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Eissporthalle Bad Reichenhall

BGH hebt Freispruch für Gutachter auf

Vier Jahre nach dem Einsturz der Eissporthalle von Bad Reichenhall wird der Prozess teilweise neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof verwies den Fall ans Landgericht Traunstein zurück.

© Ralph Orlowski/Getty Images

Eingestürzte Eissporthalle in Bad Reichenhall: Der Fall muss neu verhandelt werden

Eingestürzte Eissporthalle in Bad Reichenhall: Der Fall muss neu verhandelt werden

Die Geschehnisse vom 2. Januar 2006 werden erneut vor Gericht verhandelt. An jenem Tag war das falsch konstruierte und schlecht gewartete Holzdach der Eissporthalle in Bad Reichenhall unter der Schneelast eingestürzt. 15 Menschen kamen in den Trümmern ums Leben, sechs weitere wurden schwer verletzt.

Zunächst wurde der Fall vor dem Landgericht Traunstein verhandelt. Die Richter verurteilten im November 2008 den Dach-Konstrukteur wegen fahrlässiger Tötung zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung. Ein Architekt und ein Gutachter wurden dagegen freigesprochen.

Der Mann hatte der Halle drei Jahre vor dem Einsturz einen "guten Zustand" bescheinigt. Der Statiker hatte allerdings nur einen der zehn Balken der Dachkonstruktion genauer geprüft und die anderen mit dem Teleobjektiv seiner Kamera vom Boden aus untersucht.

Nach Überzeugung der Traunsteiner Richter hatte er aber auch gar kein Standsicherheitsgutachten, sondern nur eine Kostenschätzung für eine Gebäudesanierung abgeben müssen. Darüber hinaus sei die unterlassene exakte Untersuchung der maroden Dachträger auch nicht die direkte Ursache gewesen für den Einsturz der Eissporthalle, hatte die Kammer argumentiert.

Dem widersprach nun der Bundesgerichtshof (BGH). Während der Freispruch für den Architekten rechtskräftig ist, revidierten die Karlsruher Richter das Urteil gegen den Gutachter: Der Freispruch wurde wegen Rechtsfehler aufgehoben.

Zu einem späteren Zeitpunkt will der BGH auch über eine Revision des verurteilten Bauingenieurs entscheiden.

12.02.2010

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-01/bgh-eissporthalle-bad-reichenhall-

 

 


 

 

 

Fehlerhafte Gutachten

Psychiater muss zahlen

von Karlheinz Weimar

Wegen fehlerhafter Gutachten über vier hessische Steuerfahnder muss der Frankfurter Psychiater H. unwiderruflich 12.000 Euro zahlen. Das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe ist rechtskräftig, wie eine Sprecherin des Verwaltungsgerichts Gießen am Donnerstag mitteilte.

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Frankfurter Rundschau

09.01.2010

http://www.fr-online.de/frankfurt_und_hessen/nachrichten/hessen/?em_cnt=2191963&

 

 

 

 

Verwaltungsgericht Gießen – Berufsgericht für Heilberufe – gibt Begründung des Urteils vom 16.11.2009 gegen den Frankfurter Psychiater bekannt

Gießen, den 27. November 2009

Wie bereits mitgeteilt, wurde dem ausschließlich gutachterlich tätigen Arzt von dem Berufsgericht für Heilberufe wegen Verstoßes gegen seine ärztlichen Berufspflichten ein Verweis erteilt und ihm zusätzlich eine Geldbuße von 12.000 € auferlegt.

Er hatte in den Jahren 2006 und 2007 vier Beamten/Beamtinnen, die vormals Mitarbeiter der Steuerfahndungsabteilung der Frankfurter Finanzämter waren, im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage ihrer Dienstfähigkeit untersucht und jeweils „Nervenfachärztliche Gutachten“ erstattet, die im Ergebnis Dienst– und auch Teildienstunfähigkeit feststellten und im Hinblick auf die prognostizierte „dauernde“ Dienstunfähigkeit Nachuntersuchungen als nicht indiziert bezeichneten

Im Rahmen der jeweils zwischen einer und zwei Stunden andauernden Untersuchungen in den Räumen des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales in Frankfurt berichteten die Probanden über ihre Probleme am Arbeitsplatz im Zusammenhang mit ihrer früheren Tätigkeit als Steuerfahnder sowie, dass sie nach Umsetzung in andere Aufgabenbereiche heftige Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten führten, in deren Folge sie an körperlichen und psychischen Beschwerden litten, die zu Langzeitkrankschreibungen geführt hatten. Drei Probanden hatten kurz vor ihrem Termin bei dem beschuldigten Arzt mehrwöchentliche Aufenthalte in Fachkliniken für Neurologie-Psychiatrie-Psychotherapie absolviert, die nach ihrem subjektiven Befinden sowie den ausführlichen Arztberichten der Kliniken zu ganz wesentlichen Verbesserungen ihres Gesundheitszustandes geführt hatten. In den Arztbriefen und Arztberichten werden jeweils Diagnosen gestellt, die u.a. auf den Arbeitsplatzkonflikt bezogen sind; in keinem Falle wird der Fachbegriff „paranoid“ verwendet.

Diese Unterlagen überreichten die Probanden im Untersuchungstermin dem Beschuldigten, wie auch zahlreiche andere ärztliche Stellungnahmen zu ihrem Gesundheitszustand.

In seinen „Nervernfachärztlichen Gutachten“ stellte der beschuldigte Arzt zweimal die Diagnose einer „paranoid-querulatorischen Entwicklung“, im dritten Untersuchungsfall einer „Anpassungsstörung mit depressiven, psychosomatischen und partiell paranoiden Symptomen“. Im letzen Fall diagnostizierte er eine „erhebliche Anpassungsstörung mit irreversibler Chronifizierung“.

Das Berufsgericht gelangte aufgrund der dreitägigen Hauptverhandlung und unter Auswertung eines von der Landesärztekammer Hessen eingeholten und Anfang 2009 erstellten „wissenschaftlich begründeten psychiatrischen Sachverständigengutachtens“ zu der Überzeugung, dass der Beschuldigte bei der Erstellung aller vier „Nervenfachärztlichen Gutachten“ die Standards für psychiatrische Begutachtungen nicht eingehalten hatte.

So stellte er seine klinischen Diagnosen nicht nach einem der beiden aktuell international anerkannten Klassifikationssysteme. Derzeit ist in Deutschland das Klassifikationssystem ICD-10 im klinischen Gebrauch. Dieses verwendet der Beschuldigte im Allgemeinen auch bei seiner Tätigkeit. Auch die ihm vorgelegten Arztberichte über die Probanden stellten ihre Diagnosen nach diesem System.

Die Verwendung dieser Klassifikationen dient in der psychiatrischen Fachwelt der Transparenz bei der Diagnosefindung und der Kommunikation mit dem Auftraggeber.

Ferner fehlt es in allen vier Gutachten an der vom Sachverständigen als fachlicher Standard bezeichneten differenzierten psychischen und psychopathologischen Befunderhebung, die das Kernstück der psychiatrischen Begutachtung darstellt. Stattdessen wurde vom Beschuldigten ganz überwiegend für die Diagnoseerstellung die Anamnese zugrunde gelegt.

Auch beanstandet das Gericht, dass der beschuldigte Arzt die bei Erstellung von Gutachten gebotene Neutralitätspflicht verletzt hat. Es fehle die erforderliche Inbezugsetzung von Fremd- und Selbstbeurteilung. Wörtlich heißt es u.a. in diesem Zusammenhang:

„Insbesondere ist an keiner Stelle nachvollziehbar dargelegt, weshalb die festgestellte Fixierung des Probanden auf seine Sicht der Vorfälle in der Dienststelle „eindeutig“ eine paranoid-querulatorische Entwicklung darstellt. Dieser Begriff ist in dieser Bezeichnung nicht im ICD-10 enthalten“.

Weshalb der Beschuldigte als Gutachter von vorneherein die von den Probanden geschilderten Ereignisse für wahnhaft, also nicht der Realität entsprechend bewertet, sei an keiner Stelle des Gutachtens dargelegt und erschließe sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang.

Ferner stellt es aus Sicht des Gerichts einen schweren Mangel der Begutachtungen dar, dass es an einer inhaltlich fachlichen Auseinandersetzung mit den bereits vorliegenden fachärztlichen Äußerungen fehle. Die dem Beschuldigten vorgelegten Vorbefunde hätten in den Gutachten sorgfältig aufgeführt, in die Überlegungen einbezogen, der Einbezug dargestellt und Abweichungen gründlich und nachvollziehbar belegt werden müssen.

Die guten Heilungschancen bei Anpassungsstörungen seien unberücksichtig geblieben.

Auch sieht das Gericht das Fehlen jeglicher psychologischer Testuntersuchungen, durch welche die gestellten Vordiagnosen in den Fachkliniken abgesichert worden waren, als schweren Mangel der Gutachtenerstellung an

Schließlich wir in dem 41-seitigen Urteil zur Höhe der ausgesprochenen Sanktionen u.a. folgendes ausgeführt:

„Das ärztliche Berufsrecht ist als Teil des staatlichen Disziplinarrechts - anders als das Strafrecht - nicht repressiv und damit nicht tatbezogen. Daher ist vorrangig das Gesamtverhalten und die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten zu würden im Hinblick auf die sich aus dem gezeigten Verhalten ergebenden Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Berufsausübung; dabei steht die individuelle Pflichtenmahnung im Vordergrund. Neben dem Gewicht des Berufsvergehens ist die Prognose des künftigen Verhaltens des Beschuldigten entscheidend, also die Frage, in welchem Umfang er einer pflichtenmahnenden Einwirkung bedarf, um ein berufsrechtliches Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen. Nach der Rechtsprechung des Landesberufsgerichts für Heilberufe bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof, der das erkennende Gericht folgt, ist dabei vom Grundsatz der stufenweisen Steigerung von Disziplinarmaßnahmen auszugehen, wonach zu Gunsten einer gerechten und sinnvollen Erziehungswirkung schwerere Maßnahmen erst eingesetzt werden sollen, wenn Leichtere versagt haben ….

In Anwendung dieser Grundsätze hielt es das Gericht zunächst für geboten, durch Ausspruch eines Verweises die berufsrechtliche Missbilligung der Vorgehensweise des Beschuldigten bei Erstellung seiner nervenfachärztlichen Gutachten zum Ausdruck zu bringen, vor dem Hintergrund des Zieles, das Ansehen der Angehörigen des Berufsstandes zu wahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit der Angehörigen des Berufsstandes zu sichern.

Im Hinblick auf das Gewicht des Berufsvergehens war zunächst in die Beurteilung einzubeziehen, dass es sich um vier Verstöße handelt, zudem jedes einzelne Gutachten unter Verletzung mehrerer fachlich gebotener Erfordernisse erstellt wurde. Von daher war die Verhängung einer zusätzlichen Geldbuße neben dem Verweis geboten.

Im Hinblick darauf, dass der Beschuldigte für das Gericht nicht erkennbar machte, dass er sein Fehlverhalten einsieht, bedurfte es der Verhängung einer nicht zu geringen Geldbuße, um das Ziel der Verhinderung berufsrechtlichen Fehlverhaltens in der ärztlichen Arbeit des Beschuldigten in Zukunft zu erreichen. Andererseits hält das Gericht im Hinblick darauf, dass der Beschuldigte erstmals berufsrechtlich in Erscheinung getreten ist und im Hinblick auf die von ihm dargestellten negativen Auswirkungen der Publizität der Angelegenheit in der Öffentlichkeit für sein persönliches und berufliches Fortkommen es für ausreichend, eine Geldbuße in der festgesetzten Höhe auszusprechen.“

Gegen das Urteil kann binnen eines Monats Berufung eingelegt werden, über die das Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel entscheidet.

Urteil vom 16.11.2009; Az.: 21 K 1220/09.GI.B

Die Entscheidungsgründe sind über die Landesrechtsprechungsdatenbank unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de unter Eingabe des Aktenzeichens 21 K 1220/09 (ohne Zusatz) abrufbar.

http://www.vg-giessen.justiz.hessen.de/irj/VG_Giessen_Internet?rid=HMdJ_Search/VG_Giessen_Internet/sub/586/586e8b33-e355-21f0-12f3-1e2389e48185,,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm

 

 

 


 

 

 

SPIEGEL ONLINE / 17. November 2009, 19:53 Uhr

Urteil

Psychologe stoppte Steuerfahnder mit dubiosen Gutachten

Von Matthias Bartsch

Das Verwaltungsgericht Gießen hat einen Psychologen wegen unzureichender Gutachten verurteilt. Der Mann hatte Steuerfahndern eine "paranoid querulatorische Entwicklung" unterstellt. Die Ermittler gehörten zu einer Sondereinheit, durch deren Arbeit Tausende Betrugsverfahren eingeleitet wurden.

Hamburg - Für die vier Männer ist dieser Gerichtsbeschluss eine späte Genugtuung: Die Steuerfahnder waren vom Land Hessen mit Hilfe fragwürdiger psychiatrischer Gutachten in den Ruhestand geschickt worden. Jetzt hat das Verwaltungsgericht Gießen ihnen jetzt offiziell bescheinigt, dass die Gutachten "nicht entsprechend den fachlichen Anforderungen" erstellt worden waren. Der Gutachter wurde in erster Instanz zu einer Geldbuße von 12.000 Euro verurteilt und erhielt einen Verweis.

Die vier Beamten gehörten zu einer Spezialgruppe der Frankfurter Steuerfahndung, die gegen Besitzer verdeckter Auslandskonten ermittelt hatten. Sie werteten akribisch Akten aus, die bei mehreren Banken beschlagnahmt worden waren - und leiteten, teilweise mit Hilfe der Staatsanwaltschaft, mehrere tausend Verfahren ein.

Als ihre Abteilung nach zahlreichen Erfolgen überraschend von einem Großteil der noch unbearbeiteten Fälle abgezogen wurde, begannen zahlreiche Fahnder sich bei ihren Vorgesetzten zu beschweren. Ihr Verdacht war, dass die hessische Landesregierung offenbar lieber milde mit Steuersündern umgehen wolle, um mögliche Investoren nicht zu verschrecken.

Dieser Verdacht wurde vom hessischen Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) zwar strikt zurückgewiesen, die Fahnder blieben gleichwohl unbequem. Ihre Proteste brachten der Regierung von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) unter anderem einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein, in dem wenig schmeichelhafte Zustände der hessischen Steuerverwaltung geschildert wurden.

Mehrere Fahnder wurden indes gegen ihren Willen in den Ruhestand versetzt - mit Hilfe von Gutachten, die der jetzt verurteilte Psychiater Thomas H. aus Frankfurt am Main verfasst hatte. In den Expertisen werden den Beamten "Anpassungsstörungen" oder eine "paranoid querulatorische Entwicklung" unterstellt, für die es keinerlei Aussicht auf Besserung gebe. Obwohl zum Teil erst 36 Jahre alt, wurden die Fahnder daraufhin in den Ruhestand versetzt - zwei von ihnen verdienen inzwischen ihr Geld als Steuerberater.

Vier Fahnder wehrten sich jedoch gegen die Entfernung aus dem Amt und legten die Gutachten der Landesärztekammer vor. Die erkannte schon nach einer ersten Durchsicht der dürren Expertisen den "hochgradigen" Verdacht einer "Gefälligkeitsbegutachtung". Die Kammer leitete ein berufsständisches Verfahren beim zuständigen Verwaltungsgericht Gießen ein, das den Verdacht jetzt bestätigte. Der Gutachter H. wurde wegen "fehlerhafter Erstattung von Sachverständigengutachten" für schuldig befunden. Er habe, so das Gericht, gegen ärztliche Sorgfaltspflichten verstoßen.

Thomas H., der in der Vergangenheit immer wieder vom Land Hessen in zahlreichen dienstrechtlichen Verfahren sowie in Gerichtsprozessen als Gutachter eingesetzt worden war, wollte sich dem SPIEGEL gegenüber nicht äußern. Er kann, ebenso wie das Land Hessen, innerhalb von vier Wochen Berufung gegen das Urteil einlegen. Gegen H. läuft jedoch in gleicher Angelegenheit noch ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren - wegen des Verdachts auf "Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse".

Sollte das Verwaltungsgerichtsurteil Bestand haben, könnten noch zivilrechtliche Verfahren auf H. und das Land Hessen zukommen: Die Fahnder prüfen derzeit, ob sie den Verdienstausfall einklagen werden, der ihnen durch die Zwangspensionierung aufgrund der fragwürdigen Gutachten entstanden ist - oder sogar eine Rückkehr in den Job.

URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,661891,00.html

 

 

 

 


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