Kinderschutz


 

 

 

 

Kinder in Gefahr? Wie der Notdienst des Mannheimer Jugendamtes hilft

"Kind verhungert", "Säugling grausam misshandelt", "Psychisch kranke Mutter tötet ihre Söhne" - die Meldungen werden nicht weniger, nur die Schlagzeilen kleiner. Kinder, so scheint es, sind permanent in Gefahr und vor allem Zuhause bei den eigenen Eltern nicht mehr sicher. Und immer, wenn eine solche Tat bekannt wird, folgt die Frage an das Jugendamt: hätte man das nicht verhindern können? Mannheim hat deshalb als erste Stadt in Baden-Württemberg einen Kinderschutzdienst ins Leben gerufen. Hier kann sich jeder anonym melden, der vermutet, ein Kind sei in Gefahr. Jedes Mal muss das Notfallteam entscheiden: Kind in Gefahr oder Denunziation genervter Nachbarn? Eine Gradwanderung, bei der es um Leben und Tod gehen kann. LÄNDERSACHE hat das Mannheimer Kinderschutzteam begleitet.

Alle Sendetermine:

21.02.2008, 20.15 Uhr, "Ländersache", SWR Fernsehen in Baden-Württemberg

http://www.swr.de/laendersache-bw/-/id=100890/nid=100890/did=3033356/1z338x/index.html

 

 

 


 

 

 

Interviews 15.12.2007

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"Zahl der Kindstötungen seit 15 Jahren nicht gestiegen"

Von Jens Peter Dohmes

Osnabrück.

Das Interview, das der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach, unserer Zeitung gegeben hat, hat folgenden Wortlaut:

Herr Professor Rauschenbach, Fälle der Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern scheinen sich zu häufen. Oder finden diese heute nur größere öffentliche Aufmerksamkeit?

Das ist schwer zu beantworten. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie groß das Dunkelfeld ist - ob es früher viele Fälle gab, die nur nicht öffentlich wahrgenommen wurden. Aber: Auf der Basis der polizeilichen Kriminalstatistik hat die Zahl der Misshandlungen von Schutzbefohlenen leicht zugenommen, während die leichten, vorsätzlichen Körperverletzungen nicht gestiegen sind. Und, das ist meines Erachtens das Wichtigste: Die Zahl der Kindstötungen hat sich in den letzten 15 Jahren nicht erhöht.

Wie viele Kinder sind von Verwahrlosung und Misshandlungen betroffen?

Auch das ist sehr schwierig zu sagen. Wenn Sie die polizeilich registrierten Misshandlungen von unter Sechsjährigen betrachten, sind drei von 10000 Kindern betroffen, also lediglich 0,03 Prozent. Bei 135 von 10000 Kindern unter sechs Jahren gehen die Eltern zur Erziehungsberatung, das sind 1,35 Prozent. Die extremen Fälle, über die jetzt berichtet wird, liegen im Promillebereich. Das sind absolute Einzelfälle. Die Zahl der getöteten Kinder unter sechs Jahren liegt seit Jahren stabil bei rund 200. Ich will keinen einzigen Fall kleinreden, aber in einer Gesellschaft, die so kompliziert ist wie unsere, müssen wir mit solch dramatischen Fällen rechnen - auch in Zukunft. Dennoch müssen wir natürlich alles tun, um sie zu verhindern.

Es wird der Vorwurf erhoben, bei den Jugendämtern werde gekürzt, aber eigentlich müsste man das Personal aufstocken. Sehen Sie das auch so?

Den ersten Aspekt sehe ich nicht so, den zweiten schon. Es gibt keine statistischen Hinweise darauf, dass wir einen massiven Abbau in der Kinder- und Jugendhilfe zu verzeichnen haben. Die Ausgaben stagnieren derzeit. Allerdings brauchen wir mehr und vor allen Dingen besser geschultes Personal; es muss in die Aus- und Weiterbildung investiert werden, damit die Fachkräfte den oftmals schwierigen Anforderungen, denen sie in der Praxis begegnen, auch gewachsen sind. Allerdings nimmt die Zahl zielgerichteter Maßnahmen des Kinderschutzes deutlich zu. Der oft vermittelte Eindruck, dass in der Jugendhilfe nichts getan werde, ist falsch. Nicht zuletzt die größere Sensibilität durch die Fälle der vergangenen Zeit hat dazu geführt, dass die Jugendämter inzwischen lieber einmal zu viel etwas machen als zu wenig. Man kann den Behörden pauschal keinen Vorwurf machen.

Wie passt dazu, dass Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Jugendämter jetzt aufgefordert hat, schneller die Familiengerichte einzuschalten, wenn sie Verdacht schöpfen?

Das ist eine Fachdebatte zwischen der Kinder- und Jugendhilfe und der Justiz. Mir sind viele Vorschläge die jetzt kommen viel zu ordnungspolitisch gedacht, viel zu sehr in Richtung Kontrolle und Zwang. Ich helfe nicht einer Familie, die in sozial oder psychisch dramatischer Not ist, indem ich sie zu irgendetwas zwinge. Wir werden auch nicht durch eine einzige Vorsorgeuntersuchung irgendjemanden daran hindern können, dass er drei Wochen später durchdreht und seinem Kind etwas antut. Wir müssen umgekehrt fragen: Sind die Familien in der heutigen Zeit genügend vorbereitet? Eltern haben laut Verfassung das Recht und die Pflicht, für ihre Kinder zu sorgen. Aber sind sie ohne weiteres dazu fähig? Da müssen wir ansetzen! Vom Kontrollieren wird das Erziehungsverhalten nicht besser. So können Sie vielleicht die schwarzen Schafe entdecken, aber deren Zahl ist gering. Ich kann doch nicht 100000 Familien prüfen, um vielleicht zehn problematische Fälle zu finden!

Eine Pflicht zu Vorsorgeuntersuchungen, wie sie jetzt vielfach gefordert wird, halten Sie für wirkungslos?

Es gibt - auch international - keine Anzeichen für eine positive Wirkung. Nirgends, wo eine solche Pflicht eingeführt wurde - etwa in Australien -, hat dies zum Rückgang der Kindstötungen geführt. Verbindliche Vorsorgeuntersuchungen - dieses Anliegen finde ich in Ordnung. Es macht Sinn, wenn das Jugendamt sagt: Wir gehen in die Familie, denn die haben sich zur Vorsorgeuntersuchung nicht gemeldet. Aber das müssen sie tun, um Hilfe zu leisten und nicht um zu kontrollieren! Allein durch Kontrolle kommen wir nicht weiter. Das wäre so, wie zu sagen: Wir schaffen Unfälle ab, indem wir an jeder Ecke einen Polizisten hinstellen! Wir können die Familien nicht mit Fußfesseln überprüfen. Alle Welt will derzeit etwas machen, das ist verständlich. Aber wir dürfen nicht in einen Aktionismus verfallen, der nicht mehr fragt, ob das jetzt gefühlte Hilfe oder reale Hilfe ist.

Was halten Sie davon, Kinderrechte als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern?

Das kann ich juristisch nicht genügend beurteilen. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass zwischen Elternrecht und Kindeswohl ein Spannungsverhältnis besteht. Wir haben in Deutschland stets unterstellt, dass Eltern für ihre Kinder immer das Beste wollen. Und im Moment erfahren wir schmerzlich, dass das eben nicht in allen Fällen gilt. Deshalb ist es wichtig, dass wir über verbesserte Kinderrechte nachdenken. Der Satz "Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung" muss daher an Bedeutung gewinnen. Deswegen brauchen wir die gesellschaftliche Diskussion darüber, wie wir uns als Bürgergesellschaft um das Aufwachsen unserer Kinder so kümmern können, dass Missbrauch, Verwahrlosung und Tötung von Kindern nach Möglichkeit nicht mehr passieren. Dann ist das keine Privatangelegenheit mehr. Die Eltern haben das Erstrecht zur Erziehung, aber sie müssen sich gegenüber der staatlichen Gemeinschaft dafür verantworten, wie sie ihre Kinder behandeln.

 

http://www.neue-oz.de/information/noz_print/interviews/18306219.html

 

Neue Osnabrücker Zeitung, 15.12.2007

 

 


 

 

 

 

Deutscher Kinderschutzbund: Es reicht! Task Force Kinderschutz

Der Deutsche Kinderschutzbund ist über die Zunahme von tragischen Kindestötungen in tiefer Sorge und fordert: (1) die in der UN-Kinderrechtskonvention verankerten Kinderrechte auf bestmögliche Entwicklung, Gesundheit, Bildung und Förderung als besonders zu schützende Rechte in allen Verfassungen/Ordnungen (Bund, Länder und Gemeinden) einzuführen; (2) dass auf Bundesebene eine grundlegende Untersuchung vorgenommen wird mit folgender Aufgabenstellung: Erfassung aller Fälle von Kindestötungen (einschließlich Dunkelziffer) bzw. Versuchen, Analyse der Hintergründe, Überprüfung der in diesen Fällen erfolgten Hilfe, Überprüfung der Ausbildungsqualifikation der verantwortlichen Fachkräfte, Auswertung bereits bestehender Hilfeverbünde und Analyse erfolgreicher Hilfen; auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse sind Vorschläge und Empfehlungen für einen verbesserten Kinderschutz zu entwickeln; diese Untersuchung sollte unter Federführung des Bundespräsidenten durchgeführt werden; (3) dass da s Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gemeinsam mit weiteren Bundesministerien, insbesondere den Ministerien für Gesundheit und Finanzen, unverzüglich mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden zusammenkommen, um für eine rasche, flächendeckende Umsetzung bereits bestehender und bewährter Hilfesysteme („Frühe Hilfen“) zu sorgen.

Begründung: Die erschreckende Vielzahl unterschiedlicher Fälle von Kindestötungen bzw. Fälle von Vernachlässigung erfordern eine tiefer gehende und ausführlichere Untersuchung der möglichen Ursachen und Hintergründe. Der Deutsche Kinderschutzbund warnt vor voreiligen Schuldzuweisungen und schnellen „Patentlösungen“. Alle Bemühungen müssen sich auf die dauerhafte Verankerung von Kinderschutzkonzepten konzentrieren. In die Untersuchungen sollten die unterschiedlichen Fachdisziplinen und die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen eingebunden werden, um eine breitmöglichste Repräsentanz zu gewährleisten. Unabhängig von bisher geleisteten und erreichten Standards muss über die Verbesserung bereits bestehender und über die Einführung neuer Hilfen nachgedacht werden. Die Geschehnisse erfordern eine Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins.

Hinschauen kann helfen. Bisher Erreichtes ist nicht gut genug. Zu viele Kinder sind betroffen. Viele Fälle sind nicht mit der möglichen Fachlichkeit betreut worden. Es gibt offensichtlich Lücken im Hilfenetz. Ressortdenken und unterschiedliche fachliche Standards führen zu Unterlassungen und Fehlern. Wir kommen häufig zu spät. Möglicherweise gibt es auch zuviel Respekt vor der Autonomie des Einzelnen. Unabhängig von individuellen Schuldzuweisungen muss nach möglichen tiefer liegenden Ursachen und Erklärungen gesucht werden.

Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Kinderschutzbundes vom 7.12.2007

 

 

 

Kommentar Väternotruf:

Thomas Rauschenbach, Direktor des Jugendinstituts in München erklärt: "Die Zahl der getöteten Kinder unter sechs Jahren liegt seit Jahren stabil bei rund 200."

Der Deutscher Kinderschutzbund erklärt dagegen: "Der Deutsche Kinderschutzbund ist über die Zunahme von tragischen Kindestötungen in tiefer Sorge"

Wer von den beiden lügt denn hier nun, und wer hätte daran ein Eigeninteresse? Wir würden meinen, der Deutsche Kinderschutzbund lügt hier, um sich selbst als vermeintlicher Retter in der Not anzupreisen und seine - auch finanziellen - Eigeninteressen besser verkaufen zu können.

Brauchen wir so einen Kinderschutzbund? Unsere Antwort lautet: Nein!

 

 


 

 

 

Expertenappell: Das Kindeswohl soll Vorrang haben vor dem Elternrecht

17.10.2007 - (idw) Hochschule Niederrhein - Niederrhein University of Applied Sciences

Die vom Bund deutscher Kriminalbeamten vorgelegten Zahlen sind erschreckend: Rund 100.000 Kinder in Deutschland werden von Jahr zu Jahr vernachlässigt. Und diese Entwicklung beschleunigt sich rasant. Ist die Schwelle, bei der zur Sicherung des Kindeswohls in das Elternrecht eingegriffen werden kann, nach der Novellierung des Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls niedrig genug, um Kinder wirkungsvoll zu schützen? Darüber diskutierten Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis beim 1. Mönchengladbacher Symposium zu Kinderschutz und Kindeswohl in der Hochschule Niederrhein. Nach mehrheitlicher Ansicht reichen die geplanten Maßnahmen nicht aus, um künftige Fälle von Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern zu verhindern. Die Eingriffsschwelle müsse gesenkt werden. Nachbesserungen am Gesetzentwurf seien im Interesse des Kindeswohls angeraten.

Für die Konferenz hatte die aus dem Juristen Peter Schäfer, dem Familienrichter Walter Röchling und dem Psychotherapeuten Michael Borg-Laufs bestehende Arbeitsgruppe Kinderschutz des Fachbereichs Sozialwesen hochrangige Experten u.a. aus dem Bundesjustizministerium gewonnen. In der Diskussion formte sich der Eindruck heraus: Die Politik tut sich schwer, eine grundlegende Neuausrichtung zu vollziehen. Das ist jedoch, wie vor allem die Beiträge von Psychologen über die psychischen und sozialen Folgen von Verwahrlosung deutlich machten, im Interesse des Kindeswohls erforderlich. Zwar müssen die Familiengerichte auch jetzt schon eingreifen, wenn das Kindeswohl gefährdet ist, doch gebe es eine "gewisse Bandbreite" der anzuordnenden Maßnahmen, so Walter Röchling. Vor allem müsse den Gerichten ermöglicht werden, eher als bisher einzugreifen.

Eines der größten Probleme in der täglichen Gerichtspraxis sei z.B. das von den Eltern gedeckte oder hingenommene oder jedenfalls erzieherisch nicht genügend angegangene Schulschwänzen. Das Spektrum der Sorgerechtsmaßnahmen reiche hier bis zur Trennung des Kindes von seinen Eltern. Zwar gebe es die Möglichkeit, durch eine beaufsichtigende Pflegschaft oder durch Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu versuchen, Einfluss auf das Verhalten des Kindes zu nehmen. An diesem Beispiel werde aber deutlich, so Röchling, dass das neue Gesetz nur etwas bringe, wenn auch die Eingriffsschwelle gesenkt werde, um ein - vom Gesetzgeber ja ebenso gewünschtes - früheres, schnelleres und präziseres Eingreifen zu ermöglichen.

uniprotokolle > Nachrichten > Expertenappell: Das Kindeswohl soll Vorrang haben vor dem Elternrecht

http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/145294/

 

 

 

Kommentar Väternotruf:

Was da erst einmal so überzeugend daher kommt, wer wollte das nicht, Kinder schützen, erweist sich bei näherer Betrachtung doch als wenig hilfreich. Der Ruf nach dem starken Staat hat noch nie den Menschen genützt, warum sollte es hier anders sein?

Skepsis ist also angebracht, wenn nicht konkret und überzeugend dargelegt werden kann, wie Kinderschutz und Demokratie Hand in Hand gehen können, anstatt den Polizeistaat zu befördern.

 

 

 


 

 

 

"Anders denken - anders handeln - Entwicklungsperspektiven des Kinderschutzes

Reinhart Wolff, Manuskript 11/2001, 16 Seiten

 

"Kinderschutz hat Zukunft, wenn er sich programmatisch aus einer spezialistischen Melde- und Ermittlungspraxis löst. ...

Vor allem neigt Kinderschutz immer wieder dazu, primär auf Unterbringung von Kindern außerhalb ihrer Herkunftsfamilien zu setzen, ohne die zurückbleibende Familie zu unterstützten, sie einzubeziehen und mit ihr zu arbeiten, um eine Rückkehr des fremduntergebrachten Kindes eventuell zu ermöglichen." (S. 13)

 

 


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