Landgericht Neustrelitz


 

 

 

 

 

Landgericht Neustrelitz


Das Landgericht Neustrelitz war ein deutsches Landgericht mit Sitz in Neustrelitz.
Inhaltsverzeichnis

1 Geschichte
2 Gebäude
3 Urteile
4 Richter
5 Einzelnachweise

Geschichte

Mit der Verordnung zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 vom 17. Mai 1879 wurden die Änderungen der Reichsjustizgesetze im Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz umgesetzt. Die bisherigen Gerichte wurden aufgehoben und es wurden 10 Amtsgerichte, ein Landgericht (das Landgericht Neustrelitz) und ein Oberlandesgericht (das gemeinsame Oberlandesgericht Rostock) geschaffen.[1]

Ihm waren folgende Amtsgerichte zugeordnet:
Amtsgericht Sitz Anmerkung
Amtsgericht Neustrelitz Neustrelitz
Amtsgericht Neubrandenburg Neubrandenburg
Amtsgericht Friedland Friedland
Amtsgericht Woldegk Woldegk
Amtsgericht Strelitz Strelitz
Amtsgericht Fürstenberg Fürstenberg
Amtsgericht Stargard Burg Stargard
Amtsgericht Feldberg Feldberg
Amtsgericht Mirow Mirow
Amtsgericht Schönberg Schönberg für das Fürstentum Ratzeburg

Der Landgerichtsbezirk umfasste das Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz mit einer Fläche von 2929,5 Quadratkilometern. 1880 umfasste es 95.673 Gerichtseingesessene. Schwurgerichtssitzungen wurden beim Landgericht Güstrow abgehalten. Für das Fürstentum Ratzeburg bestand eine Strafkammer des Landgerichts am Amtsgericht Schönberg. Das Gericht bestand aus einem Präsidenten, einem Direktor und 5 Landgerichtsräten.[2]

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Landgericht Neustrelitz nicht weitergeführt und das Landgericht Güstrow übernahm die Aufgaben.
Gebäude
Gemeinsames Gebäude des Landessozialgerichts und der Zweigstelle Neustrelitz

Das Landgericht hatte seinen Sitz im denkmalgeschützten Gebäude Töpferstraße 13a nahe dem Stadtzentrum von Neustrelitz. Seit 2. März 2015 ist der Gebäudekomplex auch Sitz des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern. Es wurde 1865 nach Entwürfen von Friedrich Wilhelm Buttel als Großherzogliches Landgericht mit Gerichtssaal und einem Gefängnis im Hof errichtet.
Urteile

Im März 1925 verurteilte das Landgericht Neustrelitz irrtümlicherweise den Polen Józef Jakubowski wegen Mordes zum Tode. Es handelt sich dabei um einen der bedeutendsten Justizirrtümer der deutschen Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Das Urteil mit vollständiger Urteilsbegründung wurde in den 1920er Jahren zweimal veröffentlicht (und zwar im Rahmen zweier Abhandlungen,[3] die sich kritisch mit der Verurteilung Jakubowskis auseinandersetzten). Der Urteilsinhalt ist damit erhalten geblieben und nach wie vor für die Öffentlichkeit zugänglich. Auch die Verfahrensakten sind vollständig erhalten geblieben; sie werden im Landeshauptarchiv Schwerin aufbewahrt.[4]
Richter

Carl Piper, Landgerichtsdirektor und ab 1887 Präsident des Landgerichts Neustrelitz
Roderich Hustaedt, Richter ab 1907

Einzelnachweise
Großherzoglich Mecklenburg-Strelitzischer officieller Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung, 1879, Teil 26, S. 167 f., Digitalisat.
Carl Pfafferoth: Jahrbuch der deutschen Gerichtsverfassung, 1880, S. 462 online
Arthur Brandt: Der Fall Jakubowski. Ein Beitrag zur Frage der Todesstrafe. In: Die Justiz. Bd. III, 1927/1928, S. 291–300; Rudolf Olden, Josef Bornstein: Der Justizmord an Jakubowski. Tagebuchverlag, Berlin 1928, S. 16–41.
Vgl. Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987. Aus dem Englischen übersetzt von Holger Fliessbach. Kindler und Hamburger Edition, Berlin/Hamburg 2001, S. 1228.

https://de.wikipedia.org/wiki/Landgericht_Neustrelitz

 

 

 


 

 

 

Carl Piper (Jurist)

Carl Wilhelm Albert Piper (* 13. Januar 1837 in Neustrelitz; † 25. Mai 1919 ebenda) war ein deutscher Richter und Konsistorialpräsident.
Inhaltsverzeichnis

1 Leben
2 Literatur
3 Weblinks
4 Einzelnachweise

Leben

Carl Piper war einziger Sohn des Juristen und späteren Regierungsrates Anton Piper. Er besuchte das Gymnasium Carolinum (Neustrelitz) und studierte von 1854 bis 1858 Rechtswissenschaften an den Universitäten Berlin und Göttingen. Offenbar wurde er (in Göttingen?) zum Dr. iur. promoviert.[1] Mitte April 1859 wurde er als Advokat und Notar in der Großherzoglichen Justizkanzlei Neustrelitz vereidigt.[2]

1861 trat er als Auditor bei der Landvogtei und dem Justizamt für das Fürstentum Ratzeburg in Schönberg (Mecklenburg) in den Justizdienst von Mecklenburg-Strelitz.[3] 1866 war er Kanzleirat in der Justizkanzlei Neustrelitz, dann Stadtrichter in Neubrandenburg. Er wurde Landgerichtsdirektor in Neustrelitz, führte 1872–1885 während der Zeit der Vakanz provisorisch das strelitzsche Staatsministerium[4] und wurde 1887 zum Präsidenten des Landgerichts Neustrelitz berufen.[5] 1886 ernannte Großherzog Friedrich Wilhelm II. ihn im Nebenamt zum Präsidenten des großherzoglichen Konsistoriums.[6]

Piper wurde durch Mecklenburg-Strelitz 1888 als Komtur, 1893 als Großkomtur und schließlich 1915 als Großkomtur mit Brillanten des Hausordens der Wendischen Krone dekoriert.[7]

Piper war seit 1872 mit Margarethe, geb. Siemerling (* 1852), einer Tochter des Neubrandenburger Apothekenbesitzers und Bankiers Viktor Siemerling, verheiratet. Carl Anton Piper (1874–1938) und Otto Piper (1882–1946) waren Söhne des Paares. Eine Tochter, Else (* 1872), war mit dem Arzt und Politiker Friedrich Wilda verheiratet.[8]

Sein Nachlass wird im Landeshauptarchiv Schwerin verwahrt.[9]
Literatur

Grete Grewolls: Wer war wer in Mecklenburg und Vorpommern. Das Personenlexikon. Hinstorff Verlag, Rostock 2011, ISBN 978-3-356-01301-6, S. 7605.

Weblinks

Literatur über Carl Piper in der Landesbibliographie MV

Einzelnachweise
In allen Verlautbarungen wird er als Dr. juris tituliert; eine gedruckte Dissertation ist nicht nachgewiesen
Mecklenburg-Strelitz (Staat): Großherzoglich Mecklenburg-Strelitzischer officieller Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung: 1859. 1859, S. 37 (google.de [abgerufen am 17. Oktober 2020]).
Großherzoglich Mecklenburg-Strelitzischer officieller Anzeiger 1861, S. 42
Max Piper: Chronik der Nachkommen des Johannes Piper (1543-1617). Ms.-Druck. (Breslau, o. J.). - S. 38.
Offizieller Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung 1887, S. 308
Offizieller Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung 1887, S. 4
Bei Peter Ohm-Hieronymussen: Meckl.-Strelitzer Orden und Ehrenzeichen. (2000) stets irrtümlich unter dem Namen des Vaters verzeichnet: Anton Friedrich Christian Carl PI(E)PER. Der Offizielle Anzeiger nennt ihn stets ohne Vornamen!
Gustav Willgeroth: Die mecklenburgischen Ärzte. (1929). S. 186.
Eintrag, Zentrale Datenbank Nachlässe

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Piper_(Jurist)

 

 

 


 

 

 

 

Roderich Hustaedt

Roderich Friedrich Karl Ludwig Hustaedt (* 3. Oktober 1878 in Mirow; † 8. Dezember 1958 in Baden-Baden) war Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei und 1920–1928 Staatsminister von Mecklenburg-Strelitz.
Inhaltsverzeichnis

1 Leben
2 Werke
3 Ehrungen
4 Literatur
5 Weblinks
6 Einzelnachweise

Leben

Roderich Hustaedt, Sohn des Amtszimmermeisters (späteren Fabrikbesitzers) Hermann Hustaedt aus Mirow, besuchte ab 1890 das Gymnasium Carolinum (Neustrelitz) und bestand hier im Herbst 1898 das Abitur. Danach studierte er an der Universität Jena Rechts- und Staatswissenschaften. 1899 wurde er im Corps Guestphalia Jena recipiert.[1] Als Inaktiver wechselte er an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und die heimatliche Universität Rostock.[2] In Rostock wurde er 1903 zum Dr. iur. promoviert.[3]

1907 war Hustaedt Landrichter am Landgericht Neustrelitz, 1908–1920 Mitglied der Juristischen Prüfungsbehörde beim Landgericht Rostock. 1910 wurde er Mitglied der Nationalliberalen Partei, 1911 Stadtvertreter in Neustrelitz, 1915–1919 Stadtsyndikus ebenda. Von 1919 bis 1933 war Hustaedt Vorsitzender des Aufsichtsrates der Mecklenburg-Strelitzer Hypothekenbank.

Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei war er 1919–1931. 1919–1920 und 1920–1928 saß er im Landtag des Freistaates Mecklenburg-Strelitz. Im ersten ordentlichen Landtag war er Fraktionsvorsitzender der DDP. 1920–1924 war er auch Landesvorsitzender der DDP. Außerdem hatte Hustaedt 1920–1928 die Position des Staatsministers des kleinen Freistaates inne. In dieser Funktion verweigerte Hustaedt im Justizirrtum und Fall Josef Jakubowski eine Begnadigung.

Er setzte sich für den Neubau des Neustrelitzer Gymnasiums Carolinum ein, das im Juli 1925 eingeweiht wurde. Ab 1925 war Hustaedt Mitglied des Mecklenburg-Strelitzer Vereins für Geschichte und Heimatkunde.[4]

Von 1919 bis 1954 arbeitete Hustaedt als Rechtsanwalt und Notar in Neustrelitz. Ab 1934 gehörte er dem NS-Rechtswahrerbund an.

Nach dem Zweiten Weltkrieg trat er in die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands in der Sowjetischen Besatzungszone bei. 1954 floh er aus der DDR nach Baden-Baden.
Werke

Roderich Hustaedt – die Lebenserinnerungen eines mecklenburg-strelitzschen Staatsministers. Hrsg. von Michael Buddrus. Unter Mitarbeit von Sigrid Fritzlar. Lübeck : Schmidt-Römhild, 2014. ISBN 978-3-7950-3754-3

Ehrungen

Roderich Hustaedt wurde mit der Großen Goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft des Freistaats Mecklenburg-Strelitz ausgezeichnet und war später bis zu seinem Tode Ehrenvorsitzender der Caroliner-Altschülerschaft.
Literatur

Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar: Landesregierungen und Minister in Mecklenburg 1871-1952. Ein biographisches Lexikon. 1. Auflage. Edition Temmen, Bremen 2012, ISBN 978-3-8378-4044-5.
Andreas Frost: Aufbruch in die Demokratie. Landtage und Abgeordnete in Mecklenburg-Strelitz und Mecklenburg-Schwerin zwischen 1918 und 1920. Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2019, ISBN 9783981643978, S. 69.

Weblinks

Literatur über Roderich Hustaedt in der Landesbibliographie MV
Werke von Roderich Hustaedt in der Landesbibliographie MV
Roderich Hustaedt in der Online-Version der Edition Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik

Einzelnachweise
Kösener Corpslisten 1960, 70/364.
Siehe dazu den Eintrag der Immatrikulation von Roderich Hustaedt im Rostocker Matrikelportal
Dissertation: Über Zahlung mit Geldrollen etc. und deren Wirkung.
Verzeichnet unter Nr. 179 der Mitgliederliste.

https://de.wikipedia.org/wiki/Roderich_Hustaedt

 

 


 

 

 

Józef Jakubowski
(Weitergeleitet von Josef Jakubowski)

Józef Jakubowski, auch Josef Jakubowski oder Osip Jakubowski (* 8. September 1895 in Dubnai, Rajongemeinde Utena, damals Gouvernement Kowno, Kaiserreich Russland, heute Litauen; † 15. Februar 1926 in Strelitz, Mecklenburg-Strelitz, Deutsches Reich) wurde wegen eines Mordes, den er nicht begangen hatte, zum Tod verurteilt und enthauptet. Sein Fall gehört zu den bedeutendsten Justizirrtümern in der deutschen Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts[1] und wurde bis heute formal nicht korrigiert. Im Fall spielte eine gegen Jakubowski gerichtete Ausländerfeindlichkeit eine bedeutende Rolle.


Inhaltsverzeichnis

1 Leben bis 1924
2 Mord, Prozess und Hinrichtung
3 Spätere Entwicklungen
4 Verfilmungen
5 Literatur
6 Weblinks
7 Einzelnachweise

Leben bis 1924

Józef Jakubowski wurde im damaligen Gouvernement Kowno des Russischen Kaiserreiches (heute Litauen) geboren, war allerdings polnischer Nationalität. In der Literatur wird er bisweilen – im eigentlichen Sinne nicht zutreffend – als „Russe“ bezeichnet. Als Soldat der russischen Armee geriet er im Ersten Weltkrieg in deutsche Kriegsgefangenschaft und verbrachte zwei Jahre in einem Gefangenenlager. Nach Kriegsende blieb er in Deutschland und verdingte sich als Landarbeiter in dem westmecklenburgischen Dorf Palingen. Dort lernte er Ida Nogens (* 21. Dezember 1901) kennen, die bereits den unehelichen Sohn Ewald (* 24. April 1921) hatte. Von Jakubowski bekam sie die Tochter Anna. Das Paar wollte heiraten, doch Ida Nogens starb am 15. Mai 1923 an Lungenentzündung.[2] Die Kinder wurden darauf von Ida Nogens verwitweter Mutter Elisabeth Nogens, geb. Treumann, aufgenommen und Jakubowski zahlte Unterhalt, was er jedoch einstellte, als er bemerkte, dass die Kinder bei ihrer Großmutter verwahrlosten.[1]
Mord, Prozess und Hinrichtung

Am 9. November 1924 verschwand der dreijährige Ewald, am 24. November 1924 wurde er erdrosselt in der Nähe von Palingen aufgefunden. Auf Hinweise der Familie Nogens hin nahm man am Tag darauf Józef Jakubowski als Verdächtigten fest.[1] Im März 1925 begann vor der Strafkammer des Landgerichts Neustrelitz, die beim Amtsgericht Schönberg angesiedelt war, der Mordprozess gegen ihn. Die Verteidigung übernahm der Schönberger Rechtsanwalt Carl Koch. Der Angeklagte hatte am Tattag lediglich kein Alibi für die Zeit von 5:45 bis 6:15 Uhr abends. Als Hauptbelastungszeuge trat der geistig schwer behinderte Jugendliche Hannes Nogens auf, ein Onkel des Kindes, der Jakubowski zu dieser Zeit auf dem Weg zum Tatort gesehen haben wollte. Einerseits verzichtete das Gericht wegen des Geisteszustands des Zeugen auf eine Vereidigung, andererseits wurde seiner Aussage genug Gewicht beigemessen, um Jakubowski entscheidend zu belasten.[1][3] Eine Zeugin gab an, um 5.45 Uhr Schreie des Kindes gehört zu haben. Zu diesem Zeitpunkt konnte Jakubowski, sollte er zum Tatort gegangen sein, jedoch noch nicht dort gewesen sein. Daher erklärte die Staatsanwaltschaft kurzerhand, die Zeugin müsse sich bezüglich ihrer Zeitangabe geirrt haben und sie habe die Schreie in Wirklichkeit wohl kurz nach sechs Uhr gehört. August und Fritz Nogens, die Brüder von Ina Nogens, rückten Józef Jakubowski in ein schlechtes Licht. Auf ihre Aussagen hin unterstellte das Gericht als Tatmotiv einen fehlenden Willen zur Unterhaltszahlung.[1]

Jakubowski bezeichnete sich stets als unschuldig. Obwohl er Deutsch schlecht verstand und der Verhandlung nur unzureichend folgen konnte, wurde ihm ein Dolmetscher verweigert. Ein von ihm geäußerter Verdacht gegen die Familie Nogens wurde vom Vorsitzenden Richter Johannes von Buchka (1865–1938)[4] ohne Überprüfung als dreiste Lüge abgetan und verschlimmerte seine Situation eher. Am 26. März 1925 folgten trotz dürftiger Indizienlage Schuldspruch und Todesurteil. Der Neustrelitzer Ministerialrat Ulrich Pagel, der als Prozessbeobachter anwesend war, erwartete anfänglich, wie er dem Verteidiger sagte, eine Aufhebung oder eine Begnadigung, „da der Indizienbeweis nicht ein vollkommener sei.“[5]

Eine Revision wurde jedoch abgelehnt und der Erste Staatsminister Roderich Hustaedt, Regierungschef des Freistaats Mecklenburg-Strelitz, verweigerte die Begnadigung. Am 15. Februar 1926 wurde Józef Jakubowski in der Landesanstalt Neustrelitz-Strelitz von dem Scharfrichter Carl Gröpler[6] mit dem Handbeil hingerichtet. Noch zwei Tage zuvor hatte sein Verteidiger brieflich an Hustaedt appelliert, die Vollstreckung auszusetzen, da er von der Unschuld seines Mandanten überzeugt sei.[1]
Spätere Entwicklungen
Gedenkstein für Józef Jakubowski am Verwaltungsgebäude des Gefängnisses in Strelitz-Alt.

Die Deutsche Liga für Menschenrechte setzte sich für eine Wiederaufnahme des Verfahrens ein. Nach weiteren Ermittlungen des Leiters des Landeskriminalamts, Regierungsrat Steuding, und des Kriminalpsychologen Hans von Hentig gestanden 1928 die Witwe Nogens und ihre beiden Söhne August (* 1905) und Fritz, ein Mordkomplott gegen den kleinen Ewald Nogens geschmiedet und die Tat Jakubowski in die Schuhe geschoben zu haben. So wollten sie auf einen Streich das unerwünschte Kind wie auch Józef Jakubowski als einzigen Ausländer im Dorf loswerden.[1] August Nogens wurde im Juli 1929 wegen Mordes an seinem Neffen und Meineids zunächst zum Tod verurteilt, später allerdings durch den seinerzeit amtierenden Ersten Staatsminister Kurt Freiherr von Reibnitz zu lebenslangem Zuchthaus begnadigt. August starb am 3. November 1943 im KZ Neuengamme, offiziell an offener Lungentuberkulose.[7] Sein Bruder und seine Mutter erhielten wegen Beihilfe zum Mord zeitliche Zuchthausstrafen. Eine von der Deutschen Liga für Menschenrechte unter Mitwirkung von Arthur Brandt gegen Staatsanwalt Müller und Landgerichtspräsident Johannes von Buchka gestellte Strafanzeige wegen Rechtsbeugung wurde abgewiesen. Ebenso wurde ein von Jakubowskis Eltern angestrengtes Wiederaufnahmeverfahren zum nachträglichen Freispruch ihres Sohnes eingestellt.[1] So ist der Schuldspruch gegen Józef Jakubowski bis heute noch nicht formal aufgehoben, obwohl andere die Tat gestanden haben und dafür verurteilt worden sind.

Der „Fall Jakubowski“ verunsicherte die Justiz der Weimarer Republik so stark, dass von Sommer 1929 bis zu Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 nur noch wenige Todesurteile vollstreckt wurden.[1]

Bereits zeitgenössische Journalisten, wie Rudolf Olden und Max Barth, sahen in ausländerfeindlicher Voreingenommenheit der Justizbehörden und des Gerichts den Hauptgrund für den unfairen Prozess. So zitierte Barth in der Sonntags-Zeitung 1928 Nr. 3 zwei Gefängnisgeistliche, die davon überzeugt waren, dass diese Hinrichtung niemals stattgefunden hätte, wäre der Angeklagte ein Deutscher gewesen.[8]

Die vollständigen Strafakten des Jakubowski-Verfahrens und des Nogens-Verfahrens – mit allen ergangenen Urteilen und weiteren Gerichtsentscheidungen, den Anklageschriften, allen Antrags- und Rechtsmittelschriften etc. – sind erhalten geblieben und werden heute im Landeshauptarchiv Schwerin aufbewahrt.[9] Das Urteil des Landgerichts Neustrelitz vom 26. März 1925 ist außerdem bereits in den 1920er Jahren zweimal mit vollständiger Begründung veröffentlicht worden (wobei es sich allerdings nicht um eigenständige Urteilsveröffentlichungen in Rechtsprechungssammlungen oder juristischen Fachzeitschriften gehandelt hat, sondern um den Abdruck im Rahmen zweier Abhandlungen, die sich seinerzeit kritisch mit der Verurteilung Jakubowskis auseinandergesetzt haben[10]).

Das Urteil und die gesamten Strafakten sind also erhalten geblieben und für die Öffentlichkeit zugänglich.

Der Fall Jakubowski wurde in zahlreichen populärhistorischen Sachbüchern und Aufsätzen behandelt. Er war außerdem Gegenstand eines Theaterstücks[11] und mindestens eines Romans[12] und wurde dreimal für Fernsehen und Kino verfilmt.

Dagegen fehlt es – abgesehen von einigen regionalhistorischen Abhandlungen – weitgehend an wissenschaftlicher Literatur zum Thema. Trotz der herausragenden Bedeutung des Falles haben sich weder die Rechtswissenschaft noch die Geschichtswissenschaft in größerem Umfang mit dem Thema befasst. Einzige bedeutsame Ausnahme ist der britische Historiker Richard J. Evans mit seinem 1996 erschienenen und seit 2001 in deutscher Übersetzung vorliegenden Werk über die Geschichte der Todesstrafe in Deutschland. In den drei Kapiteln des Buchs, die die Weimarer Republik zum Gegenstand haben, wird der Fall Jakubowski auf der Grundlage der umfangreichen Original-Strafakten in großer Ausführlichkeit behandelt.[13] Evans stellt den Fall dabei in den Kontext der allgemeinen Praxis der Verhängung und Vollstreckung von Todesstrafen zur Zeit der Weimarer Republik[14] und zeigt außerdem, dass der Fall eine erhebliche Bedeutung für die damaligen rechtspolitischen Bestrebungen zur Abschaffung der Todesstrafe hatte.[15]

In Strelitz-Alt gibt es eine Josef-Jakubowski-Straße. Dort und in Palingen erinnern Gedenksteine aus den 1960er Jahren an Jakubowski, auf denen er im Sinn der damaligen DDR-Ideologie als ein Opfer der Klassenjustiz bezeichnet wird.
Verfilmungen

1959: Fernsehpitaval: Der Fall Jakubowski (Fernsehreihe). Deutscher Fernsehfunk, Regie: Wolfgang Luderer
1962: Mord ohne Sühne. Spielfilm, DDR, Regie: Carl Balhaus, mit Wojciech Siemion als Jakubowski [1]
1964: Der Fall Jakubowski – Rekonstruktion eines Justizirrtums. Fernsehfilm, Bundesrepublik Deutschland, Regie: Robert A. Stemmle, mit Friedrich G. Beckhaus als Jakubowski

Literatur

Arthur Brandt: Der Fall Jakubowski. Ein Beitrag zur Frage der Todesstrafe. In: Die Justiz. Bd. III, 1927/1928, S. 291–305.
Rudolf Olden, Josef Bornstein: Der Justizmord an Jakubowski. Tagebuchverlag, Berlin 1928. (Digitalisat)
Eleonore Kalkowska: Josef. Eine Zeittragödie in 22 Bildern. Berlin 1929.
Friedrich Karl Kaul: Justiz wird zum Verbrechen. Der Pitaval der Weimarer Republik. Das Neue Berlin, Berlin 1953. – 2. Aufl. 1954, S. 387–447.
Theo Harych: Im Namen des Volkes? Der Fall Jakubowski. [Roman.] Verlag Volk und Welt, Berlin 1958. – 3. Aufl. 1962.
Hermann Mostar: Unschuldig verurteilt! Aus der Chronik der Justizmorde. Ullstein, Frankfurt am Main 1961. – Ungekürzter Neudruck Frankfurt am Main / Berlin 1990. ISBN 3-548-34670-7, S. 121–139.
Gerhart Hermann Mostar, Robert Adolf Stemmle (Hrsg.): Todesurteil. Neun Kriminalfälle: Anna Böckler, Charley Ross, Madame Steinheil, Hugo Schenk, Helene Gillet, Franz Salesius Riembauer, Peter Kürten, Josef Jakubowski, Wilhelmine Krautz. Desch, München 1964.
Arthur Brandt: Unschuldig verurteilt. Richter sind nicht unfehlbar. Econ, Düsseldorf/Wien 1982. ISBN 3-430-11509-4, S. 15–23.
Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987. Aus dem Englischen übersetzt von Holger Fliessbach. Kindler und Hamburger Edition, Berlin/Hamburg 2001, ISBN 978-3-463-40400-4, S. 595–736 [zur Todesstrafe in der Weimarer Republik] und insb. S. 667–681, 696–710 [speziell zum Fall Jakubowski]. – Unveränderte Neuausgabe: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2020.

Weblinks

Literatur über Józef Jakubowski in der Landesbibliographie MV

Einzelnachweise
Informationen und Links zum Mordfall Jakubowski auf der Homepage von Palingen
Rudolf Olden, Josef Bornstein: Der Justizmord an Jakubowski. Tagebuchverlag, Berlin 1928. (Digitalisat), S. 10; Beerdigungsregister Herrnburg, abgerufen über ancestry.com am 23. Juni 2023
Hannes Nogens wurde nach dem Prozess in die Landesirrenanstalt Domjüch eingewiesen und starb dort am 3. Oktober 1926, siehe Rudolf Olden, Josef Bornstein: Der Justizmord an Jakubowski. Tagebuchverlag, Berlin 1928. (Digitalisat), S. 32
Universität Rostock: Immatrikulation von Johannes Buchka. Abgerufen am 21. Juni 2018.
Koch an Pagel, 23. März 1926, zitiert nach Rudolf Olden, Josef Bornstein: Der Justizmord an Jakubowski. Tagebuchverlag, Berlin 1928. (Digitalisat), S. 52
Matthias Blazek: Scharfrichter in Preußen und im Deutschen Reich 1866–1945. Ibidem-Verlag, Stuttgart 2010, ISBN 3-8382-0107-8, S. 71.
Sterbeurkunde, abgerufen über ancestry.com am 23. Juni 2023
erich-schairer.de (Memento des Originals vom 17. Oktober 2007 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.. Abgerufen am 7. Dezember 2007.
Vgl. Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987. Berlin/Hamburg 2001, S. 1228.
Arthur Brandt: Der Fall Jakubowski. Ein Beitrag zur Frage der Todesstrafe. In: Die Justiz. Bd. III, 1927/1928, S. 291–300; Rudolf Olden, Josef Bornstein: Der Justizmord an Jakubowski. Tagebuchverlag, Berlin 1928, S. 16–41.
Eleonore Kalkowska: Josef. Eine Zeittragödie in 22 Bildern. Berlin 1929.
Theo Harych: Im Namen des Volkes? Der Fall Jakubowski. Berlin 1958.
Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987. Berlin/Hamburg 2001, S. 667–681 und 696–710.
Vgl. Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987. Berlin/Hamburg 2001, S. 632–736, insb. S. 652 ff., 659 ff., 681 ff., 710 ff.
Vgl. Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987. Berlin/Hamburg 2001, S. 667 f., 673 ff., 680, 681 ff., 692 ff., 708 ff.

https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%B3zef_Jakubowski

 

 

 


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