Oberlandesgericht Königsberg

Ostpreußen


 

 

 

Oberlandesgericht Königsberg

Landgericht Königsberg

Amtsgericht Königsberg

Landgericht Insterburg

Landgericht Lyck

Landgericht Tilsit

 

 


 

Königsberg (amtlich bis 1936 Königsberg i. Pr., dann bis 1946 Königsberg (Pr), heute Kaliningrad), 1255 gegründet, war von 1457 bis 1945 Gebietshauptstadt und kulturelles sowie wirtschaftliches Zentrum des östlichen Preußen. Die Stadt liegt im Samland, unweit der Ostseeküste zwischen dem Frischen Haff und dem Kurischen Haff.

Die preußische Provinz Ostpreußen war ab der deutschen Reichsgründung von 1871 bis 1945 der östlichste Landesteil Deutschlands.

 

 


 

 

 

Oberlandesgerichtsbezirk Königsberg 1894

Präsident:

1879-1885 Dr. Karl Gustav von Goßler

(1886) unbesetzt

(1887-1899) von Holleben

(1900-1911) von Plehwe

(1913-1921) Dr. von der Trenck

(1922-1925) Eichner

(1926-1927) Witte

(1928) Krüger

(1929-1931) Dr. H. Holthöfer

(1932) W. Moehrs

Oberstaatsanwalt:

(1880-1888) Saro

(1889) unbesetzt

(1890) Dahlke

(1892-1899) von Plehwe

(1901-1911) Voswinckel

(1913-1920) Preuß

Generalstaatsanwalt:

(1922-1929) Krause, zugl. Präsident des Strafvollzugsamtes

(1930) M. Krause-Harder

(1931-1932) H. Danckwordt

 

1. Landgericht Allenstein

Amtsgerichte in:

Allenstein

Gilgenburg

Hohenstein

Neidenburg

Ortelsburg

Osterode

Passenheim

Soldau

Wartenburg

Willenberg

 

2. Landgericht Bartenstein

Amtsgerichte in:

Barten

Bartenstein

Bischofsburg

Bischofstein

Domnau

Friedland i. Ostpr.

Gerdauen

Guttstadt

Heilsberg

Kreuzburg

Landsberg

Nordenburg

Preußisch-Eylau

Rastenburg

Rößel

Schippenbeil

Seeburg

 

3. Landgericht Braunsberg

Amtsgerichte in:

Braunsberg

Heiligenbeil

Liebstadt

Mehlsack

Mohrungen

Mühlhausen i. Ostpr.

Preußisch-Holland

Saalfeld

Wormditt

Zinten

 

4. Landgericht Insterburg

Amtsgerichte in:

Darkehmen

Goldap

Gumbinnen

Insterburg

Pillkallen

Stallupönen

 

5. Landgericht Königsberg

Amtsgerichte in:

Allenburg

Fischhausen

Königsberg - Amtsgericht Königsberg

Labiau

Mehlauken

Pillau

Tapiau

Wehlau

 

6. Landgericht Lyck

Amtsgerichte in:

Angerburg

Arys

Bialla

Johannisburg

Lötzen

Lyck

Marggrabowa

Nikolaiken

Rhein

Sensburg

 

7. Landgericht Tilsit

Amtsgerichte in:

Heinrichswalde

Kaukehmen

Memel

Ragnit

Skaisgirren

Tilsit

Wischwill

 

 

Quellen:

Gothaisches Jahrbuch für Diplomatie, Verwaltung und Wirtschaft. Hundertdreiundsechzigster Jahrgang 1926. Gotha, 1926.

Neumanns Orts-Lexikon des Deutschen Reichs. Ein geographisch-statistisches Nachschlagebuch für deutsche Landeskunde. Dritte, neu bearbeitete und vermehrte Auflage von Wilhelm Keil. Leipzig, 1894.

 

www.verwaltungsgeschichte.de Homepage Deutsche Verwaltungsgeschichte 1871 - 1990 © 2006 by Dr. Michael Rademacher M.A.

 

http://www.verwaltungsgeschichte.de/olg_koenigsberg.html

 

 


 

 

Max Draeger

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Max Draeger

Fr. E. Max Draeger (* 18. Januar 1885 in Marienburg/Westpreussen; † 20. April 1945 in Brandenburg an der Havel) war ein deutscher Jurist und letzter Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) Königsberg (Preußen).

 

Leben 

Draeger wurde als Sohn eines Mühlenbesitzers und seiner Frau Maria, geborene Senger, geboren. Er studierte Rechtswissenschaften in Königsberg und wurde 1904 beim Corps Hansea aktiv. Draeger war passionierter Bergsteiger.

Am 20. Mai 1920 wurde er Landrichter in Danzig, am 1. Juli 1920 Landgerichtsrat in Danzig, am 1. Januar 1922 Oberregierungsrat in der Justizabteilung des Senats der Freien Stadt Danzig, am 1. Januar 1925 Amtsgerichtsdirektor in Danzig, am 1. November 1932 Landgerichtspräsident in Guben, am 7. Juli 1933 Staatsrat und Leiter der Wirtschaft in Danzig, am 1. Oktober 1935 Landgerichtspräsident in Duisburg, am 21. August 1937 Präsident des Oberlandesgerichts Marienwerder und schließlich am 1. Dezember 1937 Präsident des OLG Königsberg. Seine Versetzung an das OLG Kiel wurde 1943 von dem Gauleiter der NSDAP in Schleswig-Holstein durch einen gegen Draeger gerichteten Schriftwechsel mit dem Reichsjustizministerium hintertrieben.[1]

Über Draegers Zeit in Königsberg von 1937 bis 1945 sind im Bundesarchiv, beim Landgericht Duisburg und im Bundesjustizministerium keine Akten verfügbar. Erhalten sind zwei Aktenvermerke des Reichsjustizministeriums vom 28. und 31. Januar 1945. Danach hatte der Reichsverteidigungskommissar Erich Koch dem Reichsjustizministerium einen Funkspruch mit der Beschwerde übermittelt, „daß der Chefpräsident und der Generalstaatsanwalt Szelinski ohne Fühlungnahme mit dem RVK [Koch], und ohne für ordnungsgemäße Übertragung ihrer Dienstgeschäfte gesorgt zu haben, Königsberg mit ihrem Dienstkraftwagen über Pillau nach Danzig verlassen haben. Die Bevölkerung sei über dieses Verhalten der Vorstandsbeamten sehr erregt. Vom Innenministerium sei in Danzig veranlaßt worden, daß die beiden Vorstandsbeamten dort festgehalten würden. Er spreche die Bitte aus, auch von unserer Behörde notwendige Schritte gegen die beiden Vorstandsbeamten zu veranlassen.“ Das führte zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den OLG-Präsidenten.[2]

Damals meinte man in Königsberg, dass „Parteibonzen und ein hoher Gerichtspräsident sich aus dem Staube gemacht und sie im Dreck zurückgelassen hätten“. Diese Sicht war wohl falsch: Bei älteren ostpreußischen Anwälten und ehemaligen Richtern stand Draeger in hohem Ansehen, befand sich aber seit seinem Amtsantritt in ständigem Konflikt mit dem Gauleiter Erich Koch. Deshalb hatte sich Draeger um die gleichrangige Stellung am OLG Kiel bemüht. Wahrscheinlich ist, dass der OLG-Präsident und der Generalstaatsanwalt sich nicht absetzen, sondern im Reichsjustizministerium „auf dem Dienstwege“ über die Lage in Ostpreußen persönlich vortragen wollten. Das war damals nur mit Dienstwagen, Fahrer und Stander möglich, was gegen jede Heimlichkeit spricht. Der direkte Weg nach Berlin war versperrt, weil sich die russischen Panzerspitzen bereits der Oder näherten. So mussten Draeger und Szelinski von Danzig aus nördlich der im Ausbau befindlichen Hinterpommerschen Schutzstellung Stettin zu erreichen versuchen. Wie bereits in Danzig meldeten sie sich dort wieder im Justizgebäude. Anscheinend wurden sie nicht mehr angehört, weil von Berlin aus bereits eine Verhaftungsaktion angelaufen war. Ein Staatsanwalt und ein Wachtmeister wurden ihnen zugewiesen. Nach ihrem Eintreffen in Berlin wurden Draeger und Szelinski ins Untersuchungsgefängnis verbracht. Dort erhängte sich der Generalstaatsanwalt Szelinski in seiner Zelle.[3]

Der Volksgerichtshof verurteilte Draeger am 29. März 1945 wegen Wehrkraftzersetzung und Fahnenflucht zum Tode. An dem Todesurteil gegen Draeger war Harry Haffner beteiligt. Am 4. April 1945 wurde Draeger ins Zuchthaus Brandenburg eingeliefert, wo er am 20. April 1945, achtzehn Tage vor dem Ende des Dritten Reiches, „ehrenhaft“ erschossen wurde.

Draegers 1916 geborene Tochter, Lore Helbich aus Kassel, berichtete 2007, daß die Angehörigen von den Hinrichtungen erst im Dezember 1945 erfuhren. Die Urnen wurden auf dem Friedhof in Berlin-Friedenau beigesetzt.

Rückblick [Bearbeiten]

Draeger engagierte sich im Deutschen Beamtenbund und im Bund nationalsozialistischer Juristen. Schon bei Kriegsende wurde er dem Kreisauer Kreis zugeordnet. So wird er im Buch des Königsberger Pfarrers Hugo Linck als Mitglied des Bruderrates der Bekennenden Kirche aufgeführt. Auch seine Verurteilung wegen „Wehrkraftzersetzung“ läßt darauf schließen, dass man ihm pauschal Beziehungen zum Widerstand zur Last gelegt hat.[4] Den eigenen Untergang vor Augen, ließ denn auch das nationalsozialistische Regime Männer des zivilen Widerstands wie Helmuth James Graf von Moltke, Alfred Delp, Dietrich Bonhoeffer, Klaus Bonhoeffer und Albrecht Haushofer in der Zeit vom 23. Januar 1945 bis zum 23. April 1945 hinrichten. Wahrscheinlich wurde Draeger von Koch denunziert.

Eine vom Bundesarchiv veranlaßte Recherche in den überlieferten Beständen des ehemaligen Berlin Document Centers (BDC) brachte noch eine SA-Personalakte von Draeger zutage; aber auch sie enthielt keine Unterlagen über das Disziplinarverfahren oder den Prozeß vor dem Volksgerichtshof.

Literatur [Bearbeiten]

* Hugo Linck: Der Kirchenkampf in Ostpreußen. 1968, S. 220

* Emil Luckat: Draeger. Altpreußische Biographie Bd. III, Marburg 1975

* Hubert Schorn: Richter im Dritten Reich. Geschichte und Dokumente. Frankfurt am Main 1959

* Christian Tilitzki: Alltag in Ostpreußen 1940-1945. Die geheimen Lageberichte der Königsberger Justiz. Würzburg 2003

Einzelnachweise [Bearbeiten]

1. ↑ Personalakte (R 3001/54515) im Bundesarchiv

2. ↑ Christian Tilitzki: Alltag in Königsberg 1940-1945. Die geheimen Lageberichte der Königsberger Justiz. Würzburg 2003

3. ↑ Pers. Mitteilung von Rechtsanwalt Werner Schmidt, Hamburg, 2007

4. ↑ W. Schmidt, Hamburg

 

http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Draeger

 

gefunden am 31.10.2009

 

 


 

 

Wo Freislers Nachfolger unbehelligt lebte

Ach, die alten Zeiten

Eine Kleinstadt, das Ministerium, der Verfassungsschutz und die Justiz hielten dicht / Von Ernst Klee Sontra/Hessen

Sontra in Hessen, fünfzehn Kilometer von der deutsch-deutschen Grenze entfernt. Hinter den Fachwerkhäusern der Hauptstraße gedeihen noch Gärten. Der Werbeprospekt des Heimat und Verkehrsvereins über die Landschaft: „Die Pflanzenwelt ist alpin. Im Sommer blühen Orchideen, im Herbst der seltene Enzian . . . Hier kann man noch die heile Welt der Natur erleben."

Im idyllischen Sontra kam 1945, vielleicht auch 1946, ein Mann an, der sich Heinrich Hartmann nannte, in Wahrheit jedoch Harry Haffner hieß. Der Fremde hatte gute Gründe, sich als Heinrich Hartmann zu tarnen: 1944 war er Generalstaatsanwalt von Kattowitz geworden, und in den letzten Kriegswochen hatte ihn Hitler sogar noch zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannt. Haffner war bei seiner Ernennung erst 44 Jahre alt.

Nur wenige wissen, daß der berüchtigte Roland Freisler einen Nachfolger hatte. Daß er untertauchen konnte, blieb mehr als vierzig Jahre ein Geheimnis. In Sontra wußten viele davon. Sie schwiegen und möchten heute noch lieber schweigen als reden.

In einem Geschäft am Marktplatz frage ich, ob sich noch jemand an einen Heinrich Hartmann erinnern könne. Ein strammer Siebziger lacht: „Ach, die alten Zeiten." Er will nichts sagen, gibt aber zugleich zu erkennen, daß er Bescheid weiß. „Er war noch größer als Sie", sagt er. Schließlich wird er gesprächiger: „Der hatte viel Geld und viele Freunde in Hannover. Er wohnte drüben in der Bahnhofsstraße im Hotel Ruelberg. Da haben wir manchen gehoben." Ich frage: „Sie wußten, daß er eigentlich Haffner hieß?" Der alte Herr schaut mich mitleidig an. Ich frage weiter, ob er auch wisse, daß Hartmann/Haffner in Kattowitz und am Volksgerichtshof gewesen sei. Er blickt noch mitleidiger, will aber die Diskussion beenden: „Was man im Suff erzählt, bleibt unter Männern." Ich werfe ein, daß Haffner doch längst tot sei, er also ruhig reden könne. Nein, meint Haffners Mitwisser, er habe Stillschweigen gelobt. Ein Geheimnisträger.

Harry Haffner, am 28. Mai 1900 geboren, hatte nach 1933 Karriere gemacht. Vorgesetzte und Parteiführer förderten ihn wegen seines Eifers. So schrieb 1934 der Celler Generalstaatsanwalt, Haffner habe sich „unter Opferung fast jeder freien Stunde in den Dienst der NSDAP gestellt". Mit 37 Jahren wird er ständiger Vertreter des Generalstaatsanwalts in Kassel, mit 40 hat er den gleichen Posten in Hamm. Mit 43 Jahren wird er Generalstaatsanwalt in Kattowitz (schon 1935 hatte der osthannoversche Gauleiter Telschow seinen Parteigenossen Freisler auf Haffner aufmerksam gemacht).

Am 26. Januar 1944 wird Haffner im Festsaal der Provinzialverwaltung in sein Amt eingeführt. Staatssekretär Klemm läßt in seiner Festansprache keinen Zweifel, was man von dem neuen Mann erwarte: Es sei eine der wichtigsten Aufgaben, „diejenigen Elemente, die dem Nationalsozialismus seinen Weg erschweren oder sich ihm entgegenstellen wollen, zu beseitigen".

Wenige Monate später, am 28. Juni 1944, besuchte Haffner einen Ort, wo solche „Elemente" beseitigt wurden: Auschwitz. In seiner Begleitung waren ranghohe Juristen, darunter der spätere Senatspräsident beim Landessozialgericht in Essen, Dr. Friedrich Caliebe. Im geheimen Reisebericht heißt es: „Auf einer weiteren Verladestelle wurde ein Güterzug mit ungarischen Juden ausgeladen . . . Der Rückweg ins Lager führte an einem Krematorium vorbei."

Harry Haffner mietete 1948 unter seinem Tarnnamen Hartmann einen kleinen Laden in Sontra. Der NS-Jurist widmete sich fortan der Herstellung von Stoffknöpfen, das heißt, er ließ alte Armeeknöpfe mit Stoff überziehen. Später kam die Produktion von Schnallen und Gürteln und die Reparatur von Strümpfen und Handschuhen hinzu. 1953 beschäftigte er immerhin vier Frauen. Ob der ehemalige Generalstaatsanwalt gelegentlich an die Jahre davor gedacht hat? Am 28. Juli 1944 war in Kattowitz ein Pole namens Zdebel hingerichtet worden, weil er sich unter anderem „im Tauschhandel für Gummiband, Knöpfe und Galanteriewaren verschiedene Lebensmittel ohne Bezugsausweis" verschafft hatte.

Die Besitzerin von Haffners ehemaligem Knopfladen will gerade abschließen, um Mittagspause zu machen, als ich komme. Nein, beteuert sie, sie sagt gar nichts. „Haben Sie denn nie mit ihm gesprochen?" frage ich. Ihre Antwort: „Nein, er hat seine Miete gezahlt, das war ja nicht viel, gesprochen haben wir nichts." Ich bin fast schon aus der Tür, da höre ich: „Er lebt ja noch." Die Erklärung, daß Haffner längst tot sei, läßt sie nicht gelten: „Ich weiß, er lebt in Hannover." Freislers Nachfolger ist 1969 gestorben.

Auf dem Rückweg treffe ich den strammen Siebziger auf der Straße. „Na, was machen Ihre Recherchen?" lacht er, wissend, daß hier niemand etwas sagen wird. Wieder läßt er mich spüren, daß er erzählen könnte. „Geld hatte der und Freunde in Hannover", wiederholt er. „Das mit den Knöpfen war doch nur Tarnung."

Der nächste Besuch führt mich zu einer alten Dame, die einen Edeka-Laden führt. Sie hatte Haffner für zwei, drei Jahre eine Wohnung vermietet. Ich spreche mit ihr zwischen Regalen mit Putz und Reinigungsmitteln. Sie kann sich an nichts mehr erinnern, obgleich sie Haffner zumindest einmal besucht hat, nachdem er etwa 1954 von Sontra nach seinem Geburtsort Uslar verzogen war. Ich frage, ob auf der Türschwelle in Uslar der Name Hartmann oder Haffner gestanden habe. Ihre Antwort: „Weiß ich nicht. Wir haben nichts miteinander geredet."

Harry Haffner wollte 1952 nicht länger als Knopfproduzent Hartmann leben, wie einem Brief vom 27. August 1953 an einen Oberstaatsanwalt in Kassel zu entnehmen ist. Auf zwölf Seiten legt Harfner dar, er sei zur NSDAP gekommen, um Deutschland vor dem kommunistischen Chaos zu retten. Nachfolger Freislers sei er geworden, um extreme Kräfte von diesem Posten fernzuhalten. Unter seinem Vorsitz habe es - abgesehen von Abwesenheitsurteilen - nur zwei Verhandlungen gegeben. Dabei sei der Königsberger Oberlandesgerichtspräsident Dr. Dräger, der mit einem Torpedoboot aus der belagerten Stadt geflohen sei, zum Tode verurteilt worden. Mehr könne er nicht sagen: „Das Beratungsgeheimnis verbietet mir, nähere Einzelheiten über den Inhalt der Beratung bekanntzugeben."

In die Illegalität sei er nur deshalb gegangen, weil er fürchtete, an die Polen ausgeliefert und von einem polnischen „Femegericht" grundlos zum Tode verurteilt zu werden. Haffner: „Um endlich den immer untragbarer werdenden seelischen Druck loszuwerden, habe ich am 13. 9.1952 den niedersächsischen Innenminister als den Polizeiminister meines Heimatlandes aufgesucht und meine Verhältnisse in aller Offenheit geschildert. Sowohl in dieser Besprechung als auch in einer Unterredung mit dem Leiter des Amtes für Verfassungsschutz in Hannover vom gleichen Tage habe ich sofort meine Befürchtung wegen der mir drohenden Auslieferung zur Sprache gebracht . . . Mit dem Amt für Verfassungsschutz in Hannover habe ich im Jahr 1953 Fühlung gehalten und mindestens einmal, nämlich im Mai, mit dessen Leiter vorgesprochen." Haffner weiter: „Ich bitte Sie, die in Betracht kommenden Unterlagen vom Verfassungsschutzamt Hannover einzufordern, falls es Ihnen geboten erscheint."

 

Drei Ermittlungsverfahren sind eingestellt worden: Das Verfahren wegen seiner Tätigkeit am Volksgerichtshof und ein Verfahren wegen Beteiligung an der NS-Euthanasie. Daß Haffner unter falschem Namen lebte und falsche Papiere hatte, wurde strafrechtlich nicht geahndet. Freislers Nachfolger soll sich in einem Notstand befunden haben. Die Akten „wegen falscher Namensführung sind 1965 ausgesondert worden".

Von 1954 an bezog Harry Haffner Pension. Er war taktvoll genug, nicht in den Justizdienst zurückzustreben - wie so viele NS-Juristen.

Am Ende meines Tages in Sontra bin ich in ein Cafe gegangen. Gäste mustern mich, wie ich den ganzen Tag schon als Ortsfremder beargwöhnt wurde. Aber der ortsfremde Haffner soll nicht weiter aufgefallen sein.

Etwa acht Jahre hat der Nazi-Jurist in dem Hessenstädtchen nahe der „Zonengrenze" gelebt. Beinahe wäre es Harry Haffner gelungen, zu verheimlichen, daß er Nachfolger Roland Freislers war. Haffner war der Mann, dem Hitler während der letzten Wochen des Naziregimes das Terrorinstrument Volksgerichtshof anvertraute. Bisher wußte die Öffentlichkeit nicht einmal von seiner Existenz. Die eingeweihten Stellen im Ministerium, bei der Justiz und beim niedersächsischen Verfassungsschutz hielten dicht.

http://www.zeit.de/1987/19/Ach-die-alten-Zeiten

 

 

 

 


 

 

Zur Rolle der deutschen Justiz und Richterschaft im Nationalsozialismus siehe auch:

 

Vereinigung zur Erforschung und Darstellung der deutschen Rechts- und Justizgeschichte des 20. Jahrhunderts

www.forum-justizgeschichte.de 

 

 

Nach 1949 sollen übrigens, nach Aussage von Dieter Hildebrand (Fernsehbeitrag 10/2005) ein Drittel aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages ehemalige Mitglieder der NSDAP gewesen sein. Auch die westdeutsche Justiz war nach Kriegsende ein beliebter Tummelplatz nationalsozialistischer Parteigänger. Der Geist des nationalsozialistischen Unrechtsstaates wabert bis heute auch durch das deutsche Familienrecht in dem nichtverheiratete Väter und ihre Kinder zu Menschen zweiter Klasse erklärt werden. 

 

 


 

 

 

NS-Richter

"Nach der Veröffentlichung belastender Dokumente durch die DDR, Polen und die Tschechoslowakei kam es zu einer großen Anzahl von Anzeigen gegen Richter wegen Todesurteilen aus der NS-Zeit. Strafverfahren wurden pflichtgemäß eingeleitet und eingestellt. Selbst wenn das Todesurteil als Unrecht angesehen wurde, konnte den beteiligten Richtern daraus kein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden. Dieses überraschende und erschreckende Resultat folgte aus der Interpretation der Strafvorschrift Rechtsbeugung i. S. v. § 336 StGB durch die bundesdeutsche Justiz in den fünfziger Jahren. Da die Norm vor allem die Entscheidungsfreiheit des Richters schütze, mache sich ein Richter wegen eines Fehlurteils nur dann strafbar, wenn er mit direkten Vorsatz das Gesetz gebrochen habe.

Die angeklagten Richter konnten also behaupten, sie hätten ihr Urteil für Rechtens gehalten, um jeder Strafverfolgung zu entgehen.

...

1956 behandelte der BGH SS-Standgerichte als ordnungsmäßiges Gericht, und das Urteil als dem damaligen Recht entsprechend.

...

Kein Richter oder Staatsanwalt wurde in der BRD wegen tausendfachen Justizverbrechen im Dritten Reich verurteilt."

 

aus: "Die Justiz im Dritten Reich" von Peter Müller-Engelmann, in: "Rechtspflegerstudien", 2004, Heft 3, S. 81

 

 


 

 

 

© DIE ZEIT, 29.11.2007 Nr. 49

Von Hitler zu Adenauer

Von Dörte Hinrichs und Hans Rubinich

Vor 60 Jahren endete der Nürnberger Juristenprozess. Bald darauf gingen ehemalige NS-Juristen in der Bundesrepublik schon wieder auf die Jagd – gegen Kommunisten

Die Elite der NS-Justiz 1942: Roland Freisler, Schlegelberger, Justizminister Otto Thierack und Staatssekretär Curt Rothenberger (v. l. n. r.)

© Bundesarchiv; Bild 182-J03166

 

 

Das Urteil gegen den 71-jährigen Franz Schlegelberger fällt am 4. Dezember 1947. Es lautet auf lebenslang Zuchthaus. Schlegelberger ist der ranghöchste Jurist unter den Angeklagten im großen Nürnberger Prozess gegen die NS-Justiz. Die Alliierten wollen mit dem Tribunal einen Neuanfang auch der Rechtsprechung in Deutschland nach den zwölf Jahren des »Dritten Reiches« und dem völligen Zusammenbruch aller zivilen Normen möglich machen.

Schlegelberger, geboren 1876 in Königsberg, während der NS-Diktatur Staatssekretär und 1941/42 kommissarischer Reichsminister der Justiz, gehört zu jenen, die dem Völkermord an Juden und Polen seine gesetzliche Legitimation gegeben haben. Darüber hinaus half Schlegelberger, der selber eher den Typus des preußischen Beamten und Gelehrten verkörperte und alles andere war als ein fanatischer Nationalsozialist, bei den Mordaktionen gegen Behinderte mit. So erläuterte er 1941 vor etwa hundert führenden Juristen in Berlin den Umgang mit der geheimen Euthanasieaktion T4 zur »Vernichtung unwerten Lebens«. Er wies an, dass alle eingehenden Strafanzeigen gegen die Euthanasiemorde von den Generalstaatsanwälten unbearbeitet an das Justizministerium weitergeleitet werden sollten. Dort landeten sie im Reißwolf.

Schlegelberger bekam für seine treuen Dienste vom »Führer« (der ihn persönlich wenig schätzte) eine Dotation von 100.000 Reichsmark. Zu wenig, wie er einmal meinte, denn die Generäle der Wehrmacht erhielten das Dreifache. Von dem Geld kaufte er sich ein Gut.

»Huckepack« kehren die braunen Juristen zurück

Zehn Monate hat der Prozess gegen Franz Schlegelberger und andere Vertreter der juristischen Elite gedauert. Vor dem Hauptankläger Telford Taylor saßen 16 führende Staatsanwälte und Richter sowie Juristen des Reichsjustizministeriums auf der Anklagebank. Blutrichter genauso wie Schreibtischtäter, die mitgewirkt hatten an Rassengesetzen und Euthanasieprogrammen. Ihre Namen standen nicht zuletzt stellvertretend für eine deutsche Justiz, die den Mord an etwa 100.000 geistig und körperlich Behinderten legitimiert und nachweislich 50.000 Todesurteile gegen »Volksschädlinge«, »Defätisten« und »Wehrkraftzersetzer« verhängt hatte. Die wichtigsten Repräsentanten allerdings fehlten auf der Nürnberger Anklagebank: Otto Thierack zum Beispiel, seit 1936 Präsident des Volksgerichtshofs und von 1942 bis 1945 der letzte Justizminister des Regimes – er hatte sich selbst gerichtet –, sowie sein Nachfolger an der Spitze des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, der unmittelbar vor Kriegsende, im Februar 1945, von einer Fliegerbombe getötet worden war.

Das Nürnberger Gericht nahm sich Zeit für eine umfangreiche Beweisaufnahme – es befragte 138 Zeugen und prüfte 2093 Dokumente. Keiner der Angeklagten wurde wegen einfachen Mordes oder bestimmter Gräueltaten belangt. Vielmehr argumentierten die amerikanischen Richter, die Verbrechen der Angeklagten seien so unermesslich, dass im Vergleich dazu bloße Einzelfälle unbedeutend erschienen. Sie seien Teil eines von der Regierung organisierten Systems der Grausamkeit und Ungerechtigkeit gewesen, und sie hätten im Namen des Rechts gegen die Gesetze der Menschlichkeit verstoßen: »Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen.«

Die deutschen Juristen verteidigten sich mit dem vertrauten Argument, sie hätten nur nach geltendem Recht gehandelt. Doch selbst die NS-Gesetze enthielten oft große Ermessensspielräume. Dass viele Richter selbst für kleinste Delikte und Bagatellsachen die Todesstrafe verhängt hatten, zeigt indes den hohen Grad der Anpassungsbereitschaft auch dieser Berufsgruppe.

Typisch dafür ist der Fall Oswald Rothaug, ebenfalls Angeklagter im Nürnberger Prozess. Von 1937 bis 1943 war er Vorsitzender des Sondergerichts Nürnberg, das als besonders brutales Instrument der NS-Herrschaft galt. So verurteilte er zum Beispiel 1941 den Vorsitzenden der Nürnberger Kultusgemeinde, Leo Katzenberger, wegen Rassenschande zum Tode. Der über 60-jährige Katzenberger soll eine intime Beziehung mit einer jungen »Arierin« eingegangen sein. Vor Gericht hatte die Frau das Verhältnis bestritten: Katzenberger sei nicht mehr als ein väterlicher Freund gewesen. Während eines Fliegeralarms hätten sie nur gemeinsam Schutz in einem Keller gesucht. Rothaug aber blieb unerbittlich. Er brachte die Frau wegen »Meineids« für zwei Jahre ins Zuchthaus; Leo Katzenberger aber schickte er aufs Schafott. »Für mich reicht es aus«, tat Rothaug kund, »dass dieses Schwein gesagt hat, ein deutsches Mädchen hätte ihm auf dem Schoß gesessen.«

Die Amerikaner verurteilen Oswald Rothaug zu lebenslanger Haft. Das gleiche Urteil erhalten drei weitere Angeklagte. Acht Juristen bekommen Zuchthausstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren, darunter der Staatsekretär im Berliner Ministerium und vormalige Hamburger Justizsenator Curt Rothenberger (7 Jahre). Vier Angeklagte werden freigesprochen. Die differenzierten Urteile seien auch »ein Zeichen dafür, dass es sich nicht um eine sogenannte Siegerjustiz gehandelt hat«, meint Helmut Kramer, ehemaliger Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, der 1998 mit anderen Juristen den in Berlin ansässigen Verein Forum Justizgeschichte gegründet hat. Gemeinsam untersuchen sie die Rolle der NS-Juristen vor und nach 1945.

Nicht nur mit dem Nürnberger Prozess, auch durch den Aufbau eines neuen deutschen Justizwesens wollen die Alliierten Maßstäbe setzen. Doch der Neuanfang scheitert letztlich. In den nächsten Jahren werden alle NS-Richter und Staatsanwälte wieder eingestellt, mit Ausnahme der 1947 in Nürnberg Verurteilten. Das Ganze erfolgt in mehreren Stufen. Zunächst wird auf Drängen der Oberlandesgerichtspräsidenten im Oktober 1945 die sogenannte Huckepackregel in der britischen Zone eingeführt. Die Regel sieht vor, dass neben jedem »Unbelasteten« ein »Belasteter« in den öffentlichen Dienst zurückkehren darf. Und so geht es weiter: Bald schon wird die Regel ausgeweitet. Jetzt darf jeder »Unbelastete« gleich zwei »Belastete« mitnehmen.

Auch in den anderen westlichen Besatzungszonen lockern sich die Bestimmungen allmählich. Anfang der fünfziger Jahre können alle Nazibeamte – falls sie nicht gerade Gestapo-Agenten waren oder von den Entnazifizierungsausschüssen als schwerbelastet eingestuft sind – wieder zurück in den Dienst. Wer zu alt dafür ist, erhält Versorgungsbezüge, die allein bis 1989 bis um das Zehnfache steigen; die Entschädigungszahlungen an die Opfer werden dagegen nicht erhöht. Dazu passt der Satz der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Maria Meyer-Sevenich (SPD), die anlässlich des Entnazifizierungsschlussgesetzes am 1. Juli 1951 erklärt: »Die Entnazifizierung ist nichts anderes als ein Mittel zur Bolschewisierung des westdeutschen Raumes.«

Aus dem Osten hingegen kommt Druck ganz anderer Art. Denn aus der sowjetischen Besatzungszone, wo zunächst alle NS-Richter und Staatsanwälte ihrer Ämter enthoben wurden, strömen viele Nazijuristen auf der Flucht vor den neuen Machthabern in den Westen. Auch sie wollen beschäftigt sein.

1951 führt eine Welle von Begnadigungen auf Druck der Regierung Konrad Adenauers dazu, dass selbst die Verurteilten des Nürnberger Juristenprozesses wieder auf freien Fuß kommen – bis auf den »Blutrichter« Oswald Rothaug, der erst 1956 aus der Haft entlassen wird. Franz Schlegelberger kommt ebenfalls 1951 frei. Für die Zeit seiner Inhaftierung von 1945 bis 1951 werden ihm 280.000 Mark Ruhegehalt nachgezahlt. Die Adenauer-Regierung plädiert – ganz im Sinne weiter Bevölkerungskreise – für einen »Schlussstrich« unter die Vergangenheit.

Der Ex-Nazirichter verurteilt den ehemaligen Widerstandskämpfer

Während immer mehr ehemalige NS-Richter und Staatsanwälte wieder in Amt und Würden gelangen, müssen sich immer weniger Naziverbrecher vor Gericht verantworten. Zur selben Zeit – der Kalte Krieg versetzt die Welt in permanenten Alarmzustand – beginnt in Westdeutschland die Jagd auf alles »Kommunistische«. Von 1951 bis 1968 leitet die bundesdeutsche Justiz 138.000 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Kommunisten und Sympathisanten ein. Es kommt zu etwa 7000 Verurteilungen.

In dieser Atmosphäre sorgt der Fall Philipp Müller für Aufsehen. 1931 in München-Neuaubing geboren, war der gelernte Schlosser 1950 in die KPD eingetreten und hatte ein Jahr später wegen »kommunistischer Umtriebe« seine Arbeit verloren. Am 11. Mai 1952 beteiligte sich der junge Mann, als Mitglied der FDJ, in Essen an einer verbotenen Demonstration gegen die geplante Wiederaufrüstung. 30.000 Menschen waren auf der Straße. Die Polizei griff ein. Zwei Kugeln eines Polizisten von der Einsatzgruppe Knobloch trafen Philipp Müller in den Rücken, eine durchbohrte sein Herz.

Die juristische Aufarbeitung des Skandals gerät zur Farce: Das Dortmunder Landgericht stuft in seinem Urteil vom 2. Oktober 1952 die Schüsse als Notwehr ein. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der KPD im Bundestag, Heinz Renner, fordert einen Untersuchungsausschuss. Doch dazu kommt es nicht. Das politische Klima verschärft sich weiter.

Unter maßgeblicher Beteiligung von Kommunisten bilden sich sogenannte Ausschüsse für Volksbefragungen. Sie wenden sich gegen die Wiederaufrüstung und sammeln Unterschriften. Im Nu entwickelt sich daraus ein Fall für den Bundesgerichtshof. Zwei Funktionäre des Hauptausschusses, Oswald Neumann und Karl Dickel, werden am 2. August 1954 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr Vergehen, stellt Helmut Kramer vom Forum Justizgeschichte fest, war es, dass sie sich als »Rädelsführer einer verfassungsfeindlichen und kriminellen Vereinigung« engagiert hatten.

Konsequenterweise geht man jetzt auch gegen die Partei selbst vor, die bei der Bundestagswahl 1953 auf gerade noch 2,2 Prozent gekommen ist. 1956 verbietet das Verfassungsgericht in Karlsruhe die KPD. Parteizentralen werden gestürmt, zahlreiche Funktionäre und Mitglieder verhaftet und zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt.

Ein beispielhafter Fall ist der Walter Timpes, Journalist und KPD-Mitglied. Er und seine acht Kollegen schreiben für die Tageszeitung Die Wahrheit / Neue Niedersächsische Volksstimme. Im Mai 1955 stehen sie vor der Großen Strafkammer des Lüneburger Landgerichts – wegen kritischer Zeitungsartikel über Konrad Adenauer und seine Pläne zur Wiederbewaffnung. Anklagevertreter ist, und hier schließt sich der Kreis zum »Dritten Reich«, der ehemalige NS-Staatsanwalt Karl-Heinz Ottersbach, der Richter heißt Konrad Lenski.

Karl-Heinz Ottersbach war 1940/41 Staatsanwalt im oberschlesischen Kattowitz und zuständig für die Sondergerichtsverfahren. Ottersbach war besonders gegen Polen brutal vorgegangen. 1941 verurteilte er eine jüdische Frau, Mutter von fünf Kindern, der vorgeworfen wurde, auf dem Schwarzmarkt ein Kaninchen eingetauscht zu haben. Das Strafmaß des Sondergerichts: acht Jahre Zwangsarbeit. Ottersbach hielt das sogar noch für zu milde und verlangte mehr. Das älteste Kind der Angeklagten, es war acht Jahre alt, schrieb schließlich ein Gnadengesuch an Ottersbach. »Wir sind schon fast am Verhungern, das Jüngste ist erst 6 Monate alt. Wir haben nichts mehr zu essen.« Ottersbach kannte keine Gnade und legte das Schriftstück zu den Akten.

Auch Richter Konrad Lenski war kein unbeschriebenes Blatt: Erst hatte er am Reichskriegsgericht sehr viele Todesurteile gefällt. Später verurteilte er als Militärrichter in Straßburg zahlreiche französische Widerstandskämpfer zum Tode.

Zehn Jahre nach Kriegsende sitzen nun Ottersbach und Lenski in Lüneburg über den kommunistischen Journalisten Walter Timpe und dessen Gefährten zu Gericht. Die politische Sonderstrafkammer des Landgerichts Lüneburg ist besonders fleißig. In den fünfziger und sechziger Jahren führt sie durchschnittlich 600 Staatsschutzverfahren pro Jahr durch. Lüneburg nimmt damit eine Spitzenposition in Niedersachsen ein. Die Anklagen lauten auf hochverräterische Unternehmungen, Geheimbündelei, landesverräterische Beziehungen, Staats- und Verfassungszersetzung oder Verunglimpfung der Staatsorgane. Letzteres wird Walter Timpe vorgeworfen.

Staatsanwalt Ottersbach, berichtet Timpe heute, sei für ihn »so ein Freisler-Verschnitt« gewesen. »Der wollte einschüchtern. Lenski war der Gutbürgerliche, aber zynisch und ein wenig hinterhältig.« Timpe und seine Kollegen werden zu einem Jahr beziehungsweise zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Unter den Verurteilten befinden sich auch Leo Heinemann und Werner Sterzenbach. Sie sind beide Juden und Kommunisten, beide waren sie im französischen und im holländischen Widerstand aktiv. Dass sie noch Jahre nach dem Ende des Krieges im befreiten Deutschland (ehemaligen) Nazijuristen in die Fänge geraten würden, haben sie gewiss nicht erwartet.

Ähnlich bizarr ist das Schicksal des Kommunisten August Baumgarte, geboren 1904 in Hannover. 1933 verurteilten die Nazis ihn zu einem Jahr Haft und verschleppten ihn in die Arbeitslager Moringen und Esterwegen. 1935 kam er für sechs Jahre ins Zuchthaus nach Waldheim. Während der Kriegsjahre 1941 bis 1945 durchlitt Baumgarte die Vernichtungslager in Sachsenhausen und Mauthausen. Nach Kriegsende übernahm er 1947 die KPD-Bezirksleitung Niedersachsen und war einer der Gründer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Als 1956 die KPD verboten wird, verurteilt dasselbe Landgericht Lüneburg, das ein Jahr zuvor bereits Timpe zum Verhängnis geworden ist, auch August Baumgarte zu drei Jahren Gefängnis.

Es versteht sich von selbst, dass mit dieser Justiz die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht aufzuarbeiten sind. Am 6. November 1958 gründen die Justizminister der Länder die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg bei Stuttgart. Sie soll vor allem die Untaten aufdecken, die in den besetzten deutschen Gebieten geschahen. Rund 100.000 Tatverdächtige werden in den nächsten vierzig Jahren ausfindig gemacht, davon allerdings nur 6500 rechtskräftig verurteilt. Denn die Zentralstelle ist nicht befugt, Anklage zu erheben. Ihre Beweise gehen an die zuständigen Staatsanwaltschaften, die dann darüber befinden, ob es tatsächlich zur Anklage kommt.

Auch gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte wird ermittelt, angeklagt wird keiner. »Das lag an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes«, berichtet Willy Dreßen, der ehemalige Leiter der Zentralstelle, die es inzwischen nicht mehr gibt. Die Nazirichter hätten nur dann zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie gegen ihre Überzeugung gehandelt hätten. »Die sagten aber immer, sie seien damals ideologisiert gewesen. Und infolgedessen glaubten sie Recht zu sprechen, indem sie dieses oder jenes Todesurteil verkündeten. Das Gegenteil ließ sich schlecht nachweisen.«

Offensichtlich ist der Bundesgerichtshof jener Jahre an der Beschäftigung mit der NS-Zeit nicht interessiert. Der legendäre hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903 bis 1968), einer der Mitinitiatoren des Auschwitz-Prozesses von 1963 bis 1965, bezeichnete den Bundesgerichtshof als eine »Traditionskompanie des Reichsgerichts«. Und in dem 2005 erschienenen Buch des Richters Klaus-Detlev Godau-Schüttke über den BGH heißt es resümierend, die Richterschaft habe »kein Bekenntnis zu den eigenen Verbrechen in der NS-Zeit« abgelegt. »Das skandalöse Verhalten vieler Juristen sowie erzkonservativer und deutschnationaler Politiker nach 1950 hatte schließlich zur Folge, dass zahlreiche NS-Justizverbrecher am Bundesgerichtshof wieder ›Im Namen des Volkes‹ Recht sprechen konnten.«

Mit den Bestimmungen des Bundesgerichtshofs müssen auch die Ermittler der Zentralstelle in Ludwigsburg leben. So dürfen sie nur gegen Täter ermitteln, die wegen Mordes oder wegen Beihilfe zum Mord angeklagt werden können. Alle Totschlagsdelikte und Körperverletzungen mit Todesfolge gelten seit 1960 als verjährt.

Erst 2002 werden die verfolgten Kommunisten als Opfer anerkannt

Dafür werden in den fünfziger und sechziger Jahren eben andere verfolgt: Laut BGH-Urteil vom 20. März 1963 macht sich strafbar, wer kommunistische Auffassungen und Ziele unterstützt. Als staatsgefährdend gilt zum Beispiel jeder, der sich für die Verständigung mit der DDR einsetzt und die Oder-Neiße-Linie als endgültige östliche Grenze akzeptiert. »Die juristische Brücke zur Staatsgefährdung und damit zur Strafbarkeit«, bemerkt Helmut Kramer vom Forum Justizgeschichte, »schlugen die Gerichte mit der Begründung, das alles seien bekanntlich auch Forderungen der SED. Dasselbe galt für Flugblätter, die sich gegen die beabsichtigte atomare Aufrüstung der Bundeswehr und gegen die geplanten Notstandsgesetze wandten. Auch das seien bekannte Schlagworte kommunistischer Propaganda.«

Für Kramer ist dies ein Gesinnungsstrafrecht, das auf die Staatsschutzgesetze aus dem Jahr 1950 zurückgeht – verdächtig ähnlich dem von den Alliierten abgeschafften NS-Staatsschutzrecht von 1934. Kein Zufall, denn an der Ausarbeitung beider Gesetze hatte Josef Schafheutle maßgeblichen Anteil. Der Jurist, Jahrgang 1904, war sozusagen übergangslos vom Berliner ins Bonner Justizministerium übergewechselt. 1945 gehörte er zu den Mitbegründern der CDU.

Die Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Pfarrer, die man während der Adenauer-Zeit als Staatsfeinde verurteilt hat, kämpfen bis heute für die Anerkennung des erlittenen Unrechts. Die Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges Niedersachsen setzte sich unter anderem für Walter Timpe ein. Mit Erfolg: Aufgrund einer Eingabe aus dem Jahre 2002 beschloss der Niedersächsische Landtag einstimmig, die Opfer anzuerkennen. Er entschuldigte sich im Namen des Landes Niedersachsen bei Timpe.

Ein später Neuanfang.

Die Autoren sind Wissenschaftsjournalisten und leben in Köln und in Rosbach bei Frankfurt a. M.

© DIE ZEIT, 29.11.2007 Nr. 49

http://www.zeit.de/2007/49/A-Juristenprozess?page=all

 

 


 

 

 

6. Negative Filiationsklage

In diesem Fall aus dem Jahre 1890 geht es lateinisch zu. Was ist eine negative Filiationsklage? Eine solche Klage bezeichnet einen Sachverhalt, den es auch in der heutigen modernen Zeit noch gibt: Während bestehender Ehe bekommt eine Ehefrau ein Kind, das tatsächlich nicht von Ihrem Ehemann abstammt. Wer weiß, was die Gründe hierfür waren?

Bekanntlich ist es bis heute so, daß sämtliche während der Ehezeit geborenen Kinder als ehelich gelten1. Es gelten die lateinischen Wendungen „pater est, quem nuptiae demonstrant“2 und die Weisheit „pater semper incertus est“3!

Wenn das Kind allerdings vom wahren Sacherverhalt erfährt, keimt in ihm desöfteren der Wunsch auf, das festgestellt wird, daß der wahre Vater nicht der Ehemann der Mutter ist.

So auch in der am 15. Januar 1886 geschlossenen Ehe eines Mannes, der wegen Blödsinnes am 11. Oktober 1888 entmündigt wurde. Die am 7. Juni 1886 geborene Tochter begehrt mit Hilfe ihres Vormundes die Feststellung, daß sie nicht die Tochter des wegen Blödsinnes Entmündigten ist. Es war ihr vielleicht peinlich.

Die vor der Entscheidung des Reichsgerichts mit der Sache befaßten Gerichte in Insterburg und Königsberg haben die Klage für unzulässig erachtet.

Das Reichsgericht schloß sich den Vorinstanzen an:

Tenor

Ist ein in der Ehe geborenes Kind, dessen Ehelichkeit von dem Ehemanne nicht angefochten wird, berechtigt, gegen den Ehemann eine auf Anfechtung der Ehelichkeit gerichtete Klage zu erheben? (Landgericht Insterburg, Oberlandesgericht Königsberg, Reichsgericht vom 03.07.1890,

76/90, RGZ 26, S. 305 – 308)

Das Reichsgericht zeigt die Rechtslage des gemeinen deutschen Rechtes und des preußischen und französischen Rechts auf. Ferner zieht es die Motive zum Entwurfe des bürgerlichen Gesetzbuches zu Rate. Es stellt fest, daß ein Anfechtungsrecht des Ehemannes und dasjenige von Verwandten des Ehemannes anerkannt sei. Die gesetzlichen Regelungen hätten das Ziel, eine sichere Feststellung des Familienstandes zu bezwecken. Nur der Ehemann könne anfechten. Ficht er nicht an, stehe die Ehelichkeit des Kindes allgemein fest.

Da hier der wegen Blödsinns entmündigte Ehemann die Vaterschaft nicht angefochten hat und das Anfechtungsrecht damit erloschen ist, ging die negative Filiationsklage wegen Unzulässigkeit ins Leere.

Das Urteil schweigt bis heute darüber, wer der wahre Vater ist. Überraschung in der jungen Ehe

RGZ 12, S. 166 - 169

Kann die Präsumption der Vaterschaft des Ehemannes widerlegt werden durch den Beweis der vorehelichen Erzeugung des Kindes? Urteil vom 28. November 1884, 166/84, Landgericht Wiesbaden, Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Ein Ehemann verklagte gleich zu Beginn der Ehe seine am 207. Tage der Ehe geborene Tochter mit der Behauptung, sie sei nicht von ihm konzipiert worden.

Er behauptete, daß das Kind schon vor der Ehe konzipiert worden sei und daß er der Ehefrau vor der Ehe nicht beigewohnt habe. Die ersten 2 Instanzen wiesen seine Klage ab. Das Reichsgericht pflichtete den Vorinstanzen unter Hinzuziehung römisch-rechtlicher Grundlagen bei: Diesen Grundlagen entnahmen die Reichsgerichtsräte, daß der Ehemann als der Erzeuger der während seiner Ehe von seiner Ehefrau konzipierten Kinder zu gelten hat, wenn ein solches frühestens am 182. Tage geboren werde. Dann sei es nach dem Grundsatz „justo tempore natum esse“4 als ehelich zu betrachten. Ein Gegenbeweis könne nicht für statthaft erachtet werden.

Wenngleich wir alle die Eheleute nicht kennen: Welche Stimmung wird wohl in dieser Ehe vorgeherrscht haben?

Anfechtung der Ehe bei Täuschung über die wahren Vermögensverhältnisse

RGZ 18, S. 223 - 225

Kann nach gemeinem protestantischen Kirchenrechte die Ehe wegen Betruges über die Vermögensverhältnisse angefochten werden? Urteil vom 27. Mai 1887, 59/87, Landgericht Hannover, Oberlandesgericht Celle

 

Ein gutsituierter Mann erteilt der von ihm auserwählten Schönheit den Ehekonsens. Er war der Meinung, daß seine frisch angetraute Ehefrau eine vermögende Dame sei. In der Hochzeitsnacht erfährt er, daß diese völlig vermögenslos ist. Er erklärt die Anfechtung des Ehekonsenses mit der Begründung, er sei einem Betrug zum Opfer gefallen.

Die vor dem Reichsgericht mit der Sache befaßten Gerichte lehnten eine Anfechtungsmöglichkeit des Ehebandes ab. Sie argumentierten, die Persönlichkeit der Ehefrau bleibe dieselbe, ob sie nun über 5, 500 oder 5000 Thaler verfüge.

Da diese Ansicht rechtsirrtümlich war, hob das Reichsgericht das Berufungsurteil unter Verweis auf RGZ 5, S. 177 ff. auf. Es teilt den Berufungsrichtern mit, daß es nicht erforderlich ist, daß der Irrtum, unter welchem der Getäuschte die Ehe geschlossen hat, Eigenschaften oder Umstände betrifft, welche das Wesen der Ehe selbst berühren, entscheidend ist vielmehr allein die Frage, ob die Kenntnis des verheimlichten Umstandes den Getäuschten bei vernünftiger Überlegung vor Eingehung der Ehe abgehalten haben würde.

In einer erneut durchzuführenden Verhandlung müsse geklärt werden, ob der Ehemann, wenn er den wahren Sachverhalt gekannt hätte, bei vernünftiger Überlegung die Ehe nicht geschlossen haben würde.

Unabhängig vom Ergebnis dieser Beweisaufnahme sei aus heutiger Sicht die Bemerkung gestattet, ob die Ehe nicht schon bereits mit diesem Prozeß gescheitert war. Es liegt die Vermutung nahe, daß diese Ehe – mit welcher Begründung auch immer –keinen Bestand gehabt haben wird.

Ist Besitz oder „Quasibesitz“ an einem Ehegatten möglich?

RGZ 31, S. 171 - 175

1. Begründet die eigenmächtige Entfernung des Ehegatten eine exeptio spolii gegen seine auf Ehescheidung gerichtete Klage? 2. Kann die exceptio spolii aus eigenmächtiger Entziehung des Besitzes körperlicher Sachen nach heutigem Recht in Ehesachen der Klage entgegengesetzt werden? Urteil vom 25. April 1893, 323/92, Landgericht Erfurt für das Fürstentum Schwarzburg – Sondershausen, Oberlandesgericht Naumburg

 

Unter einer „exceptio spolii“5 wird eine Besitzstörungsklage verstanden. Auch dieser Fall zeugt von dem Einfallsreichtum der Prozeßparteien. Eine Ehefrau zieht ohne Erlaubnis des Ehemannes aus und reicht die Scheidung ein. Der Ehemann vertritt daraufhin die Meinung, daß durch den Auszug eine Beraubung seines Besitzes an der Ehefrau vorgenommen wurde und die Scheidung daher abzuweisen ist. Dieser Einwand nötigt das Reichsgericht, einige Ausführungen zum Besitz am Ehegatten vorzunehmen.

Das kanonische Recht kenne – anders als der Ehemann behauptet – keinen Besitz am anderen Ehegatten. Wohl aber den Begriff des „Quasibesitzes“ am gegenseitigen Recht der Ehegatten. Zeugnisse für die Anwendung des Besitzschutzes auf das eheliche Verhältnis habe es früher im gemeinen Recht bis zur Mitte des Jahrhunderts gegeben. Das Reichsgericht stellt fest, daß einige Ansichten der „Rechtsanschauung widerstreben“. Im Ergebnis dringt der erfindungsreiche Ehemann mit seiner Meinung, er habe ein Recht zum Besitz an seiner Ehefrau, nicht durch.

 

 


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