Jugendarrest
Tödlicher Sturz von 15-Jähriger in Halle Jugendarrest für Schulschwänzer: "Dann
sind schon einige Züge abgefahren"
In Halle ist eine 15-Jährige vom heimischen Balkon in den Tod gestürzt. Das
Mädchen hatte am Donnerstag von der Polizei in Jugendarrest gebracht werden
sollen – als letztes Mittel, weil das Mädchen wiederholt die Schule geschwänzt
hatte. Ob solche Maßnahmen die richtigen sind und wieso manche Kinder überhaupt
zu notorischen Schulschwänzern werden, darüber hat MDR SACHSEN-ANHALT mit der
Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychatrie in Halle, Manuela Elz, gesprochen.
Manuela Elz, Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie in
Halle Manuela Elz ist Chefärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie am
Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER
RUNDFUNK
MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Elz, wie kommt es überhaupt dazu, dass Kinder so
hartnäckig die Schule verweigern, dass sie mit einem Aufenthalt im Arrest
bestraft werden?
Manuela Elz: Wir sind in den letzten Jahren in der Klinik zunehmend betroffen
von Patienten, die über längere Zeit die Schule aus verschiedenen Gründen
verweigern. Wir Kinder- und Jugendpsychiater unterscheiden bei der
Schulvermeidung zwei Stränge: Das eine ist der klassische Schulschwänzer. Das
sind diejenigen, die einfach keine Lust haben, zur Schule zu gehen. Die bleiben
zu Hause, machen sich einen schönen Tag und haben kein schlechtes Gewissen.
Dann gibt es die andere Seite: Das sind Kinder und Jugendliche, die haben Angst,
in die Schule zu gehen. Da gibt es wieder zwei Untergruppen: Die einen fürchten
etwas, was sie in der Schule vorfinden: einen strengen Lehrer oder auch
Mitschüler, unter denen sie leiden, also das Thema Mobbing. Manche fürchten
auch, den Leistungsanforderungen nicht gerecht werden zu können. Oder sie haben
vor bestimmten Unterrichtsfächern Angst: Sport oder Kunst, oder wo sie vor dem
Lehrer frei reden müssen. Da spielen schon auch soziale Themen eine Rolle.
Dann gibt es die letzte Untergruppe und das sind diejenigen, die wir häufig als
Patienten bekommen: Das nennen wir Schulphobie. Das sind Menschen, die gehen
nicht in die Schule, weil sie Angst vor der Schule haben und das geben sie auch
als Grund an. Aber der eigentliche Hintergrund für ihren Nicht-Schulbesuch ist
die Tatsache, dass sie nicht mehr von Zuhause wegkommen.
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Halle An der Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychosomatik am Krankenhaus St.
Elisabeth und St. Barbara in Halle – so der vollständige Name – werden in der
Regel Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren behandelt. Sie kommen
nach Angaben der Klinik meist auf Empfehlung oder Überweisung vom Haus- oder
Kinderarzt. Experten der Klinik behandeln demnach unter anderem Angst-, Ess-,
oder Persönlichkeitsentwicklungsstörungen.
Die Schulphobie hat also eigentlich gar nicht die Schule als wahren Grund?
Die Kinder oder Jugendlichen schaffen es nicht, sich von Zuhause zu lösen. Wir
kennen das ähnlich aus dem Erwachsenenbereich, wo Menschen es nicht mehr
schaffen, zur Arbeit oder einkaufen zu gehen. Und dann ist da die Frage, warum
schafft es dieses betroffene Kind nicht mehr, das Elternhaus zu verlassen –
trotz Bemühungen. Häufig stehen die Kinder morgens normal auf und versuchen es,
schaffen es dann aber wieder nicht. Irgendwann resignieren sie. Da kommen dann
wochen-, monate- und teilweise jahrelange Schulfehlzeiten zusammen. Da ist
typisch, dass es dann auch den Familien nicht gelingt, das Kind in die Schule zu
bringen.
In welcher Situation befindet sich so eine Familie? Häufig sind die Eltern auch
zu Hause und bekommen mit, dass ihr Kind schwänzt.
Es ist nicht unbedingt so, dass in den Familien etwas falsch läuft, wobei
familiäre Faktoren häufig eine Rolle spielen. Wir erleben häufig, dass es sich
um Familien handelt, die seelisch miteinander sehr verbunden sind. An sich
eigentlich etwas Gutes, aber häufig sind es Familien, die doch irgendwie
belastet sind. Und letztlich kommt immer heraus, dass so ein Kind oder
Jugendlicher innerseelisch die Sorge verspürt, wenn er das Haus verlässt, könnte
zu Hause irgendetwas passieren. Oft ist ihnen das so nicht bewusst und sie
erleben das als Angst vor der Schule.
Der wahre Grund, warum sie sich nicht trauen, von zu Hause wegzugehen, muss in
der Behandlung herausgearbeitet werden. Das kann zum Beispiel eine
innerfamiliäre Konfliktsituation sein. Da geben Kinder an, sie haben Angst, dass
der Mutter zu Hause etwas passiert, dass die Eltern sich streiten oder dass es
im schlimmsten Fall Gewalt gibt. Aber häufig haben wir auch psychisch kranke,
depressive Elternteile, denen es selbst schwer fällt, das Haus zu verlassen. Das
überträgt sich dann auf die Kinder.
Ehe diese ganzen staatlichen Institutionen, diese Mühlen, anfangen zu mahlen,
vergeht nach unserer Beobachtung doch recht viel Zeit. Wir appellieren
eigentlich immer, dass schneller reagiert werden müsste – nicht im Sinne von
Bestrafung, sondern im Sinne von Hilfe.
Manuela Elz, Chefärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Krankenhaus St.
Elisabeth und St. Barbara in Halle
Wir haben in Deutschland eine Schulpflicht. Da gibt es doch ein Bündel an
Maßnahmen, bevor es wegen des Schulschwänzens überhaupt zum Jugendarrest kommt.
Ja, es gibt die Schulpflicht und in der Hinsicht funktioniert der deutsche Staat
auch recht gut. Aber ehe diese ganzen staatlichen Institutionen, diese Mühlen,
anfangen zu mahlen, vergeht nach unserer Beobachtung doch recht viel Zeit. Wir
appellieren eigentlich immer, dass schneller reagiert werden müsste – nicht im
Sinne von Bestrafung, sondern im Sinne von Hilfe.
Der Weg ist, dass erstmal die Schule eine Meldung macht, dann gibt es Einträge,
dann gibt es Tadel, dann gibt es eine Strafandrohung an die Eltern: Es wird also
mit einem Ordnungsgeld gedroht bei Nicht-Schulbesuch. Dann wird diese Strafe
verhängt und die Eltern müssen Geld bezahlen. Handelt es sich um Jugendliche,
die selbst schon durch Strafen erreichbar sind, als 14 Jahre und älter, bekommen
auch sie Strafen, müssen Arbeitsstunden leisten. Und der Jugendarrest, das ist
die letzte Konsequenz. Also die Umsetzung geschieht eher sehr spät.
https://www.mdr.de/sachsen-anhalt/halle/halle/therapeutin-zu-schulverweigerung-100.html
Kommentar:
Nicht anders als in der DDR im Jugendwerkhof, werden Jugendliche in der BRD wegen Schuleschwänzen auf Befehl eines Richters eingesperrt, um staatlich gewünschtes Verhalten zu erzwingen.
Völlig krankes System. Pfui Deibel.
Jugendarrest
Jugendarrest ist ein im deutschen Jugendstrafrecht als Folge einer
Jugendstraftat vorgesehenes Zuchtmittel (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 Jugendgerichtsgesetz
– JGG), mit dessen Anordnung und Vollzug einem jugendlichen Straftäter
eindringlich bewusst werden soll, dass er für das von ihm begangene Unrecht
einzustehen hat – wenn einerseits die Anordnung von Erziehungsmaßregeln nicht
ausreicht, andererseits eine Jugendstrafe (noch) nicht geboten ist.
Der Jugendarrest wurde 1940 durch die Verordnung zur Ergänzung des
Jugendstrafrechtes eingeführt und 1943 in das Reichsjugendgerichtsgesetz
eingefügt. Seitdem hat sich wenig an den Vorschriften zur Verhängung von
Jugendarrest geändert – lediglich die Maximalzahl der Freizeitarreste wurde 1990
von vier auf zwei abgesenkt.
Seit dem 7. März 2013 kann Jugendarrest auch als sog. Warnschussarrest verhängt
werden, das heißt, gekoppelt mit einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe.
Davon soll abgesehen werden, wenn der Jugendliche schon einmal Dauerarrest
verbüßt hat oder sich länger in Untersuchungshaft befunden hat.
Jugendarrest kann auch – als sogenannter „Ungehorsamsarrest“ – nach schuldhafter
Zuwiderhandlung gegen richterliche Weisungen (§ 11 Abs. 3 JGG) und bei
schuldhafter Nichterfüllung richterlicher Auflagen (§ 15 Abs. 3 JGG) verhängt
werden.
Jugendarrest hat nicht die Rechtswirkungen einer Strafe (§ 13 Abs. 3 JGG) und
wird auch nicht zur Bewährung ausgesetzt (§ 87 Abs. 1 JGG).
Inhaltsverzeichnis
Arten des Jugendarrests
Jugendarrest kann als Freizeitarrest, Kurzarrest oder Dauerarrest (§ 16 JGG)
angeordnet bzw. verhängt werden:
Der Freizeitarrest (umgangssprachlich auch Wochenendarrest) erstreckt sich auf
die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen und wird auf eine oder zwei
Freizeiten bemessen.
Der Kurzarrest wird statt des Freizeitarrestes verhängt, wenn dies aus
Erziehungsgründen zweckmäßig ist und Ausbildung oder Arbeit des Jugendlichen
nicht beeinträchtigt werden. Zwei Tage Kurzarrest entsprechen einer Freizeit.
Der nach vollen Tagen oder Wochen zu bemessende Dauerarrest dauert mindestens
eine Woche und höchstens vier Wochen.
Vollzug des Jugendarrests
Der Vollzug des Jugendarrestes „soll das Ehrgefühl des Jugendlichen wecken und
ihm eindringlich zum Bewußtsein bringen, daß er für das von ihm begangene
Unrecht einzustehen hat“, er „soll erzieherisch gestaltet werden“ und er „soll
dem Jugendlichen helfen, die Schwierigkeiten zu bewältigen, die zur Begehung der
Straftat beigetragen haben“ (§ 90 Abs. 1 JGG).
Der Jugendarrest wird – für männliche und weibliche Jugendliche getrennt – in
Freizeitarresträumen oder in Jugendarrestanstalten (JAA) der Justizverwaltungen
der Bundesländer vollzogen – in der Regel unmittelbar nach Rechtskraft des
Urteils und nach den näheren Bestimmungen der Jugendarrestvollzugsordnung des
betreffenden Bundeslandes. Die früher geltende bundeseinheitliche
Jugendarrestvollzugsordnung wurde außer Kraft gesetzt.
In der Praxis kommt es vor, dass angeordneter Jugendarrest wegen der zu geringen
Anzahl von Arrestplätzen nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 87 Abs. 4
JGG vollstreckt werden kann und eine Vollziehung deshalb unterbleibt.
Ausnahmen vom Jugendarrest
Von Jugendarrest wird abgesehen, wenn durch die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt eine Ahndung durch
den Jugendrichter entbehrlich ist (§ 5 Abs. 3 JGG).
Wird Hilfe zur Erziehung (§ 12 Nr. 2 JGG in Verbindung mit § 34 SGB VIII)
angeordnet, so darf Jugendarrest damit nicht verbunden werden (§ 8 Abs. 1 Satz 2
JGG).
https://de.wikipedia.org/wiki/Jugendarrest