Mütterlichkeit


 

 

Krönung Mariens, Dom zu Sankt Blasien

 


 

Der Führer

Dabei "betonte der Führer (Adolf Hitler) mit aller Entschiedenheit, daß nicht die Sorge für das Wohl des Kindes in erster Linie ausschlaggebend sei, sondern das ethische Recht der Mutter auf das Kind"

zitiert nach Schubert, Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, 1993, 703,704

 

 

Der Bundesgerichtshof

 

"... zumal die Mutter naturgegeben mit der Geburt die Hauptverantwortung für das Wohl des Kindes trägt."

XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in seinem skandalösen männer- und kinderfeindlichen Urteil vom 4.April 2001

 


 

 

ESTELLA v. WELLDON

 

Mutter, Madonna, Hure

Die Verherrlichung und Erniedrigung der Mutter und der Frau

Waiblingen (Bonz), 1990, 239 Seiten, 48,— DM

 

 

Ausgangspunkt ihres Buches waren Estella Welldons Seminare über weibliche Perversionen in der Londoner Portman-Klinik, die sie zu Beginn der 80er-Jahre zu einem Vortrag über «Mütterlichkeit und sexuelle Perversion» anregten - ein Titel, der mir auch für das vorliegende Buch passender erschienen wäre, weil er den Inhalt deutlicher zum Ausdruck gebracht hätte. Sie schöpft aus ihren langjährigen, in der Klinik gesammelten Erfahrungen mit Patienten, deren Probleme im Bereich der Kriminalität lagen, und untermauert ihre Überlegungen mit Darstellung und Diskussion psychoanalytischer Literatur zur psychosexuellen Entwicklung, in der der traditionelle Phallozentrismus dazu geführt hat, daß die spezifisch weiblichen sexuellen Entwicklungen und Fehlentwicklungen immer noch nicht genügend wahrgenommen werden.

In der Literatur über sexuellen Mißbrauch erscheinen überwiegend Väter als Täter, Töchter als Opfer, und Mütter spielen eine Nebenrolle als tumbe, gefühlskalte Nutznießerinnen der Situation. Vor diesem Hintergrund scheint die auch in Fachkreisen immer noch gängige Behauptung, 80—95% aller Inzestopfer seien weiblich, nur logisch. Dabei werden Mütter als Täterinnen konsequent ausgeblendet, obwohl die Erfahrungen in kindertherapeutischen Praxen, Familienberatungsstellen und Kliniken ein ganz anderes Bild aufweisen. Diese Diskrepanz scheint aber immer noch weitgehend verleugnet und auch in aktuellen Fachbeiträgen kaum berücksichtigt. Hier schließt das vorliegende Buch eine Lücke.

Die Autorin findet eine Erklärung für die unterschiedlichen Reaktionen der Gesellschaft auf mütterlichen und väterlichen Inzest: Die Verleugnung des Mutterinzests hänge mit der Entwertung der Frau zusammen, die die Kehrseite der blinden Glorifizierung der Mutterschaft sei. So liege der Vorstellung `Frauen tun so etwas Schreckliches nicht` die unbewußte Phantasie zugrunde: `So jemand Schwaches kann nicht Täterin sein`. Mit der oben beschriebenen klassischen Konstellation werden die gesellschaftlich zugeschriebenen Rollen (Mann stark = Subjekt Täter, Frau schwach Objekt = Opfer) am wenigsten in Frage gestellt. Die Frau als Schatten des Mannes, als `ohnmächtiges Geschöpf im Penis-neid-Dilemma oder - so in der neuen Frauenbewegung - als das Opfer sozialer Einstellungen` (S. 116) wird als Objekt gesehen, das man im Schaukelspiel von Idealisierung und Entwertung nach Belieben aller Macht berauben oder dem man alle Macht zuschreiben kann — je tiefer die Verachtung, desto höher die Idealisierung. So ist auch die Idealisierung der Mütterlichkeit nur die Gegenseite der Frauenverachtung und Ausdruck des Objektstatus der Frau. (Nicht zufällig erfand der menschenverachtende Nationalsozialismus das Mutterkreuz!) `Wir gestehen ihnen auch nicht den leisesten Sinn für die Verantwortung für ihre einzigartigen Funktionen zu, die in engem Zusammenhang mit der Fruchtbarkeit und der Mutterschaft stehen und die sich zuweilen in perverser Form manifestieren können` (S. 116). Mit der Anerkennung der Frau als Subjekt würde sich die Wahrnehmung ihrer Täter-Seite geradezu aufdrängen, die Seite, mit der sie als Mißbraucherinnen wiederum die Subjekt-Werdung ihrer Kinder verhindern. Als Beleg für die Verleugnung der weiblichen Perversion durch die Gesellschaft führt die Autorin exemplarisch an, daß es bis vor kurzem keine einschlägigen Gesetze gegeben habe. Das Fatale dabei ist, daß Inzesttäterinnen, wenn sie denn den Mut aufbringen, über ihre Not zu sprechen, oftmals auf eine Bagatellisierung ihrer Probleme stoßen, die sie mir ihrer Täter-Seite allein läßt und es ihnen erschwert, therapeutische Hilfe zu finden.

Estella Welldon benennt die Aggression der Täterinnen, gleichzeitig zeigt sie Empathie für ihre Nöte. Die

- hier sehr verkürzt wiedergegebene

- Ursache für die Perversion liege für beide Geschlechter in der Kindheit, im wesentlichen in ungenügender Fürsorge durch Mütter, die selbst wiederum als Kinder unter einem solchen Mangel litten, nicht selten gepaart mir inzestuösen Übergriffen. Dies führt zu einer Verstärkung archaischer Haß- und Rachegefühle, wobei Rache zu verstehen ist als manische Abwehr larenter Trauer, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Der Rächer erlebt ein Hochgefühl aufgrund einer Machtstellung. Die Möglichkeit für eine solche Machtstellung bietet der Frau ihre Mutterschaft, die `für manche Frauen ein ausgezeichnetes Mittel dar(stellt), um ihren Kindern gegenüber perverse und pervertierende Haltungen zum Ausdruck zu bringen und sich an ihrer eigenen Mutter zu rächen` (S. 89), indem sie ihre Macht über ihre Kinder mißbrauchen. Wie die «Macht der Gebärmutter» zu Perversionen führen kann, die sich von der Psychopathologie des Mannes unterscheiden, zur `anderen Seite der Mütterlichkeit`, zu einer «perversen Fürsorge», beschreibt die Autorin anschaulich: Die in ihrer Individuation behinderte, oft selbst mißbrauchte Frau strebt die Mutterschaft `zuweilen aus unbewußten perversen Gründen` an, um in der Rolle der Herrin ihr Kindheitstrauma in den `Triumph des Erwachsenen` umzuwandeln. Kaum ein Herrschafrsverhältnis ist so anfällig für absolute Dominanz und Macht wie das durch reale Abhängigkeit des Kindes von der Mutter charakterisierte Mutter-Kind-Verhältnis. Die perverse Mutter depersonifiziert ihr Kind, sie macht es zu ihrem `Ding`, ihrem `Spielzeug´, ihrem `Phallus`, ihrem `Fetisch`, vielleicht auch zu ihrem `Übergangsobjekt` (dem m.E. allerdings der Übergangscharakter fehlt, da das Objekt der perversen Beziehung ja nicht zum Übergang auf eine reifere Entwicklungsstufe genutzt wird). Kurz: sie macht es zu ihrem Partialobjekt. Die weibliche Perversion unterscheidet sich von der männlichen dadurch, daß sich die perversen Handlungen des Mannes auf externe Partialobjekte richten, die der Frau dagegen auf ihren Körper oder von ihm hervorgebrachte (Selbst-)Objekte. Mit den Worten einer der Patientinnen der Autorin:

`Mein Kind und ich lebten in einem Kokon` (S. 102). Das Kind wird nicht anerkannt als Subjekt, es wird entmenschlicht, zum Partialobjekr der Mutter.

In unserer Arbeit werden wir häufig mit solchen Mutter-Sohn-Beziehungen konfrontiert, deren präödipaler Charakter sich in einer kleinkindhaften, schwül-erotischen Qualität manifestiert. Mütter ergreifen von ihrem kleinen Penisträger Besitz und mißbrauchen ihn als eigenen Phallus

- lustvoll und schuldbewußt zugleich, wie die Mutter eines meiner Patienten, die mir amüsiert — gleichzeitig war es ihr auch peinlich - erzählte, der Sohn hätte ihr im Kleinkindalter vorgeschlagen, zusammen in die Stadt zu gehen und ihr einen Penis zu kaufen, worauf sie ihn um seinen bat.

Estella Welldon geht in der Diskussion ihrer aufrüttelnden, von Empathie getragenen Falldarstellungen auch auf die Problematik der Gegenübertragung ein: Die Inzestschilderungen der Patientinnen lösen starke, verworrene, je nach Geschlecht des Therapeuten unterschiedliche Gefühle aus. Ist es da nicht naheliegend zu vermuten, daß diese Gefühle sich auch auf die selektive Wahrnehmung von sexuellem Mißbrauch auswirken? M. E. ist hier einer der Gründe für die bisherige Ausblendung eines großen Anteils von Täter-Opfer-Konstellationen zu sehen. Auf weitere höchst anregende Gedanken der Autorin, besonders zum Ödipuskomplex (die Verleugnung der Inzestschuld Jokastes) und zur Prostitution (als präödipal perverse Beziehungskonstellation) möchte ich hier lediglich hinweisen.

Dies ist ein wichtiges Buch für Kinderanalytiker. Man sollte sich von der etwas reißerischen Aufmachung - blutbespritzte Mona Lisa unter schwarzer Bildzeitungs-Balkenüberschrift - und dem zunächst eher in die Irre führenden Titel samt Untertitel nicht abschrecken lassen. Es hilft uns, perverse Mutter-Kind-Konstellationen wahrzunehmen und Empathie für die Täterinnen zu entwickeln. Ich vermute, daß auch im Bewußtsein unseres Berufsstandes die Wahrnehmung für derartige Beziehungen noch viel zu wenig geschärft ist. Sie liegen vermutlich häufig in solchen Therapien vor, wo man das Gefühl hat, nicht `dazwischen` zu kommen, wo sich, trotz vermeintlich intensiver Arbeit mit Müttern, nichts verändert, weil die geheime inzestuöse Intimität mit dem Kind aufrechterhalten werden muß zur manischen Abwehr der Depression mißbrauchter, alleingelassener Frauen. Sie schließen sich mir ihrem Kind `in einen perfekten Kreis ein» (S. 121), an dem alle therapeutischen Bemühungen abprallen.

Annegret Wittenberger

(Kassel)

 

 

Rezension in: "Kinderanalyse", 1/1998

 


 

 

 

Mütterlichkeit und Väterlichkeit in West und Ost

Dokumentation einer Tagung in Zusammenarbeit mit Katrin Rohnstock

Heinrich-Böll-Stiftung 1999

114 Seiten

Deskriptoren: Familie Väter Mütter

 

www.boell.de

 

 


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