnte aber nicht ausschließen, dass die beiden Kinder suggestiv, also unbewusst, durch bestimmte Fragen und Verhaltensweisen beeinflusst worden waren. Viele Indizien aus dem Umfeld und die oft unklaren Angaben der Kinder sprachen dafür, dass die Mutter ihre Kinder in dieser Weise beeinflusst hat - um ihren Mann "zu vernichten", wie es der Verteidiger drastisch ausdrückte.

"Nur Opfer, keine Täter"

Die Begründung für den Antrag auf Freispruch reichte deshalb in den Plädoyers von "im Zweifel für den Angeklagten" (Staatsanwältin und Nebenkläger) bis zur Überzeugung der Unschuld beim Verteidiger. Die Mutter habe die Kinder anstatt sie zu schützen "in jeglicher Form instrumentalisiert", sagte Staatsanwältin Prasse. Selbst der Vertreter der Nebenklage distanzierte sich vom Verhalten der Mutter: "Es ist bedauerlich, was den Kindern auch durch dieses Verfahren angetan wurde". Hier gebe es "nur Opfer, keine Täter". Verteidiger Pfliegner wies auf die Problematik dieses Verfahrens hin: "Niemand glaubt, daran, dass er seinen Kindern etwas getan hat", eine positive Feststellung der Unschuld sei in diesem Verfahren aber kaum zu erreichen.

Richter Hutterer ging in seiner Begründung dennoch weit in diese Richtung. In Telefonaten mit ihrem Ex-Mann habe die Mutter die Kinder animiert zu zeigen was der "Papa" gemacht habe, sie habe angeboten, die Anzeige wieder zurück zu ziehen, wenn der Angeklagte wieder zurückkomme. Der Richter: "Sollte sie jemals geglaubt haben, dass wirklich etwas passiert ist, hätte sie zugelassen, dass die Kinder mit ihrem Schänder zusammenleben." Die Mutter habe die Kinder "im weitesten Sinne missbraucht". Der Richter hofft, dass nach dem Freispruch das Wohl der Kinder in den Vordergrund gerückt wird. Und fügt die rechtlichen Möglichkeiten einer Revision an: Nur die Kinder seien revisionsberechtigt. Nach SZ-Informationen in ihrem Namen die Mutter - solange sie erziehungsberechtigt ist.

(Erschienen: 19.12.2008 00:07)

http://www.szon.de/archiv_artikel,-Richter-Mutter-missbrauchte-Kinder-_arid,2576667.html

 

 

 


 

 

 

 

DIE ZEIT, 11.01.2007 Nr. 03

Inquisitoren des guten Willens

Wegen eines erfundenen Missbrauchs mussten zwei Männer ins Gefängnis. Die Justizirrtümer enthüllen die Ideologie eines fehlgelaufenen Feminismus.

Von Sabine Rückert

Illustration: Rinah Lang für DIE ZEIT

Die Tragödie um Amelie (siehe Die Geschichte eines Irrtums) hat viele Ursachen, und sie besteht auch darin, dass das Mädchen von einem kranken System ins nächste wechselt. Misshandelt und isoliert in der Familie, flüchtet sie sich in den professionell wirkenden Schutz der Psychiatrie. Doch wo man ihr Hilfe verheißt, ist keine zu erwarten. Stattdessen führen die vermeintlichen Retter Amelie noch weiter in die Irre. So wird das Schicksal dieses Mädchens zum Spiegel der dunklen Seite des Feminismus.

Die wahnhafte Fixierung auf den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen erfasste in den neunziger Jahren die gesamte Gesellschaft, hielt Einzug in Familien, spielte bei Scheidungsverfahren eine immer größere Rolle und fand ihren Weg zu Kinderärzten, in Schulen, in die Jugendämter, in die psychiatrischen Stationen, die Untersuchungszimmer der Gerichtspsychologen und die Büros sonst so sachlicher Staatsanwälte und Richter. Was als erhöhte Aufmerksamkeit grundsätzlich umsichtig handelnder Ärzte und Behörden begrüßenswert gewesen wäre, wuchs sich rasch zu einer irrealen Konfusion aus, die auch jene Instanzen erfasste, deren vernunftgesteuertes Verhalten die Rechtssicherheit garantiert. Deshalb geht die Bedeutung des Falles Amelie weit hinaus über die tragische Biografie eines einzelnen Mädchens und seiner beiden Opfer.

Vermeintlich geschädigte Kinder wurden von ihren Eltern getrennt

Die Gepflogenheit, überall Kindesmissbrauch zu wittern, ihn mit großer Entschlossenheit aufzudecken und das Aufgedeckte strafrechtlich zu verfolgen, war in den achtziger Jahren in den Vereinigten Staaten zu einer regelrechten Zwangsvorstellung geworden und bald nach Europa herübergeschwappt. In Großbritannien kam es 1987 unter anderem zum so genannten Cleveland-Fall, bei dem eine Kinderärztin durch Analuntersuchungen bei Kindern binnen kürzester Zeit 121 vermeintliche Missbrauchsfälle aufdeckte. Die »Geschädigten« wurden ihren Eltern weggenommen, bis sich die kollektive Hysterie schließlich in Luft auflöste.

 

»Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass diese Vorgehensweise bei Kindern massiv suggestive Wirkung hat und zur Entstehung von Pseudoerinnerungen führen kann.« Das schreibt der Berliner Psychologieprofessor Max Steller, der selbst als Gutachter in den Wormser Prozessen zur Aufklärung der kollektiven Verwirrung beigetragen hat, in einem Aufsatz unter dem englischen Titel A doctor starts a bitter battle, der 2000 im Schmidt-Römhild Verlag, Lübeck, erschienen ist. Dort heißt es weiter: »Am Beginn der Suggestion besteht wahrscheinlich eine Verunsicherung der Kinder, zu deren Bewältigung die eigenen Erinnerungen zunehmend durch die suggerierten ersetzt werden. Diese Verunsicherung ist natürlich besonders ausgeprägt, wenn das entsprechende Kind ohnehin emotionale Probleme hat, was ohne Zweifel gegeben ist, wenn es von seinen Eltern getrennt und fremd untergebracht wurde.«

Der Druck, der auf den Kindern laste, fährt Steller fort, führe zu den unglaublichsten, fantastischsten und absurdesten Schilderungen sexueller Übergriffe. Doch kein Ermittler habe sich damals von der Abstrusität der kindlichen Behauptungen beeindrucken oder ins Grübeln bringen lassen: »Weder die professionelle Aufdeckerin oder der primäre Glaubwürdigkeitsgutachter noch die Staatsanwaltschaft Mainz wurden durch solche Schilderungen unsicher. Vielmehr lieferten sie pseudopsychologische Erklärungen für die irrealen Darstellungen der Kinder.«

Bedeutungsschwangere Namen wie Wildwasser und Allerleirauh

Feministische Beratungsstellen für sexuell missbrauchte Kinder und Frauen schießen Anfang der neunziger Jahre aus dem Boden. Sie tragen bedeutungsschwangere Namen: Zartbitter, Wildwasser, Allerleirauh, Hautnah, Zerrspiegel, Schattenriss, Alraune, Belladonna, Kobra oder Trotz allem. Psychologinnen arbeiten mit fragwürdigen »anatomisch korrekten Puppen«, an deren ausgeprägten Geschlechtsteilen Kinder das Unaussprechliche bedeuten sollen. Mitarbeiterinnen aus Jugendämtern, aus Psychiatrie- und Sozialstationen bilden sich bei so genannten Aufdeckerinnen fort, um den Familien ihr vermutetes Geheimnis zu entreißen, wenn nötig mit Hilfe der Justiz. Als Amelie ihre Beschuldigungen erhebt, herrscht eine Art Inquisition des guten Willens im ganzen Land. Auch in Osnabrück.

Und die Medien machen mit. Über Jahre sind Zeitungen und Fernsehprogramme voll vom Thema Kindesmissbrauch, der zum Teil in allen Einzelheiten ausgebreitet wird. In langen Serien schildern Boulevardzeitungen grausige Mädchenschicksale in farbigen Details, in illustrierten Frauenmagazinen berichten verbitterte Mittvierzigerinnen, wie sie dem Unglück ihrer Existenz durch Reinkarnationstherapien auf die Spur kamen und plötzlich begriffen: Aha, auch ich bin ein Missbrauchsopfer! Und das Fernsehen schüttet schlüpfrige Vergewaltigungsstorys über alle Kanäle aufs Volk. Die Grenze zwischen Puritanismus und Pornografie verschwimmt. Und Amelie saugt alles auf. Ihre Verwandten erzählten mir, dass das Mädchen von dieser Art der Berichterstattung fasziniert und hingerissen gewesen sei. Kaum eine Missbrauchssendung im Fernsehen, die sie ausließ, und habe sie trotzdem manchmal eine versäumen müssen, habe sie die Familie gebeten, den Beitrag mit dem Videorekorder für sie aufzuzeichnen.

 

Nur wenige Journalisten stemmen sich dem kollektiven Wahn um den sexuellen Missbrauch entgegen. Die meisten schwimmen – uninformiert und erschüttert vom angeblichen Ausmaß der Katastrophe – im Strom der Empörung mit. Bald gehört es auch zum guten Ton der politisch korrekten Berichterstattung, keine Kritik an Ermittlungs- oder Vernehmungsmethoden zu äußern. Wer den Aufdeckungsrausch hinterfragt, macht sich schon verdächtig.

 

 

Ich habe 1994 als junge Reporterin der ZEIT selbst an einer Fortbildung über Aufdeckung von sexuellem Missbrauch teilgenommen, die eine feministische Psychologin für Mitarbeiterinnen norddeutscher Jugendämter veranstaltete. Geboten wurde ein Vortrag, dessen aggressive Tendenz durch die verhaltene Tonart geschickt als Sachlichkeit getarnt war. Die Referentin hatte »anatomisch korrekte Puppen« dabei, deren Handhabung sie erklärte, und sie interpretierte Kinderbilder auf deren versteckte Missbrauchsbotschaften hin. Auch Filme hatte sie mitgebracht, in denen eine missbrauchte Drei- oder Vierjährige auftrat, die auf eindeutige Weise mit den Puppen hantierte und in Kindersprache erzählte, was Papa mit ihr gemacht habe. Es war erschütternd anzusehen und trieb mir damals die Tränen in die Augen, heute hingegen stellt sich mir die Frage, durch wen das Kind wirklich missbraucht worden war – durch ihren Vater, wie es hieß, oder durch die Damen von der Aufdeckungsfront.

Ich erinnere mich, damals froh gewesen zu sein, dass ich kein Mann bin. Denn ein Mann zu sein, das wurde mir bei dieser mehrtägigen Veranstaltung klar, hieß, in Gefahr zu sein. Ein Mann, der einmal in Verdacht geraten war, hatte damals kaum eine Chance. Die Möglichkeit, dass ein Beschuldigter den Missbrauch, den man ihm vorwarf, gar nicht begangen haben könnte, wurde in den Tagen der Fortbildung nicht ein einziges Mal angesprochen.

 

Die Psychologin riet den Sozialpädagoginnen der Jugendämter vielmehr, alle Aussagen von Opfern bedingunglos zu glauben und sofort Partei für die Kinder zu ergreifen. Mädchen und Jungen, bei denen sich auch nur der leiseste Verdacht des Missbrauchs ergebe, seien unverzüglich aus der Familie zu nehmen, rechtliche Gegenmaßnahmen der elterlichen Anwälte könne man mit Hilfe eines Jugendhilfeparagrafen für »Gefahr in Verzug« wirksam abschmettern. Der würde ohnehin viel zu selten angewandt, die Frauen müssten sich da mehr trauen! Das anfängliche professionelle Interesse unter den Fortgebildeten wuchs sich im Laufe der Veranstaltung aus zu einem Gemeinschaftsgefühl der leidenschaftlichen Einigkeit im Kampf für das Gute. Jede Teilnehmerin wusste eine noch schrecklichere Missbrauchsgeschichte aus ihrem Amtsalltag beizusteuern. Gegen Verteidiger, Richter und kritische Sachverständige wurde mit dem Hinweis, es handle sich ja schließlich um Männer, also potenzielle Täter, die naturgemäß nichts anderes zum Ziel hätten, als die Verbrechen ihres eigenen Geschlechtes zu decken, polemisiert und Stimmung gemacht. Kein Einspruch wurde laut im Publikum.

Ein Befreiungskampf auf dem Rücken von Kindern

Und auch ich sagte nichts: Ich war nicht als Diskutantin da, sondern als beobachtende Reporterin, aber damals wusste ich auch noch nicht, was ich von alldem halten sollte. Hatten die Frauen nicht auch recht? Standen sie nicht auf der richtigen Seite, nämlich auf der der Opfer? Muss nicht eine gewisse Rigorosität entfalten, wer den Schwachen und Vergessenen helfen will – und wer ist schwächer und vergessener als ein missbrauchtes Kind? Darf nicht, wer auf der richtigen Seite steht, auch manchmal übers Ziel hinausschießen und Fehler machen, ohne dass man ihn gleich verurteilt? So dachte ich, die Jungredakteurin, und schwieg. Vielleicht auch aus Feigheit gegenüber dieser Mauer aus steinerner Überzeugung. Aber mir war nicht wohl dabei.

Ich zog mich aus der Affäre, indem ich über diese Fortbildung nichts veröffentlichte und meine Eindrücke für mich behielt. Zwar ahnte ich, dass hier irgendetwas mächtig aus dem Ruder lief, konnte aber damals noch nicht recht begründen, was da außer Kontrolle geriet und warum. Dazu fehlten mir der Überblick und die Erfahrung. Als ich mich später als Gerichtsreporterin mit den Auswüchsen derart radikalen, ja hasserfüllten Denkens beschäftigte, wusste ich, was ich damals hätte schreiben sollen: dass Eifer blind macht für die Wahrheit und dass es eine Schande ist, wenn Frauen ihren Befreiungskampf auf dem Rücken von Kindern austragen. Dass es das Recht zerstört, wenn sich Fanatiker in Familiengerichten und den Strafkammern der Landgerichte Gehör verschaffen können. Was sind Opfervertreter wert, hätte ich fragen sollen, die achselzuckend in Kauf nehmen, dass sie durch ihre Methoden selbst Opfer produzieren, Kinderseelen für immer schädigen und Unschuldige ins Gefängnis bringen? Und was tun sie den wirklichen Opfern sexuellen Missbrauchs an? Das tatsächliche Ausmaß des damals angerichteten Schadens begriff ich aber erst, als ich 2001 die Schicksale von Amelies Vater und ihrem Onkel aus Aktenbergen ans Licht holte.

 

 

Zum Thema

Erwiesene Unschuld - Viereinhalb Jahre saß Bernhard M. als vermeintlicher Vergewaltiger im Gefängnis. ZEIT-Recherchen enthüllten einen Justizirrtum (DIE ZEIT 52/2005) »

Unrecht im Namen des Volkes - Lehrstück über Richter, die im blinden Glauben an die Behauptungen eines Opfers die Fakten verkennen (DIE ZEIT 19/2002) »

 

 

http://www.zeit.de/2007/03/Rueckert-Buch-03

 

 

 


 

 

 

Väteraufbruch für Kinder Berlin e.V.

Postfach 302319 – 10754 Berlin

Fon: 030/39104097

Mail: berlin@vafk.de

 

Der Mißbrauch mit dem Missbrauch und Falschbeschuldigung wegen Gewalt gegen Frauen

 

sind beliebte Mittel Umgangs Sorgerechts begehrende Väter für Jahre, wenn nicht für immer aus Ihrer Vaterrolle zu verdrängen.

Es soll Rechtsanwälte geben, die dieses Mittel systematisch einsetzen.

Dagegen vorzugehen ist nur möglich, wenn sich betroffene gegenseitig unterstützen.

Wer ist/war in diesem Zusammenhang mit der Rechtsanwältin Edith Schwab aus Speyer konfrontiert?

 

Bitte melden Sie sich beim VAFK Berlin Tel. 030-39104097

 

2.2.2005

 

 

 


 

 

Geschlechterjustiz:

Wieso einem manche Ehe wahrlich Angst einjagen sollte, das macht ein Beitrag der Stuttgarter Zeitung vom 4. November deutlich, der darüber berichtet, wie ein Vater - einmal mehr - mit der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs weggebissen werden soll. Immerhin ist es bereits erfolgreich gelungen ihm über Jahre hinweg den Umgang - obwohl gerichtlich angeordnet! - zu verweigern. Ohne Konsequenzen für die rechtsbrüchige Mutter selbstverständlich!

http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/306032?_suchtag=2002-11-04

11/2002

 

 


 

 

 

"Die Borderlinestörung als Quelle (nicht)-intentionaler Falschaussagen"

Hartmut Böhm, Rita Meuren, Magdalena Storm-Wahlich

in: Praxis der Rechtspsychologie, November 2002

 

 

 


 

Jens Beutel (2007)Jens Beutel (SPD) (* 12. Juli 1946 in Lünen) ist ein deutscher Politiker. Er ist seit 1997 Oberbürgermeister von Mainz.

 

Biographie [Bearbeiten]1968 beginnt Jens Beutel in Mainz das Studium der Rechtswissenschaften und tritt in die SPD ein. 1974 bis 1989 ist er Mitglied im Ortsbeirat des Ortsteils Mainz-Mombach, wo er auch wohnhaft ist. 1976 bringt den Abschluss des Jura-Studiums (Zweites juristisches Staatsexamen); Beutel wird Richter am Landgericht Frankenthal, dann in Koblenz und Mainz. Schwerpunkte sind Zivilrecht, Handelsrecht und Strafrecht. Später wird er Vorsitzender Richter am Landgericht (Jugend- und Jugendschutzkammer). In dieser Funktion war er Vorsitzender Richter im sogenannten "Worms I" Missbrauchsprozess, dem ersten von drei Prozessen, in denen es um den angeblichen massenhaften sexuellen Missbrauch von Kindern in der Stadt Worms ging. Die mündliche Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters in diesem ersten Prozess stand im krassen Gegensatz zu den in allen drei Prozessen erfolgten Freisprüchen und war daher sehr umstritten.

Im Jahr 1989 wird Beutel in den Mainzer Stadtrat gewählt, wo er 1995 Fraktionsvorsitzender wird. 1996 kandidiert er erstmalig für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt. 1997 tritt er sein Amt an. Im Jahr 2004 wird er für weitere 8 Jahre gewählt; seine zweite Amtszeit beginnt 2005.

Zu seinen Hobbys gehört das Schachspiel. Er spielte in der Oberliga, war zweimal Rheinhessen-Meister und mehrfach Stadtmeister von Mainz. Seit 2001 ist er Schirmherr des jährlich stattfindenden Turniers Chess Classic Mainz. [1]

 

http://de.wikipedia.org/wiki/Jens_Beutel

 

 

 


 

 

 

Die missbrauchte Erinnerung (Von einer Therapie, die Väter zu Tätern macht). 

Ofshe, Richard / Watters, Ethan: München 1996

 

 

 


 

 

»Missbrauchsverdacht - Fehldiagnose - Folge

Grenzen der Wiedergutmachung

Dieser Beitrag wurde als Vortrag an der evangelischen Akademie Arnoldshain am 14.05.2006 gehalten und befasst sich im Wesentlichen mit Erkenntnissen des Verfassers aus seiner Tätigkeit als Strafverteidiger in den sogenannten “Wormser Kinderschänderprozessen” sowie nachfolgender, auch aktueller Rechtsprechung und Literatur.

 

Zunächst möchte ich einen Bericht voranschicken, der sich auf meine Tätigkeit als Verteidiger im Verfahren Worms I bezieht.

Die Gerichtsbesetzung war so, dass zunächst Herr Vorsitzender Richter am Landgericht Härtter dem Verfahren vorgesessen hat und sodann, nachdem dieser ausgeschieden war, Herr Beutel, der heutige Oberbürgermeister von Mainz, als Vorsitzender nachgerückt ist.

I.

Aufgrund der Medienberichte im Vorfeld der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme, war die Vorverurteilung gerade auch meiner Mandantin so groß, dass man sich über die ungewöhnliche Härte, mit der dieses Verfahren geführt wurde, nicht wundern muss.

Insgesamt fanden drei Verfahren statt, die sich gegen 25 Personen richteten, die in unterschiedlicher verwandtschaftlicher Beziehung zueinander standen.

Angeblich sollten sich alle diese Personen u. a. zum gemeinsamen sexuellen Mißbrauch der Kinder verabredet haben.

Ich habe verteidigt in dem ersten Verfahren, das im November 1994 begann und im Dezember 1996 seinen Abschluss gefunden hat. Dieses Verfahren begann unter dem damaligen Vorsitzenden Herrn Richter am Landgericht Härtter, der dieses Verfahren auf exakt drei Monate terminiert hatte. Das Verfahren sollte nach seiner Intention bereits im Februar 1995 beendet sein.

Beredtes Beispiel für die Eiseskälte und Härte, mit der dieses Verfahren geführt wurde, ist die Verfügung des Vorsitzenden vom 17.11.1994, die ich nachfolgend wiedergebe, um damit deutlich zu machen, auf welche Art und Weise bei Verfahren dieser Art, insbesondere bei diesem, mit den Rechten der Beschuldigten und der Angeklagten umgegangen worden ist:

Anlage

Dieser sprachliche Duktus, meine sehr geehrte Damen und Herren, lässt den Atem stocken und das Blut in den Adern gefrieren.

Ich will von der gnadenlosen Härte in der Sache selbst überhaupt nicht reden. Die Sprache, dieser technokratische Verwaltungsjargon, dieser Grundton, den man vor 50 Jahren mit Stumpf und Stiel ausgerottet wähnte, das ist es, weshalb man entsetzt fragen muss, was war hier geschehen, dass eine derartige menschenverachtende Verfügung möglich machte. Wie konnte es geschehen, dass die Angeklagten schlimmer als eine Sache, schlimmer als Vieh, dass sie behandelt wurden wie Bestien in Menschengestalt.

Dreierlei wird man als Ursache für eine derartige Entgleisung festmachen müssen:

Der damalige Vorsitzende hatte sich die Horrorvisionen der Staatsanwaltschaft, wie sie in der Anklageschrift formuliert waren, bereits zu eigen gemacht.

Diese Horrorvisionen waren geeignet, rechtsstaatliches Denken außer Kraft zu setzen, die Unschuldsvermutung galt nichts mehr, Beschuldigter und Schuldiger waren identisch geworden.

Diese Umstände alleine taugen als Erklärung aber nicht, denn auch der Schuldige bleibt Mensch und wird nicht, weil er Schuld auf sich geladen hat, zur nur noch zu sichernden Bestie.

Die Gewißheit von der Identität zwischen Anklage und Wirklichkeit muss also ein solches Potential an negativen Emotionen freigesetzt haben, dass diese, statt der Ratio, handlungsbestimmend wurden.

Der sprachliche Duktus schon der Verfügung des Vorsitzenden, hat eine Haltung offenbart, die für die Einstellung vieler an dem Verfahren aktiv beteiligter Personen symptomatisch gewesen ist, ja auch, man kann sagen bis zum Schluss des Verfahrens.

Problem des Verfahrens ist gewesen, dass bei allen, die aktiv zum Entstehen dieses Verfahrens beigetragen haben, rational bestimmte Handlungsweisen von Emotionen zurückgedrängt worden sind und bei allen Beteiligten, seien es die seitens des Gerichts und der Staatsanwaltschaft bestellten Sachverständigen gewesen, seien es die Staatsanwälte gewesen, seien es die kindervernehmenden Ermittlungsrichter gewesen oder gar die Betreuer in den Heimen, haben sich nicht auf ihre jeweils angestammte Aufgabe beschränkt, sondern das Handeln aller war vielmehr von Motivations- und Zielrichtungsbündeln bestimmt.

Sämtliche verstanden sich spontan sowohl als Beschützer wie auch als Ermittler.

Mit dieser unheilvollen Verbindung unvereinbarer Rollen nahm das Verhängnis seinen Lauf, und diese unheilvolle Verbindung ist zum Zentralproblem des Verfahrens geworden.

Eines der Probleme dieses Verfahrens, welches praktisch den Grundstein gelegt hat, war die ärztliche Untersuchung am 07.06.1991 und zwar die ärztliche Untersuchung der Jenny, die auf Betreiben ihrer Tanten, also unter anderem meiner Mandantin und den Rat einer Kindergärtnerin hin wegen einer unversorgten Kopfwunde in der Praxis der dieses Verfahrens auch bestimmenden Kinderärzte Sievers und Veit in Worms vorgestellt worden ist.

Ich erspare Ihnen ein Eingehen auf die Umstände im einzelnen, will jedoch klarmachen, was ich mit unheilvoller Verknüpfung und unvereinbarer Rollen meine. Die Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. S. lautete wörtlich wie folgt:

“Wenn auch einzelne kleinere Verletzungen (Kratzer: 3 im Gesicht, Prellung: 9 am Knie) zufällig entstanden sein können, so sind doch die große Anzahl von Verletzungen unterschiedlichen Alters (beurteilt nach Grad der Verschorfung und Farbe der Blutergüsse), ihre Lokalisation (besonders am Rücken: 11,16) vorn, Ausdehnung und Richtung (Hinweis auf stabförmige Gegenstände: 12, 13 14) nach Erfahrung und Literatur sehr eindeutige Hinweise auf körperliche Mißhandlung, hier sichtbar an der Bilanz von etwa zwei Wochen. Hinzu kommt die bezüglich der Stirnverletzung “-ich wiederhole ausdrücklich, dass der behandelnde Arzt auf die Stirnverletzung verweist -” sehr eindeutige Aussagen des Kindes sowie der aus Verhalten und Aussage des Kindes sehr dringende Verdacht auf wiederholten sexuellen Mißbrauch. Der hierzu notwendige körperliche Untersuchungsbefund “- man merke auf -” war während der Erstvorstellung nicht mit Einverständnis des Kindes zu erheben. Zahlreiche früher durch Verwandte beobachtete Verletzungen des Kindes sind ebenfalls zu berücksichtigen.

Zum Schutz des Kindes vor fortgesetzter körperlicher Mißhandlung und fortgesetztem sexuellem Mißbrauch ist es erforderlich,

1.

bis zur abschließenden Klärung weder der Mutter noch dem jetzigen Ehemann den Umgang mit dem Kind zu gestatten,

2.

dringend über Aufenthaltsbestimmungs- und Sorgerecht unter Berücksichtigung der angeführten Befunde im Interesse des Kindeswohles zu entscheiden,

3.

über den Aufenthalt des ersten Kindes (R.) ist ebenfalls zu entscheiden.

Nach meiner Kenntnis der Verhältnisse schlage ich vor, das Kind in der Obhut der Großmutter und/oder der Tante, Frau Sandra H., “meine Mandantin” - das Zugangsrecht für den Vater zu belassen.”

Der behandelnde Arzt kam mithin ohne Untersuchung des Genitalbereiches und unter besonderer Hervorhebung der Äußerung des Kindes zur Stirnverletzung, schon zu der Erkenntnis, es bestehe der dringende Verdacht wiederholten sexuellen Mißbrauchs. Gleichzeitig gibt er Handlungsanweisungen, wie zum Schutz des Kindes vor fortgesetztem sexuellem Mißbrauch zu verfahren ist, schließlich gibt er Anweisung, dass der Bruder in die Maßnahmen mit einzubeziehen ist.

Das also war die Qualität der ärztlichen Befunde, von denen die Staatsanwaltschaft zu Beginn des Verfahrens - insbesondere der damalige leitende Oberstaatsanwalt von Mainz in die Pflicht nehmen lassen - vor laufender Kamera mehrfach immer wieder geäußert hat, sie seien geeignet, den sexuellen Mißbrauch zu beweisen.

Es gab auch weitere Befunderhebungen, auf abenteuerliche Weise erhobene milimetergroße, sog. Ragaden, mit bloßem Auge eingeschätzt miilimetergenau, besorgniserregende Hymenalweiten, ebenfalls mit bloßem Auge milimetergenau festgestellt und das Klaffen des Sphinkter durch schätzenden Vergleich mit einem Maßband festgestellt. Jedenfalls hat der gerichtsmedizinische Sachverständige Prof. Urban vor der bundesdeutschen Öffentlichkeit im Beitrag der Redaktion “Frontal” vom 24.09.1996 im ZDF eindeutig dargelegt, es gäbe in den vorliegenden Verfahren keinen validen medizinischen Hinweis auf sexuelle Mißbrauchshandlungen.

Welche Verhaltensweisen dieser Vorwurf und der unprofessionelle Umgang damit ausgelöst hat, belegt ein weiteres Beispiel dieses Verfahrens.

Einschneidendes Ereignis war der Tod der Mutter meiner Mandantin, die ebenfalls angeklagt war und am 14.01.1995 in der Justizvollzugsanstalt Mainz in der Untersuchungshaft verstorben ist. Sie wurde um 11.30 Uhr Tod in ihrer Zelle aufgefunden. Meine Mandantin, ihre Tochter, wurde hiervon erst um 15.30 Uhr unterrichtet.

Wir haben uns im Rahmen einer Verteidigererklärung mit diesen Umständen auseinandergesetzt, die wie folgt lautete:

Der Tod eines Angeklagten während der Hauptverhandlung findet nach der Strafprozessordnung nicht statt. Es soll nicht erörtert werden, was der Grund dieser Regelungslücke sein könnte, nach der Rechtsprechung jedenfalls erledigt der Tod des Angeklagten das Verfahren, ohne dass es eines Einstellungsbeschlusses bedürfte, zu finden in der Kommentierung zu § 206a StPO (Einstellung bei Verfahrenshindernis). Der Tod von Frau Waltraut B. hat also das gegen sie gerichtete Verfahren erledigt. Ein Verfahren, dessen Begleitumstände geprägt waren von außerordentlicher Härte und kleinlichen Ge- und Verboten.

Seit die Angeklagten alle in der JVA Mainz untergebracht sind, wird ihr Leben in der Justizvollzugsanstalt von einem Trennungsbeschluss bestimmt, der zu isolationshaften Zuständen führt. Die Angeklagten sind ausgeschlossen von Gemeinschaftsveranstaltungen, sie sind weitgehend ausgeschlossen vom täglichen Hofgang, sie sind ausgeschlossen vom sogenannten Umschluss, der einzigen Möglichkeit, während der ansonsten 24-stündigen Zellenunterbringung Kontakt zu einem Mitmenschen zu haben. Den ohnehin während Sitzungspausen gefesselten Angeklagten war geboten, auf ihrem Sitz sitzen zu bleiben, ihnen war verboten, aufzustehen. Ihnen war verboten, mit ihren Familienangehörigen, soweit man nicht unmittelbar nebeneinander sitzt, zu sprechen, ihnen war gar Heiterkeit verboten, Ordnungsrufe in dramatischer Situation unterbanden spontanmenschliche Zuwendungsbedürfnisse.

Anträge der Verteidigung, deren Bescheidung zwangsläufig Zeit beanspruchte, Zeit, die offenbar für dieses Verfahren nicht einkalkuliert war, führten zu Verhandlungen, die alle Verfahrensbeteiligten bis an den Rand der Aufnahmefähigkeit brachten und zur Streichung einer vom Gericht vor Verfahrensbeginn ausdrücklich als verhandlungsfrei bezeichneten Zeit über den Jahreswechsel 1994/1995.

Die Angeklagten wurden zum Objekt von Sicherungsmaßnahmen, Ordnungsmitteln und Zeitplänen, für die verfahrensimmanente Begründungen nicht ersichtlich waren. Die hier geschilderten Verfahrensbegleitumstände erhalten angesichts des Todes von Frau Waltraut B. für sie jedenfalls den Charakter von Endgültigkeit. Die Frage nach möglichen Änderung drängt sich in der gegebenen Situation geradezu auf.

Verfassung und Rechtsprechung lassen die Angeklagten nicht im Stich. Statt vieler Urteile des Bundesgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts soll beim Nestor des Strafprozessrechts, bei Karl Peters zitiert werden:

“Artikel 1 GG geht von der Unantastbarkeit der Menschenwürde aus. Ihre Beachtung und ihren Schutz schreibt die Verfassung als Verpflichtung aller staatlichen Gewalt vor. Damit ist der Begriff der Menschenwürde auch in das Strafverfahrensrecht eingeführt. Die Würde des Menschen besteht in dem, was ihn vor der übrigen belebten und unbelebten Schöpfung auszeichnet. Es ist seine Persönlichkeit. Sie befähigt ihn zum Denken, Empfinden, Forschen und Werten, zum sittlichen Handeln und Beurteilen. Sie ermöglicht es ihm, über die Diesseitsbezogenheit vorzudringen. Sie gibt ihm die Fähigkeit, geistiges Wesen zu sein. Sie kann zwar durch ihren Träger überdeckt, aber nicht vernichtet werden. Infolge dessen hat auch der Verbrecher Menschenwürde. Die Menschenwürde begründet die Verantwortlichkeit des Menschen, macht ihn zum Einstehen für seine Haltung und sein Tun sowie zur Sühneleistung fähig. Das Strafrecht setzt als ein auf Sühne ausgerichtetes Recht die Anerkennung menschlicher Würde, der Freiheit und der Verantwortlichkeit voraus. Es darf weder im materiellen noch im prozessualen Recht den Menschen zum Objekt degradieren (Peters Strafprozess, 4. Aufl., S. 26).”

Im Sinne dieser Ausführungen möge der Tod von Frau Waltraut B. nachdenklich machen.

Das Verfahren wurde nicht etwa im Hinblick darauf für 30 Tage unterbrochen, sondern deshalb, weil der damalige Vorsitzende Härtter einen Gehörsturz erlitten hatte und dem Verfahren nicht weiter vorsitzen konnte. Er fand nicht einmal Worte des Beileids, sondern, beweinte ausschließlich seinen Gesundheitszustand.

Der Ergänzungsrichter musste nachrücken und den Vorsitz übernahm der bis dahin als Berichterstatter tätige Richter am Landgericht Beutel, der heutige Oberbürgermeister von Mainz.

Die politischen Ambitionen unseres nun ins Verfahren eingetretenen Vorsitzenden waren jedoch auch von Anfang an klar bzw. es kristallisierte sich dann im Jahr 1995 heraus, dass er für die SPD als Kandidat zur Wahl zum Oberbürgermeister von Mainz kandidieren würde.

Ich will lediglich dieses Faktum in den Raum stellen. Die sich hieraus ergebenden Schlüsse mag jeder für sich selbst ziehen.

Tatsache ist jedenfalls, dass das Verfahren dann unter Herrn Beutel als Vorsitzenden fortgeführt wurde und klar geworden war, dass trotz der Unzulänglichkeit um nicht zu sagen dilettantischen Ausführungen der bis dahin bestellten Sachverständigen Meyer-Bouxin (korrekter Name Mayer-Bouxin - Anmerkung Väternotruf) und Hengesch andere Sachverständige nicht bestellt werden sollten, so dass als präsenter Sachverständiger von Herrn Kollegen Harschneck mit einer umfassenden Begründung Herr Prof. Dr. Burkhard Schade hinzugeladen worden ist.

Die finanzielle Möglichkeit hierzu ergab sich ausschließlich daraus, dass der Mandant ein Angehöriger der US-Streitkräfte war und sich diese für die anfallenden Kosten stark sagten.

Ansonsten wäre die Möglichkeit der Einbringung eines weiteren Sachverständigen abgeschnitten gewesen.

Herr Prof. Dr. Burkhard Schade wohnte dann als präsenter Sachverständiger dem Verfahren etwa seit März 1995 bis zum Schluss bei, war bei jeder Vernehmung der kindlichen Zeugen zugegen, die im Verfahren Worms I. nach der konventionellen Methode erfolgte.

Die Angeklagten und die Öffentlichkeit waren ausgeschlossen. Es war lediglich den Verteidigern, der Staatsanwaltschaft, den Nebenklagevertretern, dem Jugendamt, den Sachverständigen und natürlich dem Gericht nebst Ergänzungsschöffen gestattet, dieser Vernehmung beizuwohnen, was immerhin auch bei der Vernehmung der kindlichen Zeugen zu einem Personenaufkommen von etwa 20-25 Personen führte.

Anders verhielt es sich in den Verfahren Worms II. und III., zu deren Ablauf im einzelnen ich nur soviel sagen kann, dass sie in wesentlich harmonischerer Atmosphäre um nicht zu sagen angenehmer Atmosphäre stattfanden, nachdem sich Gericht und Verteidigung darauf geeinigt hatten, dass die Videovernehmung von der Verteidigung nicht beanstandet wird, wenn das Gericht einen weiteren Sachverständigen bestellt.

So kam es dort zu der Bestellung der Sachverständigen, Frau Dr. Kluck und des Sachverständigen Prof. Dr. Köhnken in den Parallelverfahren.

Im vorliegenden Verfahren jedenfalls führte die Befragung der kindlichen Zeugen der Vorsitzende, “Originalton”:

“Ich verbitte mir jegliche Interaktion der übrigen Prozessbeteiligten während meiner Befragung.”

zu zahlreichen Befangenheitsanträgen.

Die Befangenheitsanträge wurden, wie nicht anders zu erwarten, ablehnend beschieden, obwohl die Kammer wie auch die Ablehnungskammer Geisteshaltungen offenbarte, wie etwa im Beschluss vom 06.07.1995 u. a. im folgenden ihren Ausdruck fanden:

“Diese Wertung liegt für die - immerhin anwaltlich beratenen - Angeklagten, deren Verteidiger als juristisch beschlagene Personen ernst genommen werden wollen, so offenkundig auf der Hand, dass die Annahme, das eigentliche Ziel des Antrages sei nicht die Wahrung prozessualer Rechte, sondern vielmehr die Verschleppung des anhängigen Verfahrens recht nahe liegt …..”

Mit den Anträge der Verteidigung, die wissenschaftlich fundiert waren und die schlicht und ergreifend die Rechte der Angeklagten, die im Rahmen dieses Verfahrens mit Füssen getreten wurden, reklamierten, setzte sich die Kammer offensichtlich nicht auseinander.

Nachdem zahlreiche Anträge auf Aufhebung der Haftbefehl gestellt worden waren, erfolgte sodann im Rahmen der Hauptverhandlung vom 21.05.1996 die Aufhebung sämtlicher Haftbefehle.

Die Freilassung meiner Mandantin wurde angeordnet und im Dezember 1996, und zwar am 20.12.1996, vier Tage vor Heiligabend, fast auf den Tag drei Jahre nach der Festnahme meiner Mandantin, wurde sie dann freigesprochen. Ein Umfangsverfahren von 112 Verhandlungstagen und einer Dauer von über zwei Jahren hatte seinen Abschluss gefunden.

Die Staatsanwaltschaft hatte für meine Mandantin noch eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren gefordert. Die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil eingelegt Revision wurde später zurückgenommen.

Dieser Bericht, meine sehr geehrten Damen und Herren, der nur einen kleinen Ausschnitt aus dem gesamten Verfahren wiedergegeben hat, soll Ihnen deutlich machen, wie wichtig die sach- und fachkundige Auseinandersetzung mit Vorwürfen der hier in Rede stehenden Art ist und welche Folgen Fehldiagnosen haben können, die ausschließlich darauf beruhen, dass Gutachter und nicht etwa Sachverständige, sich mit dem Vorwurf in unzulänglicher Form auseinandersetzen,

welche Wirkung sodann die Medienbefassung mit derartigen Verfahren hat und die Spätfolgen dieses Verfahrens dann eben diejenigen sind, dass meine Mandantin

- Mutter von drei Kindern - die sämtlich im Dezember 1993 aus der Familie herausgenommen wurden, bis heute die Tochter, die damals das 3. Lebensjahr gerade vollendet hat, nicht mehr wiedergesehen hat.

II.

Ich will damit eingehen auf die Anforderungen, die an einen Sachverständigen und die Mindeststandards aussage-psychologischer Gutachten zu stellen sind.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes nahm den Fall Flachslanden zum Anlass, in einem Grundsatzurteil “methodische Mindeststandards” für gerichtliche Verwertbarkeit eines aussage-psychologischen Gutachtens zu formulieren (vgl. hierzu: BGH in NJW 1999, 2746 ff.)

Im konkreten Fall hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 30.07.1999 das Urteil des Landgerichts Ansbach aufgehoben und zu erneuter Verhandlung durch eine andere Jugendkammer des gleichen Landgerichts zurückverwiesen. Diese Kammer hat alsdann ein neues aussagepsychologisches Gutachten über die Bekundungen der jugendlichen Hauptbelastungszeugin in Auftrag gegeben. Die nunmehr zugezogene Sachverständige kam zu dem Ergebnis:

“Die Aussage entspricht in ihrer Qualität - vor dem Hintergrund aller diskutierten Rahmenkriterien - nicht einer erlebnisorientierten Aussage über das angegebene Delikt (langjähriger Inzest).”

Die 2. Strafkammer des Landgerichts Ansbach als Jugendkammer beendete daraufhin das Verfahren durch Einstellung:

“Das Verfahren wird mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gemäß § 153a Abs. 1 und 2 StPO (endgültig) eingestellt.

Der Angeklagte hat anstelle einer zu erteilenden Geldauflage auf Entschädigung für die in dieser Sache erlittene Haft verzichtet.”

Zur Begründung führt die Strafkammer aus:

“Entsprechend der jetzigen Beweislage besteht nur noch ein Tatverdacht für ein Vergehen nach § 176 Abs. 1 StGB als sog. minder schwerer Fall …; das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung kann durch Auflagen beseitigt werden.”

Es handelt sich bei dieser Art der Einstellung um eine Beendigung mit Selbstunterwerfung, wobei die Auflagen nicht den Charakter einer strafrechtlichen Reaktion haben. In diesem Fall brauchte der Angeklagte den Geldbetrag (der keine Geldbuße ist!) nicht wirklich zu zahlen, da dieser durch seinen Verzicht auf die ihm zugestandene Haftentschädigung als entrichtet angesehen wurde. Zum Verständnis dieser Art der Verfahrensbeendigung weist MEYER-GOSSNER (2003) in seinem Kommentar zur Strafprozessordnung ausdrücklich darauf hin:

“Die Unschuldsvermutung nach Art. 6 II MRK ist bei einer Einstellung nach § 153a StPO nicht widerlegt (BVerfG MDR 91, 891; NStZ-RR 96, 168; NJW 96, 3353, 3354; FEZER ZStW 106, 33)” (Rz. 2 zu § 153a StPO)

Dass nicht nur die in den aufsehenerregenden Massenbeschuldigungsverfahren erstatteten aussagepsychologischen Gutachten serienweise mangelhaft waren, sondern auch in der großen Menge der “alltäglichen” Strafverfahren falsche und mangelhafte aussagepsychologische Gutachten vorkommen, ist aus einer großen Zahl aussagepsychologischer Gutachtern bekannt.

Die Lage ist auf dem Gebiet familienrechtlicher Gutachten nicht besser, sondern schlechter. Das hat LEITNER (1998 damals Mitarbeiter am Institut für Pädagogische Psychologie der TU Dresden) auf Grund einer methodenkritischen Analyse einer einigermaßen repräsentativen Stichprobe von 52 Gutachten nachgewiesen. Die Gutachten stammen aus den Jahren 1994 - 1998, und zwar 50 % aus Bayern und 50 % aus anderen (einschließlich der neuen) Bundesländern. Aus freien Praxen bzw. Instituten kamen 50 % der Gutachten, von Mitgliedern der bundesweit tätigen Gesellschaft für Wissenschaftliche Gerichtspsychologie (München) 43 % und 7 % aus Hochschulinstituten. Das Ergebnis der Auswertung dieser Gutachten lautet:

“Nachdem viele Gutachten der vorliegenden Stichprobe auf relevanten Ebenen ganz elementaren wissenschaftlichen Anforderungen unzureichend genügen, erscheinen sie als Entscheidungsgrundlage für Umgangs- und Sorgerechtsregelung, die sich auf die künftige Lebenswelt und das Erziehungsgeld von Kindern sehr nachhaltig auswirken, in der vorliegenden Form eher inadäquat.

Die in diesem Rahmen gemachten Aussagen und Empfehlungen entbehren bisweilen der erforderlichen wissenschaftlichen Grundlage sogar bis hin auf elementarste Forderungen, die an wissenschaftliches Arbeiten gestellt werden müssen.

Neben der unzureichenden wissenschaftlichen Fundierung der psychologischen Untersuchung sind aber auch elementare erziehungswissenschaftliche Grundlagen (erziehungswissenschaftliche Theorien und Konzepte), die für solche Fragestellungen sehr bedeutsam wären, den Gutachten der vorliegenden Stichprobe kaum zu entnehmen” (S. 163).

Auch STELLER (2000 a) ist auf Grund seiner Kenntnis vieler familienrechtlicher Gutachten zu der Überzeugung gelangt, dass

“auch … im Rahmen familienrechtlicher Verfahren von einer bedeutsamen Dunkelziffer falsch-positiver Mißbrauchsfeststellungen auszugehen” (S. 9)

ist.

Wissenschaftliche Anforderungen, die an gerichtsverwertbare familienpsychologische Gutachten gestellt werden müssen, sind in dem Buch WESTHOFF, TERLINDEN-ARZT und KLÜBER (2000) systematisch zusammengestellt.

2. Medizinische Gutachten

Bei so viel Unsicherheit im psychologischen Bereich nimmt ein Gericht gern seine Zuflucht zu den soliden und augenfälligen körperlichen Befunden, mit denen medizinische Gutachter aufwarten können. Die Genauigkeit und die Zuverlässigkeit medizinischer Diagnosen des Kindesmißbrauchs rückten jedoch plötzlich ins Rampenlicht der Öffentlichkeit durch die sog. “Cleveland crisis”. Der Regierungsbezirk Cleveland liegt in der Grafschaft York (Nordengland).

Im General Hospital der Stadt Middlesbrough war die Kinderärztin Dr. HIGGS und ihr jüngerer Kollege Dr. WYATT tätig. Dr. HIGGS hatte von einem Kinderarzt in Leeds (Dr. WYNNE) gelernt, dass ein Phänomen, welches als “reflex relaxation and anal dilatation” bezeichnet wurde, typischerweise zu finden sei bei Kindern, die anal mißbraucht worden waren. Sie vermittelte dieses Wissen auch an ihren jüngeren Kollegen, In Cleveland war während der Jahre 1985 und 1986 von verschiedenen Seiten die Meinung geäußert worden, es werde von den verantwortlichen Stellen dem Problem des sexuellen Kindesmißbrauchs nicht genügend Aufmerksamkeit entgegengebracht. Diesen Eindruck wollen die beiden Ärzte durch ihre Aktivitäten entgegenwirken. Sie entkleideten daher jedes Kind, das zu ihnen zur Untersuchung kam, um nach dem Vorhandensein dieses Anzeichens Ausschau zu halten. Die Untersuchung des Analbereichs erfolgt bei diesen Prüfungen so, dass sich das Kind in kniender Stellung mit der Brust auf den Untersuchungstisch stützt. Durch einen behutsamen Fingerdruck werden die Gesäßhälften getrennt und mehrere Minuten in dieser Stellung gehalten. Unter diesen Bedingungen kann der “anale Dilatationsreflex” beobachtet werden, der in einem spontanen Nachlassen der Kontraktion des Schließmuskels (mithin in einer Öffnung des Afters) besteht.

Im Laufe der Monate Mai und Juni 1987 hatten die beiden Kinderärzte bei 121 Kindern (so sagt die Lord-Richterin BUTLER-SLOSS (1988), oder sogar 197, wie der Unterhaus-Abgeordnete Stuart BELL (1988) berichtete. Die meisten der betroffenen Kinder sind daraufhin sofort aus den Familien herausgenommen und zu Pflegeeltern oder in Kinderheime verbracht worden. Die Kinder, die Mütter und vor allem die Väter wurden von Mitarbeitern des Jugendamtes und von der Polizei verhört. Ein Jahr später waren 98 Kinder wieder bei ihren Eltern, 21 waren noch von ihren Familien getrennt. Unabsehbarer Schaden war den betroffenen Kindern und ihren Familien zugefügt worden auf Grund massenhafter ärztlicher Fehldiagnosen, die von Jugendämtern, Polizei sowie Anklagebehörden und Gerichten unkritisch ihren Maßnahmen zugrunde gelegt worden sind. Das britische Parlament wurde mit der Sache befasst. Es setzte einen Untersuchungsausschuß ein, dessen Vorsitz die Lord-Richterin BUTLER-SLOSS übernahm. Der Untersuchungsausschuß erstattete einen umfangreichen Bericht, der durch den Sozialminister dem Parlament übergeben wurde. Es erwies sich, dass die von den Kinderärzten angenommene Spezifität bestimmter körperlicher Anzeichen für sexuellen Mißbrauch keineswegs die von ihnen angenommene Spezifität besaßen. Es ist richtig, dass der anale Dilatationsreflex bei Kindern die anal mißbraucht worden sind, auftritt. Was aber ist darüber bekannt, mit welcher Verbreitung er bei nicht mißbrauchten Kindern auftritt?

Dieser Frage gingen der US-amerikanischen Kinderarzt McCANN und seine Mitarbeiter (1989) an der University of California in Davis nach. Sie untersuchten eine Stichprobe von 161 Mädchen und 100 Jungen im Alter von 2 Monaten bis 11 Jahren im Hinblick auf verschiedene Befunde in der Analregion, u. a. auch im Hinblick auf das Vorkommen des analen Dilatationsreflexes. In die Stichprobe wurden nur Kinder aufgenommen, bei denen eingehende psychologische Untersuchungen und Untersuchungen durch auf Kindesmißbrauch spezialisierte Kinderärzte zu dem Ergebnis geführt hatten, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit niemals einem sexuellen Mißbrauch ausgesetzt waren. Er fand eine anhaltende oder intermittierende Öffnung des Afters während einer Beobachtungszeit bis zu sechs Minuten in 49 % der untersuchten nicht-mißbrauchten Kinder (S. 187). Es kann danach keine Rede davon sein, dass dieser Befund ein irgendwie belangreiches Indiz für einen analen Mißbrauch wäre.

Der Wert von Indizien hängt von der Höhe ihrer Spezifität ab. Ein Merkmal, das bei vielen oder allen mißbrauchten Kindern, aber bei keinem oder jedenfalls nur wenigen der nicht mißbrauchten Kinder auftritt, hat eine hohe Spezifität (90 bis 100 %), ein Merkmal, welches mit annähernd gleicher Häufigkeit bei mißbrauchten wie bei nicht mißbrauchten Kindern auftritt, hat eine geringe oder gar keine Spezifität, m. a. W. keinen Indizwwert. Befunde, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf stattgehabten sexuellen Mißbrauch hinweisen, haben McCANN und KERNS in de CD-ROM Farbatlas “The Anatomy of Child and Adolscent Sexual Abuse” (1999) zusammengestellt. Die derzeit empirisch am besten fundierte Zusammenstellung von medizinischen Befunden in ihrer Aussagekraft für die Abklärung des Verdachts auf sexuellen Mißbrauch eines Kindes ist das “ADAMS Classification System for Assessing Physical, Laboratory, and Historical Information in Suspected Child Sexual Abuse 2001? (ADAMS, 2001).

In den “Wormser Mißbrauchsprozessen” hat der dortige Kinderarzt Dr. VEIT auf Grund von ihm bei den Kindern erhobener Befunde die Diagnose gestellt, sie seien sexuell mißbraucht worden. STELLER (2000 b) teilt mit, dass

“anale Dilatation zum diagnostischen Beleg für sexuellen Kindesmißbrauch in den Ausführungen des sich selbst als Experten darstellenden Dr. V. trotz des Fiaskos in Cleveland fröhliche Urständ feierte” (S.236).

Der Mainzer Rechtsmediziner URBAN betonte hingegen in seinem mündlichen Gutachten in dem Verfahren Worms III,

“dass ein den Mißbrauch beweisender Befund nur bei Spermanachweis bzw. Schwangerschaft vorliege. Selbst sexuell übertragbare Erkrankungen seien nur beschränkt beweisfähig” (STELLER 2000 b, S. 241).

STELLER verweist hierzu auf weitere deutschsprachige Literatur :

NAVRATIL (1995), HASLER (1995), KOHL & PETZOLDT (1996).

Demgegenüber hat die Düsseldorfer Rechtsmedizinerin TRUBE-BECKER (1992) anscheinend den Boden der Realität verlassen, wenn sie empfiehlt:

“Grundsätzlich sollte jeder Arzt auch an sexuellen Mißbrauch im Kindesalter als Verursacher von Krankheitserscheinungen denken, wie auch andere mit Kindern und Jugendlichen befaßte Personen: Lehrer, Nachbarn, Mütter und Eltern” (S. 62).

Die Vorstellung, dass auf dieser Grundlage Gutachten für Gerichtsverfahren erstattet werden, kann einen nur das Fürchten lehren.

SARSTEDT (1977) hat darauf hingewiesen, dass die von den Justizbehörden zugezogenen Sachverständigen ausgewiesene Fachleute sein müssten, nur dürften es keine Ärzte und Psychologen sein, die

“für die kritische Situation des Strafprozesses Aufgaben in verschiedenen medizinischen Spezialgebieten … übernehmen, von denen jedes einzelne selbst für den Spezialisten schwer zu überschauen ist” (S. 175).

Auch für kinderärztliche Untersuchungen gibt es wissenschaftliche Standards, die beachtet werden müssen, damit die Untersuchung eine wissenschaftlich gesicherte und damit gerichtlich verwertbare Erkenntnis erbringt. Die standardisierten Untersuchungsbedingungen und die standardisierten Meßpunkte sowie Normwerte für die genitale Untersuchung von weiblichen Kindern sind bei McCANN u. a. (1990) angegeben, gleiches ist für die Untersuchung der Analregion bei Jungen wie Mädchen bei McCANN u. a. (1989) angegeben.

Nachdem es wissenschaftliche Standards für psychologische wie medizinische Untersuchungen gibt, ist es möglich, vorgelegte Gutachten daraufhin zu überprüfen, ob sie diesen Standards genügen und ob sie allgemein-wissenschaftliche Methodik befolgen (die auf strafrechtlichem Gebiet darin besteht, von der Unschuldsvermutung (Art. 6 II EMRK) auszugehen und diese so lange beizubehalten, bis sie mit den erhobenen Befunden nicht mehr vereinbar ist.

Gleiches gilt auch im familienrechtlichen Bereich. Das OLG Frankfurt a. M. hat in seinem Beschluss vom 30.06.1995 - 6 UF 60/95 - ausgeführt:

“In anderen Verfahren konnte der erkennende Senat schon die Feststellung machen, dass nicht nur Elternteile, sondern auch sog. Professionelle mit dem Verdacht des sexuellen Mißbrauchs ihrerseits Mißbrauch getrieben haben. Der Senat ist daher vorsichtig, einem Elternteil den Vorwurf einer Straftat von derart einschneidender Schwere für diesen selbst als auch für die beteiligten Kinder zu machen (vgl. hierzu auch OLG Stuttgart FamRZ 1994, 718); die in unserem demokratischen Rechtsstaat allgemein geltende Unschuldsvermutung darf gerade in den vielfach hoch emotional geführten Familiensachen … als Richtschnur nicht außer Acht gelassen werden, insbesondere, wenn dem Beschuldigten angesonnen wird, zu beweisen, dass er etwas (ein Negativum) nicht getan hat und auch nicht (mehr) tun wird”(Urteilsabschrift, S. 6).

Es wird gelegentlich eingewandt, dieses Vorgehen könne für das familiengerichtliche Verfahren nicht gelten, da in diesem viel mehr die “Kindeswohlmaxime” in den Mittelpunkt zu stellen und eine Gefährdung des Kindeswohls zu verhindern sei.

Gegen diese Ansicht wendet DETTENBORN mit Recht ein:

“Solche Aussagen sind sinnfrei, solange nicht die verschiedenen Aspekte des Kindeswohls auch in ihrer Ursprünglichkeit gesehen werden. Vereinfacht gesagt, steht immer die Frage, welches Kindeswohl gemeint ist, im Raum” (2001, S. 25).

Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Entscheidung über einen Umgangsausschluss festgestellt, es könne nicht schon die “entfernte” Möglichkeit, dass ein Mißbrauch in der Vergangenheit vorgelegen hat, der sich in der Zukunft fortsetzen könnte, ausreichend sein, um so einschneidende Maßnahmen wie Sorgerechtsentzug und Aussetzung oder Ausschluss des Umgangsrechtes zu rechtfertigen, vielmehr könnten dafür

“nur Feststellungen in Betracht kommen, die eine Gefährdung als ‘naheliegend’ erscheinen lassen”,

als solche

“bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen”,

dass eine konkrete Gefährdung tatsächlich gegeben ist (DVBl 15. Sept. 1993, S. 995).

DETTENBORN (2001) bemerkt dazu im Recht:

“Damit ist eigentlich kein Unterschied mehr festzustellen zum Prinzip der Wahrheitsfindung im Strafrecht. Hier wie da wird von der Unwahr-Hypothese auszugehen sein, bis diese nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Das bedeutet ja auch nichts anderes, als ein bewährtes und grundlegendes wissenschaftliches Denkprinzip einzuhalten, nämlich einen Sachverhalt so lange zu negieren, bis diese Negation nicht mehr mit Fakten zu vereinbaren ist. Daraus ergibt sich in jedem Fall ein höherer Grad an Zuverlässigkeit von Beurteilungen (vgl. STELLER & VOLBERT, 2000). Darauf kann auch deshalb nicht verzichtet werden, weil unsichere Ausgangsbedingungen schließlich ein Kennzeichen der hier gemeinten Fälle sind. Allenfalls kann man spezifische Gründe für die Anwendung der genannten Vorgehensweise im familiengerichtlichen Verfahren anführen: Nicht ‘in dubio pro reo’ ist der Anlass, nicht die Rechtssicherheit des Verdächtigen, sondern die Gefahr, durch deplazierte Interventionen, d. h. durch Eingriffe ohne reale Mißbrauchsvorkommnisse, das Kindeswohl direkt oder indirekt zu schädigen.

Die Restrisikomenge ist am kleinsten, wenn an die Berechtigung eines Mißbrauchsvorwurfs analoge Ansprüche gestellt werden wie im Strafrecht. … Deshalb greifen auch die Bedenken nicht, von der Unwahr-Hypothese auszugehen, entspreche nur der Tendenz im Strafverfahren, falsch positive Urteile, also Falschbeschuldigungen, zu minimieren und falsch negative Urteile eher hinzunehmen (FEGERT 1999, 201 a). Die ganz anderen leitenden Prämissen und die ‘Kindeswohlmaxime’ im Familienrecht (FEGERT, 2001 a, S. 6) vertrüge sich nicht damit, sondern eher mit der umgekehrten Tendenz. Hier spiegelt sich die Auffassung, nur Schutz vor sexuellem Mißbrauch könne kindeswohldienlich sein, nicht aber Schutz vor deplatzierten Interventionen aufgrund von Falschbeschuldigungen” (S. 28 f.)

Dies wirft natürlich die Frage auf, wie derartige Gutachten einer Überprüfung zugänglich zu machen sind und auf welche Punkte sich eine derartige Überprüfung zu erstrecken hat.

3. Überprüfung von Gutachten

Damit kommen wir natürlich zum nächsten Punkt, nämlich der Überprüfung von Gutachten und insbesondere der Frage, welche Gutachter überhaupt zur Gutachtenerstattung berufen sind.

Hierbei sind verschiedene Fallkonstellationen denkbar.

Es muss allerdings sichergestellt sein, dass ein Psychologe als Sachverständiger ausgewählt wird, der auf dem Spezialgebiet der forensischen Aussagepsychologie die erforderlichen “besonderen Fachkenntnisse” und ausreichende einschlägige Berufserfahrung hat.

Der BGH legt seit langem Wert darauf, dass für eine bestimmte Fragestellung nicht nur der richtige Fachvertreter, sondern unter den vorhandenen Fachvertretern einer derjenigen ausgewählt wird, die für die anliegende Fragestellung das beste Spezialwissen und entsprechende spezielle Berufserfahrungen hat. So genügt es ihm nicht, dass der für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eines Hirnverletzten Sachverständige Neurologe ist, sondern er verlangt einen Spezialisten für Hirnverletzte (BGH NJW 1952, 633; BGH NJW 1969, 1578; MDR 1986, 441, NStZ 1987, 16, StV 1988, 52). Entsprechendes gilt für das Gebiet der Forensischen Aussagepsychologie. So schreibt BOETTICHER (2002):

“Es soll sich der Familienpsychologe, der Verkehrs-, der Polizei- oder Strafvollzugspsychologe eben nicht auf dem Gebiet der Aussagepsychologie ‘versuchen’ dürfen. Der Unterschied zwischen einem psychologischen Gutachten über die elterliche Sorge oder das Umgangsrecht einerseits und der Begutachtung einer Aussage in einem Strafverfahren andererseits liegt auf der Hand” (S. 9).

Auch Psychotherapeuten und Klinische Psychologen sind wegen ihrer andersartigen Ausbildung, Arbeitsweise und Zielrichtung für aussagepsychologische Begutachtungen nicht geeignet. Der emeritierte Kieler Ordinarius für Psychologie WEGENER, seinerseits sowohl Mediziner als auch Psychologe, hat hierzu ausgeführt:

“In den USA wurde in der Tages- und Fachpresse über zahlreiche Fälle von Kindern berichtet, deren belastende Zeugenaussagen von den Gerichten als unbrauchbar beurteilt werden mussten, nachdem dieselben Personen zugleich die Rolle des helfenden Therapeuten und die des Ermittlers für das spätere Strafverfahren übernommen hatten. Der Verfasser hat ähnliche Fälle auch in der Bundesrepublik beobachten können. Das Bemühen, als Therapeut dem Kinde in seiner schwierigen psychischen Situation beizustehen und zugleich als Gutachter wie ein ‘Ermittler’ strafrechtlich relevante Informationen zu sammeln, erwies sich als nicht durchführbar; beide Ziele erfordern im konkreten Fall vielmehr unterschiedliche Einstellungen und Vorgehensweisen.

Der Therapeut legt die subjektive Wahrheit seines Probanden zugrunde, der Sachverständige hat dagegen dabei den objektiven Sachverhalt aufzuklären. Jener geht - als Voraussetzung einer therapeutischen Beziehung - von den Angaben des Kindes aus, dieser muss die Möglichkeit einer Falschbeschuldigung in seine Überlegungen und Befragungen gezielt einbeziehen. Jede Rollendiffusion muss hier vermieden werden. Der Therapeut nimmt dem Kinde im günstigen Falle die Angst und Unsicherheit, vermittelt ihm jedoch häufig auch erst die sprachlichen Begriffe und das Wissen zur Darstellung sexueller Handlungen. Dadurch verliert das Kind seine ‘Unbefangenheit’ und die spätere Befragung reproduziert dann möglicherweise an Stelle eigener unmittelbarer Erinnerungsvorstellungen an das kriminelle Ereignis die in der Therapie erlernten Termini und Vorgangsbeschreibungen” (1992, S 34).

Daher ist auch Skepsis geboten gegenüber Erinnerungen an sexuellen Mißbrauch oder rituelle Tötungen (z. B. in Satanskulten), die erst während einer Psychotherapie aufgetaucht sind. Die in diesem Kontext von entsprechend orientierten Psychotherapeuten ausgehenden latenten oder manifesten, bewussten oder unbewussten Suggestionen sind in der wissenschaftlichen Literatur gut belegt und theoretisch durchleuchtet worden (OFSHE & WATTERS, 1996; LOFTUS & KETCHAM, 1995; CROMBAG & MERCKELBACH, 1997).

Neuerdings melden sich Psychotraumatologen zu Wort, die behaupten, bei der Beurteilung der Aussagen von Zeugen, die möglicherweise Opfer einer Sexualstraftat geworden sind, seien nur sie zuständig, weil bei den Aussagen dieser Zeugen die bewährten aussagepsychologischen Realitätskriterien (entwickelt von UNDEUTSCH 1967) nicht anwendbar seien. Wegen einer durch die möglichen Straftaten hervorgerufenen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS: ICD - 10 F 43.1 = DSM - IV - TR 309.81) seien diese Personen häufig zu einer - nach den Kriterien der Aussagepsychologie - qualitativ hochwertigen Aussage gar nicht fähig (SCHEUER & WELZEL 2001; v. HINCKELDEY & FISCHER, 2002). SCHEUER und WELZEL schreiben:

“Die Person entwickelt ein gestörtes Selbst- und Weltbild” (S. 140).

“Bezogen auf die Aussage ist insbesondere bei einem affektiv getönten Bericht über das Geschehen mit Teilamnesien, Vermeidung besonders belastender Erinnerungen und Verleugnung eigener Anteile zu rechnen. Auch der Bezug zu Raum, Zeit und Kausalität kann durchaus gestört sein. Dass eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten für die Betroffenen nicht möglich ist …, ist geradezu Kernbestand der Definition eines psychischen Traumas.” (S. 141).

Sie fordern als Konsequenz aus diesen angeblichen Erkenntnissen:

“Deshalb muss nach diesem trauma-kompensatorischen Mechanismen gesucht werden. Gesucht werden muss nach den Besonderheiten im kindlichen Erleben und Verhalten, nach den lebensgeschichtlichen Erfahrungen des Aussagenden, nach seinen persönlichkeitstypischen Verarbeitungsmustern und nach den vorgenommenen konstruktiven Lösungsschritten. Findet dieser Schritt in der Begutachtung nicht statt, … werden Schutzmechanismen, die ein Aussagender entwickelt hat, … negativ zu Lasten des Wahrheitsgehaltes seiner Aussage ausgelegt” (S. 140).

Zu einer derart umfassenden tiefenpsychologischen Erforschung der Persönlichkeit des Zeugen gibt es im Rahmen eines Strafverfahrens keinerlei Veranlassung. BOETTICHER (2002) schreibt mit Recht:

“Dem Richter kommt es auf die Qualität einer Aussage in einer bestimmten Situation an. Eine regelmäßige umfangreiche Diagnostik über die gesamte Person widerspricht nicht nur dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern würde einer generellen Pathologisierung von Opferzeugen Vorschub leisten” (S. 9 f.).

Im Rahmen eines Strafverfahrens müssen an die Qualität einer Aussage, die eventuell die einzige Grundlage für eine Verurteilung wäre, ganz bestimmte Anforderungen gestellt werden. In der Fallkonstruktion “Aussage gegen Aussage”, die in Strafverfahren gegen die sexuelle Selbstbestimmung die Regel ist, ist die Aussage der möglichen Opfer-Zeugen die einzige oder jedenfalls die entscheidende Grundlage für die Tatsachenfeststellung, die das Gericht in seinem Urteil zu treffen hat. Der BGH hat dies in seinem Beschluss vom 28.11.1990 sehr deutlich ausgesprochen:

“Die Verurteilung setzt voraus, dass das strafbare Verhalten des Angeklagten so konkret bezeichnet wird, dass erkennbar ist, welche bestimmten Taten von der Verurteilung erfasst sind. Die Taten müssen sich von anderen gleichartigen genügend unterscheiden. Eine nur vage Umschreibung der Tat oder Taten, aufgrund derer die Verurteilung erfolgte, ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. Der Angeklagte würde bei einem unbestimmten Vorwurf in seinen Verteidigungsmöglichkeiten unangemessen beschränkt. Je weniger konkrete Tatsachen über den Schuldvorwurf bekannt sind, desto fraglicher ist es, ob der Richter von der Tat i. S. des § 261 StPO überhaupt überzeugt sein kann” (StV 1991, 245).

Zwei Jahre später hat der BGH diese Anforderungen erneut eingeschärft:

“Die Tat muss als Lebensvorgang so beschrieben werden, dass praktisch unverwechselbar feststeht, welcher historische Vorgang Gegenstand der Aburteilung sein soll. Neben Tatzeit und Tatort muss auch der Gegenstand der Tat durch die Angabe der Art der Tätigkeit und des angestrebten und des verwirklichten Erfolges so konkret wie möglich geschildert werden” (StV 1993, 403).”

Im Urteil des BGH vom 03.11.1993 heisst es:

“Mit einer in solcher Weise der Konkretisierung ermangelnden Feststellung sind die Merkmale eines Straftatbestandes nicht dargetan. Sie ermöglichen nicht, den Unrechtsgehalt, Schuldumfang und Strafmaß zu bestimmen. Damit war die Verurteilung aufzuheben” (2 StR 434/93).

Aussagen, die in diesem Sinne mangelhaft sind, sind als Grundlage für die Feststellung eines bestimmten Straftatbestandes und eine eventuell darauf basierende Verurteilung schlechterdings nicht geeignet. Ob der Grund für solche Mängel der Aussage eine fehlende objektive historisch reale Tatsachengrundlage ist oder ob es (anlagebedingte oder lebensgeschichtlich bedingte) normabweichende Beschaffenheiten der Persönlichkeit des Zeugen sind, ist letztlich im Rahmen eines Strafverfahrens unerheblich. Somit ist STELLER (2002) zuzustimmen:

“Als Fazit ergibt sich: Die vorgeschlagene Modifikation der Realkennzeichen durch die Psychotraumatologie besteht im Wesentlichen in ihrer Wendung ins Gegenteil. Diese absurde ‘Weiterentwicklung’ aussagepsychologischer Bewertungsmaßstäbe reflektiert eine ausschließlich auf Affirmation ausgerichtete Begutachtungsstrategie, was nicht nur im Gegensatz zum Urteil des BGH steht, sondern auch den wissenschaftlichen Konsens über Psychodiagnostik als hypothesengeleiteten Prüfprozess nicht beachtet” (S. 70).

Schließlich ist die Fallkonstellation denkbar, dass die Verteidigung selbst einen Sachverständigen einbringt. Insoweit kann das Gericht nur unter den engen Voraussetzungen des § 245 Abs. 2 Satz 3, 3 StPO die Vernehmung ablehnen.

Von diesem Recht kann allerdings nur “der reiche Angeklagte” Gebrauch machen, da er in diesem Fall gehalten ist, selbst die Kosten zu verauslagen, was gegebenenfalls zu einem Zweiklassenstrafrecht führt, da eine Überprüfung unqualifizierter und unbrauchbarer Gutachten in angemessener Form nur auf diese Art und Weise möglich und auch in den Prozess einzubringen ist.

Oft genug wird versucht, diesen Sachverständigen dann als Sachverständigen der Verteidigung abzuqualifizieren, was allerdings völlig neben der Sache liegt.

Der Sachverständige ist den gleichen Regeln unterworfen, wie der gerichtlich bestellte Sachverständige.

Oft genug führt die Einbindung eines eigenen Sachverständigen auch dazu, dass sich Verfahren in erheblicher Art und Weise abkürzen lassen.

III.

Die Folgen eines zu Unrecht mit dem Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs behafteten Angeklagten oder Verurteilten - hiervon gibt es weiß Gott genug - sind erheblich.

Zum einen verhält es sich so, dass, gleich ob verurteilt oder freigesprochen, jedenfalls eine Stigmatisierung erheblichen Ausmaßes stattfindet.

Im Falle der Verurteilung ist dies völlig klar, allerdings auch im Falle des Freispruchs ist es so, dass oft genug gemutmaßt wird

“da wird schon was dran gewesen sein”.

Eine Wiedergutmachung scheidet in derartigen Fällen, mit Ausnahme der kargen Haftentschädigung, die im Falle der Inhaftierung nach Freispruch gezahlt wird, aus.

Es können auch noch weitere Schäden geltend gemacht werden, wie etwa Verlust des Arbeitsplatzes, der möglicherweise eingetreten ist und dergleichen mehr.

Schmerzensgeld wird allerdings bedauerlicherweise aufgrund dessen nicht gezahlt.

Man muss sich vor Augen führen, dass derjenige, der, wenn auch zu Unrecht, mit diesem Vorwurf behaftet ist und in der JVA einsitzt, auch in der Haft als Mensch 3. Klasse behandelt wird mit der Folge, dass er Repressalien jeder Art auch körperlichen ausgesetzt ist.

Die Rückkehr in das “normale Leben” gestaltet sich mehr als schwierig, von der Kindesrückführung, wie wir sie im Verfahren Worms I nach wie vor thematisieren, ganz abgesehen.

Diese konnte bis heute noch nicht mit Erfolg durchgeführt werden.

Alles in allem muss damit festgehalten werden, dass durch die Falschbeschuldigung mit dem Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs nicht wiedergutzumachende Folgen verknüpft sind.

Folgen, die nicht nur im Verfahren Worms eingetreten sind und dort durch Justiz und Behörden ein Schaden angerichtet wurde, der nicht wieder gut zu machen ist.

Auch in einer Vielzahl anderer, weniger spektakulärer Fälle, die nicht derart von Medienberichten unterlegt waren und sind, verhält es sich so, dass die Folgen durch einen unprofessionellen Umgang mit dem Vorwurf nicht wiedergutzumachen sind.

Es kann nach meiner Meinung kein Weg daran vorbeiführen, in derartigen Fällen mit größter Sorgfalt und Vorsicht vorzugehen und insbesondere im Rahmen des Ermittlungsverfahrens größte Sorgfalt walten zu lassen, da der Schaden verschlimmert wird, wenn das Verfahren in einer öffentlichen Hauptverhandlung thematisiert wird.

Ich wünsche jedenfalls Ihnen und mir, meine Damen und Herren, dass sich ein Verfahren wie Worms I und auch andere nicht wiederholen und diese Tagung u. a. dazu gedient hat, derartiges zu vermeiden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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Obst, Lermen & Kollegen - Rechtsanwälte

 

http://www.anwaltskanzlei-obst.de/2006/11/06/missbrauchsverdacht-fehldiagnose-folge/

 

 

 

 


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