Entwicklungspsychologie

Vater - Vaterschaft- Väter - Kind


 

 

 

 

 

 

Inge Seiffge-Krenke: 

Psychotherapie und Entwicklungspsychologie.

Heidelberg: Springer 2003

In diesem Buch geht es um Beziehungsentwicklung im Familienkontext. Die Familienbeziehung wird von der Paarbeziehung bis zur Geburt von Kindern und schließlich dem Auszug der Kinder beschrieben, wobei wichtige Entwicklungsherausforderungen, aber auch Stressoren und Bewältigungsmöglichen aufgezeigt werden ( „Warum ist ein Kind eine Chance für ein Paar?“). Gegenwärtig wird zwar eine umfangreiche Geburtsvorbereitung betrieben, NACH der Geburt von Kindern wird das Paar aber ziemlich allein gelassen mit den wichtigen und anstrengenden Anforderungen. Insbesondere bei schwierigen Kindern, ( geringes Geburtsgewicht, Frühgeburt, Mehrlingsgeburt) kann ein Paar da schon an die Grenzen seiner Belastung kommen. Erneute Herausforderungen stellen sich dann, nachdem eine gewisse Routine eingetreten ist, mit der Geburt des zweiten Kindes. Das Entwicklungspsychologen gefunden haben, das es 2(!) Jahre braucht, bis der neue Erdenbürger in die Familie integriert wird, zeigt schon die zeitliche Dimension, unterstreicht aber auch, dass sich die meisten Ehepaare zu einem Zeitzpunkt scheiden lassen, zu dem dieser Prozeß noch nicht abgeschlossen ist.

In einem Kapitel über Bindung wird die neueste Forschung über Mutter-Kind Beziehungen und ihre Bedeutung vor allem in der Säuglingszeit dargestellt. Wie elementar wichtig diese ersten Beziehungsprozesse sind, die den Grundstein für ganz langfristige Auswirkungen auch auf spätere Beziehungen haben, wird schlüssig dargelegt. Zu den Besonderheiten dieses Buches zählt, das auch das weitere soziale Umfeld nicht vergessen werden, nämlich die Freunde und die Geschwister, denen jeweils eigene Kapitel gewidmet werden. In ihnen wird deutlich, das Freunde und Geschwister echte „Entwicklungshelfer“ sind. Ein weiteres Kapitel hat die Bedeutung von Phantasie und Kreativität für alle Menschen, vor allem aber für Kinder und Jugendliche zum Gegenstand. Aber auch in Erwachsenenbeziehungen spielt Phantasie noch immer eine herausragende Rolle und wird zu wenig berücksichtigt. Es wird deutlich, das diese Fähigkeiten Schutzfaktoren sind, wenn die Entwicklungssbedingungen schwierig verlaufen.

In ganz ähnlicher Weise greift das Väterkapitel vergessene, übersehenen und für die Familie wichtige Bezüge auf: Die entwicklungspsychologische Familienforschung hat fast ausschließlich auf Mutter-Kind-Beziehungen fokussiert und auch z.B. in der Bindungsforschung den Vater erst neuerdings entdeckt. Auch im Umgang mit Patienten, d.h. in der klinischen Psychologie, der Psychosomatik und Psychotherapie hat man sich zunächst ganz überwiegend mit der Mutter-Kind-Beziehung beschäftigt Die in den letzten Jahren erschienenen Bücher über Väter haben ganz überwiegend defizitäre Aspekte von Vätern zum Gegenstand, wie etwa „abwesende Väter“, oder „ferne Väter“ oder „Kriegsväter“.

Nun ist es in der Tat ein häufig berichtetes Faktum, dass wir unter Patienten von Psychotherapeuten oder psychosomatischen Einrichtungen gehäuft solche finden mit einer Vaterproblematik, d.h. einem nicht vorhandenen Vater oder einer konflikthaften Beziehung zum Vater, Allerdings ist die Tatsache, dass ein Kind vaterlos aufwächst, sicher ein Risikofaktor, aber nicht nur aufgrund der „Vaterlosigkeit“, sondern weil sich dahinter ein ganzer Komplex von Bedingungen verbirgt (Armut, ökonomische Einbußen, erhöhte Berufstätigkeit der Mütter, Mangelversorgung, schlechte hygienische Verhältnisse, niedriger sozioökonomischer Status u.ä.), die für sich genommen alleine schon zeigen, dass diese Kinder unter belastenden Entwicklungsbedingungen aufwachsen, zu denen die Vaterabwesenheit noch beiträgt.

Das Buch von Seiffge-Krenke zeigt, dass eine weitere Pathologisierung von Vätern uns nicht wirklich voran bringt. Wie sie durch zahlreiche Studien belegt, leisten Väter, ebenso wie Mütter, einen besonderen Beitrag zur Kindererziehung und sind wichtig für die psychische und körperliche Entwicklung von Kindern. Die entwicklungspsychologischer Forschung zeigt, dass Väter insbesondere die motorischen Funktionen und die Verselbstständigung von Kindern sehr stark fördern und damit einen Anreiz für das Kind bieten „neugierig forschend die Welt zu entdecken.“ Wir wissen ebenfalls aus der klinischen und psychopathologischen Forschung, dass Väter häufig kompensatorische Funktionen übernehmen, wenn Mütter aufgrund von schweren Erkrankungen (Psychosen, schweren Depressionen, Krebserkrankungen u.ä.) ihre Rollen nicht übernehmen können. Wir wissen schließlich aus Studien an allein erziehenden Vätern, dass diese sehr gut in der Lage sind, „mütterliche und väterliche Funktionen“ zu übernehmen. Dies alles weist auf eine enorme Bedeutung von Vätern hin, jedoch auch auf eine große Plastizität im psychischen Geschehen und insbesondere auch auf Kompensationsmöglichkeiten.

Dass dabei noch Kontextbedingungen und historische Veränderungen d.h. die Einbettung in die Familie, Scheidungsraten etc zu bedenken sind, ist ein wichtiger Punkt, der in dem Buch von Seiffge-Krenke angesprochen wurde. Insgesamt greift es viele bislang in der Familienforschung vernachlässigte Aspekte ( Väter, Geschwister, Freunde, Scheidung etc) auf uns ist durch zahlreiche spannend zu lesende Fallbeispiele und Graphiken anschaulich illustriert.

 

 


 

 

"Die Rolle der Väter in der Entwicklungspsychopathologie"

Manfred Laucht

in: "Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie", 32 (3), 235-242, Hogrefe-Verlag Göttingen 2003

 

Zusammenfassung: Die Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung für kindliche Fehlentwicklungen wird seit langem intensiv diskutiert. Welche Rolle den Vätern zukommt, wenn ein Kind psychische Probleme entwickelt, bleibt dagegen häufig ungewiss.

Diese Untersuchung entstand im Rahmen des Projekts "Entwicklungspsychopathologie und Vater-Kind-Beziehung" mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

 

 

Kontakt: laucht@zi-mannheim.de

 

 

 

 


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