Meines Vaters Land


 

 

 

 

 

Wibke Bruhns - "Meines Vaters Land"

Eine deutsche Familiengeschichte

Wie konnte es dazu kommen? Wegen seiner Mitwisserschaft am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde der Vater der Journalistin Wibke Bruhns, Hans-Georg Klamroth, hingerichtet.

Wibke Bruhns erzählt sein Leben vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum August 1944 – eine Mischung aus privaten Erlebnissen und zeitgeschichtlichen Betrachtungen. Bei dem Versuch der Tochter, sich ihrem fernen, unbekannten Vater zu nähern, ihn zu erkennen und zu verstehen, ist ein packendes, großartiges Geschichtsbuch entstanden.

Der Vater Hans Georg Klamroth fiel nicht im Kampf an der Front, sondern wurde als Mitwisser des Attentats auf Hitler im August 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Seine Tochter und Autorin ist die kluge, erfahrene Journalistin Wibke Bruhns. Material für ihren Versuch, das Bild des Vaters zusammen zu setzen, findet sie in großem Maße und überraschender Vielfalt in den Familienarchiven. Zum Glück für ihr Vorhaben führten alle Klamroths Tagebuch, schrieben sich und anderen lange Briefe, nutzten schon früh eine Filmkamera und bewahrten schließlich alles auf, einschließlich der Speisepläne bei Familienfesten.

Bruhns hat in jahrelanger Arbeit alles gesichtet und sortiert, um das Leben ihres Vaters und die Beweggründe seines Handelns nachzuzeichnen. Herausgekommen ist eine Familiengeschichte der besonderen Art für die Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum August 1944.

Der Vater Hans Georg Klamroth – sie nennt ihn HG – wird 1898 in eine gut situierte, kaisertreue Kaufmannsfamilie hineingeboren. Man pflegt Kontakte zur Oberschicht der Provinz, zum Adel und zum Militär. Die Handelsbeziehungen der prosperierenden Firma sind Gesellschaftsbeziehungen, sie reichen bis Dänemark und England, weiter in die USA bis hin nach Curaçao. Es gibt auch erfolgreiche jüdische Kaufleute im Ort. Sie werden von den Klamroths respektiert, spielen aber in ihrem sozialen Netzwerk keine Rolle.

Die Eltern erziehen den empfindsamen HG im Sinne der damaligen Werte: hart gegen sich selbst, sportlich, gesellschaftlich gewandt, militaristisch, national. HG gelingt es mit Hilfe seiner Eltern, 1916 sein Notabitur zu machen, um als Dragoner begeistert noch am 1. Weltkrieg teilnehmen zu können. Seine Erlebnisse in Russland und seine Verwundungen lassen in ihm keine Zweifel aufkommen, sie härten ihn ab, seine Gesinnung bleibt konservativ-national.

Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitet er als Junior im väterlichen Unternehmen, wobei er seine Talente einsetzen kann: Fremdsprachen fliegen ihm genauso zu wie die Sympathie der Menschen, kaufmännische Akkuratesse verbindet er mit geschäftlichem Wagemut.

Er heiratet standesgemäß, Kinder werden in schneller Folge geboren. Die wirtschaftlichen und politischen Krisen der 20er Jahre meistert er in Kooperation mit seinem Vater, der ihn inzwischen als Partner schätzt. HG ist auf der Höhe der Inflation 25 Jahre alt.

Das Aufkommen des Nationalsozialismus wird wahrgenommen, aber nicht als Bedrohung erkannt. Die Art dieser Leute passt HG nicht, aber ihre politischen Ziele akzeptiert er. Im April 1933 tritt er in die Partei ein, nicht viel später in die SS. Seine Frau wird Leiterin der Halberstädter NS-Frauenschaft. Beim Familientag der Klamroths wird schon im Mai '33 ein "Arier-Paragraph" in das Familienstatut aufgenommen: "Wir sind mit Recht stolz auf die Rassenreinheit unserer Sippe."

Diese totale Hinwendung zum Nationalsozialismus kam nicht nur aus der Euphorie der ersten Wochen des 3. Reiches, sie hielt und vertiefte sich über die kommenden Jahre. Daran konnten auch Ereignisse wie der Röhm-Putsch oder die Pogromnacht vom 9. November 1938 ("Wir hausen schlimmer als die Hunnen, man schämt sich, ein Deutscher zu sein" schreibt HG's Frau in ihr Tagebuch) nichts ändern.

Sofort zu Beginn des 2. Weltkrieges wird er eingezogen und ist beim Polenfeldzug dabei. Später ist HG, der SS-Mann, als Mitglied der "Abwehr" bei der Partisanenbekämpfung an der Ostfront ("Landgraf werde hart.") Er schreibt viel und oft nach Hause, berichtet aber nur Anekdotisches aus seinen Tagesabläufen. 1943 wird er in das "OKW" (Oberkommando der Wehrmacht) nach Berlin versetzt.

Man kann nur mutmaßen, dass spätestens jetzt – die Schlacht von Stalingrad ist gerade verloren gegangen – Zweifel an der Kompetenz des Hitlers in ihm wachsen. Seine Kontakte zu den Männern des 20. Juli bestehen z.T. schon länger, aber irgendwann müssen sie ihn in ihre Pläne eingeweiht haben. Als das Attentat fehlschlägt, wird er als "Mitwisser" verhaftet und im August 1944 hingerichtet.

Eine Filmaufnahme des Prozesses zeigt ihn als Angeklagten des Volksgerichtshofes. Als Wibke Bruhns 1979 zufällig die Aufnahme mit ihrem Vater sieht, ist dies der Auslöser für die Recherche über ihn.

Heute, 25 Jahre später, legt sie als Ergebnis der Nachforschungen dieses herausragende Buch vor.

Sie findet Worte zwischen beschreiben und urteilen, sie ist neugierig und erschüttert, fragt, beklagt und kann vergeben. Die Personen, besonders HG, der Vater, werden treffsicher beschrieben, man kann sich dem Sog der Geschichte, der Unausweichlichkeit dieser Tragödie nicht entziehen. Und es ist, als Nebenprodukt, eine Art Zeitgeschichte zu erläutern, wie sie kein Geschichtsbuch leisten kann.

 

Biografie Wibke Bruhns:

Wibke Bruhns, am 8.9.1938 als Wibke Klamroth in Halberstadt geboren, wuchs auf in Stockholm, Berlin und London. "Aus politischen Gründen" brach die gelernte Journalisitin und Anhängerin von Willy Brandt 1961 ihr Volontariat bei der Bildzeitung ab.

Wibke Bruhns arbeitete für das NDR-Fernsehen und das ZDF, wo sie 1971 die erste weibliche Nachrichtenssprecherin der Republik wurde. Nach Stationen beim WDR ("Panorama" ab 1973), der ZEIT, dem STERN (als Nahost-Korrespondentin in Israel) und GEO wurde sie 1995 Leiterin der Kulturredaktion des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg.

Die EXPO vertrat sie im Jahr 2000 als Pressesprecherin. Seitdem lebt sie als freie Autorin. Eine Rückkehr zum Fernsehen lehnt die inzwischen 65-Jährige ab: "Da sitzen mir zuviel Tattergreise."

31.01.2009

 

http://www.daserste.de/druckfrisch/thema_dyn~id,33~cm.asp

 


 

 

 

"Meines Vaters Land"

Wibke Bruhns

Econ Verlag, ISBN: 343011571X

 

 

 


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