Kleinfamilie


 

 

 

Mutter verurteilt

Gersthoferin lässt Tochter im Chaos aufwachsen

Von Simon Kaminski

Gersthofen/Augsburg - "Würde man einen Hund in dieser Wohnung halten, hätte man mit Sicherheit Probleme mit dem Tierschutz" - drastisch schilderte der Jugendrichter am Amtsgericht Augsburg, Bernhard Kugler, die Situation in einer Gersthofer Wohnung. Dort "lebte" oder besser vegetierte eine 43-jährige Mutter mit ihrer neunjährigen Tochter.

Müllberge türmten sich derart auf, dass der Zugang zu Schlaf- und Kinderzimmer blockiert war. So mussten die beiden auf dem Sofa schlafen. "Die Toilette war mit Fäkalien verstopft, das Waschbecken unbenutzbar", schilderte die Staatsanwältin Stefanie Unzeitig die desaströsen Zustände in der Mietwohnung, die "spätestens seit März 2006" an der Tagesordnung waren.

Verhaltene Versuche der Frau, die Situation in ihren vier Wänden zu relativieren, quittierte Richter Kugler salopp mit dem Satz: "Da schaut's doch aus wie Sau." Und in der Tat, die vorgelegten Fotos ließen bei allen Prozessbeteiligten keinen Zweifel an der Verwahrlosung der Kleinfamilie aufkommen.

Wie aber, so fragte sich auch Richter Kugler, konnte es so weit kommen? "Der Tod meines Vaters hat mich aus der Bahn geworfen", erklärte die 43-Jährige. Als dann noch die Vorbereitungen für die Kommunion hinzukamen, sei ihr schließlich alles über den Kopf gewachsen. "Und wo war Ihr Ehemann?", hakte Kugler nach. "Der hat zu dieser Zeit nicht bei mir gewohnt", erwiderte die Angeklagte.

Aber der Richter ließ nicht locker, wollte wissen, warum die Frau sich in ihrer Hilflosigkeit nicht an staatliche Stellen gewandt hat. "Ich habe mit dem Jugendamt keine guten Erfahrungen gemacht", kam als Antwort.

In der geballten Tristesse der Verhandlung gab es dennoch einen positiven Aspekt: Die staatlichen Kontrollmechanismen haben in diesem Fall nicht versagt. Zuerst reagierten Lehrer und Hausarzt, die den ungepflegten Zustand des Mädchens nicht nur registrierten, sondern auch dem Jugendamt mitteilten. Ausgestattet mit den eindeutigen Hinweisen alarmierte das Amt die Polizei. Mit der Folge, dass das Martyrium des Kindes ein Ende hatte.

Das Mädchen lebt seitdem bis auf Weiteres bei einer Pflegefamilie. Alle 14 Tage darf die Mutter sich mit ihrer Tochter treffen. Ob es eines Tages möglich sein wird, dass das Kind zur Mutter zurückkehrt, ließ der Richter offen. Klar ist, dass die Gersthoferin zuvor ihr Leben wieder in den Griff bekommen muss. Sie versicherte, dass sie bereits damit begonnen hat, sich aus ihrer Hilflosigkeit zu lösen.

Eines attestierten sowohl Staatsanwältin Unzeitig als auch Richter Kugler: Die Frau hatte sich nicht bösartig gegenüber ihrer Tochter verhalten - bis auf eine aktenkundige Ausnahme: Eine Nachbarin hatte beobachtet, wie die Angeklagte ihre Tochter auf der Straße an den Haaren gezogen hatte.

Geständnis der Frau positiv angerechnet

Positiv verbuchte der Richter bei der Urteilsbegründung auch, dass die 43-Jährige durch ihr Geständnis den Weg freigemacht hatte, die Verhandlung kurz und ohne Zeugen, insbesondere ohne ein Erscheinen der Tochter vor dem Amtsgericht, abzuwickeln. Negativ angerechnet wurde, dass die Frau bereits wegen Diebstahls aktenkundig ist.

Ihr Verteidiger Michael Weiss (Augsburg) versuchte darzustellen, wie sich seine Mandantin Stück für Stück in ihre ausweglose Situation manövriert hatte. Nicht ohne Wirkung, denn die zwölfmonatige Haftstrafe wurde auf Bewährung ausgesetzt. Ein Bewährungshelfer wird der 43-Jährigen zur Seite gestellt, damit ein erneuter Absturz ins Chaos vermieden werden kann. Denn eines machte Richter Kugler deutlich: Die Bewährungsstrafe ist eine letzte Warnung für die Gersthoferin.

05.06.2008

http://www.augsburger-allgemeine.de/Home/Lokales/Augsburg-Land/Lokalnews/Artikel,-Muellberge-tuermen-sich-in-der-Wohnung-_arid,1238756_regid,2_puid,2_pageid,4493.html

 

 

 


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