Narzisstischer Missbrauch


 

 

 

 

"Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung"

 

Bärbel Wardetzki, Kösel, 1991, ISBN 3-466-30320-6, 32 DM

 

"Der Kampf zwischen Abhängigkeit und Autonomie

Der zentrale Faktor im Leben selbstwertschwacher Frauen ist der Kampf zwischen Eigenständigkeit und Abhängigkeit. Ihnen ist in ihrer Entwicklung die Integration von beidem nicht gelungen, so daß sie weiterhin Autonomie und Abhängigkeit als zwei voneinander getrennte Seinsweisen erleben.
Das Abhängigkeitsverhalten wird zum größten Teil schon früh geprägt. Wie ich schon beschrieb, beginnt die erste Loslösung von der Mutter ab einem Alter von circa sechs Monaten und drückt sich in dem Bedürfnis nach Distanzierung aus. Um dies erfolgreich zu verwirklichen, benötigt das Kind die Unterstützung der Mutter und ihre Erlaubnis. Erlebt die Mutter die Autonomie- und Loslösungsbestrebungen des Kindes als bedrohlich, so wird sie diese eher hemmen als fördern. Es besteht dann die Gefahr, daß die symbiotische Beziehung andauert und das Kind von der Mutter abhängig bleibt. Die Motive einer Mutter, das Kind an sich zu binden, sind vielfältig und haben oft etwas mit ihrer eigenen Trennungsangst zu tun. Denn Trennung beinhaltet immer Schmerz und Trauer. Diese Gefühle können vermieden werden, wenn die Trennung nicht vollzogen wird und der Mensch weiterhin in Abhängigkeit lebt. Die Mutter wird das Kind nur soweit eigenständig werden lassen, wie sie selbst fähig ist, es loszulassen.
Die Botschaft an die Kinder, die sich nicht separieren sollen, lautet im übertragenen Sinne: >Nur wenn du bei mir bleibst, bekommst du, was du brauchst. Wenn du gehst, entziehe ich dir meine Liebe.< Dadurch bekommt das Kind Angst und fühlt sich verlassen, wenn es sich distanziert, da ihm die Unterstützung der Mutter entzogen wird. Es gerät in eine sogenannte Verlassenheits- oder Vernichtungskrise, die mit starken Wut- und Leeregefühlen verbunden ist. Das Kind paßt sich daraufhin der mütterlichen Forderung an, bei ihr zu bleiben, muß dafür aber seine Ablösungstendenzen verleugnen. Sie werden in diesem Alter dann abgespalten und als >böse< etikettiert. Das >gute< Kind paßt sich an und trennt sich nicht, das >böse< ist wütend und will eigenständig werden, riskiert aber dadurch, die mütterliche Unterstützung zu verlieren.
Auch wenn die Separierungstendenzen nicht ausgelebt werden können, so bleiben sie doch vorhanden und verschaffen sich im Erwachsenenalter Ausdruck in neurotischen Symptomen oder EßBrech-Attacken. Der sogenannte >böse< oder auf Selbständigkeit gerichtete Teil von sich wird im Symptom ausgelebt. "Nur bei meinen Eß-Brech-Anfällen bin ich wirklich ganz bei mir. Da ist dann niemand, der mir reinredet oder was von mir will. Ich bin endlich ich selbst." Eine andere Variante ist der Trotz, der Distanz und eigenen Raum schafft, aber mit Unzufriedenheit und Beziehungsverlust bezahlt werden muß.
Wenn Separation, Eigenständigkeit und Abgrenzung nur über Krankheit und Selbstzerstörung möglich sind, können sie nicht befriedigend sein. Sie werden im Gegenteil eher wie ein Scheitern an der gefährlichen Welt erlebt und als Bestätigung. daß Eigenständigkeit schlecht ist. Die innere Stimme der >guten Mutter<, die das Kind nicht gehen lasen will, bestärkt dies: >Ich hab' doch gleich gesagt, bleib bei mir, alleine schaffst du es nicht.< Die Bedürfnisse nach Unabhängigkeit und Einssein können auf diese Weise nicht integriert werden. Denn gibt das Kind "dem Wunsch nach Symbiose nach, dann entsteht die Angst vor dem Verschlungenwerden. Beim Nachgeben gegenüber dem Trennungswunsch tritt die Angst vor der Trennung auf (Verlassenheitsdepression). Die Beziehung zur Mutter kann man daher als >stabil-instabil< bezeichnen. Das bedeutet, daß die Beziehung zwar über die Zeit erhalten, also stabil bleibt, aber in sich instabil ist, da sie zwischen symbiotischer Nähe und Distanz wechselt.
Es gibt also entweder nur Anpassung oder Autonomie, aber nicht beides zusammen. Im Erleben der Frau widersprechen sie sich aufgrund der frühen Erfahrungen, in denen Liebe und Zuwendung mit dem Aufgeben von Eigenständigkeit und Individualität verbunden war. Und das muß Beziehungen zum Scheitern bringen. Die erwachsene Frau wird in einer intimen Beziehung entweder mit Selbstaufgabe reagieren oder alleine bleiben. Sie hat nicht gelernt, eigenständig innerhalb einer Beziehung zu sein. Da, wo Liebe und Autonomie zwei sich ausschließende Erlebnisweisen darstellen, können sie nur alternativ gelebt werden, verbunden mit den entsprechenden Beziehungsproblemen.
Der Abhängigkeits-Autonomie-Konflikt ist ein zentraler Konflikt in der Entwicklung des Kindes und im Leben des Erwachsenen.

...

Schneider-Henn spricht im Zusammenhang mit der Aggressionshemmung von der >>braven Tochter, die keine Probleme macht, angepaßt und lieb ist<<, Diese Mädchen wehren sich nicht und setzen sich nicht gegenüber der Mutter durch, entweder "weil ihr Wille gebrochen ist" oder um ihre Mutter nicht zu enttäuschen. die sich mit scheinbar selbstloser Liebe und Zuwendung um die Tochter sorgt. Sie, die Mutter, ist in den seltensten Fällen ein Modell für die Tochter in bezug auf Abgrenzung und konstruktive Aggressivität. Sie demonstriert eher das Bild einer angepaßten und von der Meinung anderer abhängigen Frau, die besser weiß, was andere bedürfen, als was sie selbst braucht.

S. 92ff

 

 


 

 

 

 

Walter Andritzky: Verhaltensmuster und Persönlichkeitsstruktur entfremdender Eltern 

(S. 166-182)

Psychotherapie 7. Jahrg. 2002, Bd. 7, Heft 2 © CIP-Medien, München

 

2.2 Narzisstischer Missbrauch

Wie bereits erwähnt ist für die Borderline-Persönlichkeit ein Gefühl innerer Leere typisch, das mit dem allgegenwärtigen Bestreben kompensiert wird, Bestätigung und narzisstische Zufuhr zu erhalten, weshalb der entfremdende Elternteil sich an das Kind wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm klammert.

Heyne (1993) charakterisierte die für ein Kind daraus resultierende Psychodynamik treffend als narzisstischen Missbrauch und schildert anschaulich die Verhaltens- und Erlebensweisen:

“Hierunter verstehe ich Beziehungskonstellationen zwischen Mutter und Kind, in denen die Befriedigung der narzisstischen Bedürfnisse der Mutter unter Ausnutzung der Abhängigkeit des Kindes im Vordergrund steht. Narzisstisch ausbeuterische Beziehungen zeichnen sich durch ihren symbiotischen Charakter aus: Das Kind ist sozusagen ein von der Mutter geschaffenes ‚Ding’, das sie wie einen unabgegrenzten Teil ihrer selbst erlebt, über den sie beliebig verfügen kann. Sie kann das Kind nicht als eigenständiges Wesen wahrnehmen und in seiner Eigenart anerkennen; statt dessen stülpt sie ihm narzisstische Bedeutungen über, die auf ihre eigene Person bezogen sind; sie idealisiert das Kind und spricht ihm Eigenschaften und Verhaltensweisen zu, die allein ihren Vorstellungen darüber, wie das Kind sein sollte, entspringen. Das Kind hat in einer solchen Beziehung die Aufgabe, das als mangelhaft empfundene Ich der Mutter zu vervollständigen und das ‚Loch im Ich’ der Mutter wie eine Plombe zu füllen. Zuwendung erfährt es nur, insoweit es den Erwartungen der Mutter entspricht. Autonomiebestrebungen des Kindes werden unterbunden, bestraft und mit der Erzeugung von Schuldgefühlen belastet bzw. nur soweit zugelassen, wie sie im Dienste der mütterlichen Bedürfnisbefriedigung narzisstisch ausbeutbar sind. Jedes Abweichen von den Erwartungen der Mutter wird von ihr als verletzender oder aggressiver Akt, als Ausdruck der Verrats empfunden. Innere wie äußere Trennungen aber müssen um jeden Preis vermieden werden. Daher entbrennt ein Machtkampf nicht nur hinsichtlich des Verhaltens des Kindes, sondern auch hinsichtlich der Kontrolle seiner Gefühle und Gedanken. Die Mutter ist davon überzeugt, das Kind besser zu kennen, als es sich selber kennt. Besser als das Kind meint sie zu wissen, was es wirklich denkt, fühlt, will und braucht und was es demzufolge zu denken, zu fühlen, zu wollen und zu tun hat. Es reicht ihr aber nicht aus, wenn es sich ihren Erwartungen lediglich beugt: Es soll selber wollen, was es soll, sich also ganz und gar mit dem Bild, das sie von ihm entworfen hat, identifizieren, und sei es ihm auch noch so wesensfremd. Negative Gefühle wie Verletztheit, Ärger, Wut und Haß sind dem Kind nicht bzw. nur insoweit, als sie auch für die Mutter einen Zweck erfüllen, gestattet, da sie eine Art von Abgrenzung darstellen, die Konflikt und damit zumindest vorübergehend innere Trennung mit sich bringt. Hinsichtlich eigener Gefühle und Bedürfnisse unterliegt das Kind einem regelrechten Denk- und Wahrnehmungsverbot, und da es sie weder wahrnimmt noch zum Ausdruck bringen darf, erlebt es diese Gefühle als nicht zu sich gehörig und insofern als unwirklich. Irgendwann wird es sie schließlich gar nicht mehr identifizieren können; statt dessen wird es fühlen, was es meint fühlen zu müssen, und diese fremdbestimmten Regungen wird es mit authentischen Gefühlen verwechseln ...”

Da das Kind wie ein lebendes Antidepressivum mittels Rollenumkehr (Parentifizierung) die emotionale Leere des eE ausfüllt, entstehen bei ihr/ihm Therapiemotivation und Leidensdruck erst, wenn die symbiotische Bindung an das Kind durch einen gesicherten Umgang mit dem anderen Elternteil aufgelockert ist und die Verlustangst unmittelbar gespürt werden kann. Jedes Mitagieren mit den Ausgrenzungsabsichten des entfremdenden Elternteils stellt hier einen behandlungstechnischen Kunstfehler dar und belastet das Kind weiter mit dem emotionalen Sog.

Als Theaterstück wurde die Geschichte eines narzisstischen Missbrauchs von August Strindberg im leider nur selten gespielten Stück “Mutterliebe” zwischen einer Mutter und ihrer Tochter dargestellt: Als der Vater, von dem die Tochter bisher nichts wusste, Kontakt zur Tochter aufnehmen will, zieht die Mutter alle Register der Manipulation der Tochter. Nach einem nicht leichten Kampf der Tochter mit der übermächtigen Mutter resigniert die Tochter und beschließt, das Leben nicht zu wagen und in der Abhängigkeit von der Mutter zu verbleiben.

 

 


 

 

 

Narzisstischer Missbrauch I

 

" ...

In Anlehnung an die Definition des narzißtischen Mißbrauchs von REIMER (1990) kann ein emotional-psychischer Kindesmißbrauch in Trennungs- und Scheidungsfamilien (bei konflikthaften Umgangsproblemen) folgendermaßen definiert werden. "Unter psychisch-emotionalem Mißbrauch in Trennungs- und Scheidungsfamilien sind alle Interaktionen und Beziehungskonstellationen zwischen einem Elternteil und dem Kind zu verstehen, die primär dem Wunsch des betreffenden Elternteils nach egoistischer und narzißtischer Gratifikation dienen, und die die gesunde Entfaltung des Kindes verhindern bzw. zumindest erheblich erschweren." (Klosinsi 1995). Dabei muß es sich um einen chronischen, d.h. längerfristigen Mißbrauch handeln, da bei akuten Scheidungssituationen dramatische Entwicklungen eher die Regel sind und alle Beteiligten emotional sozusagen "mißbraucht" werden.

In diese sehr weit gefaßte Definition des emotionalen Kindesmißbrauches fallen zumindest vier unterschiedliche Situationen oder Verhaltensweisen, wie wir sie an anderer Stelle beschrieben haben (Klosinski 1993): (a) Wenn chronische Trennungsängste und Schuldgefühle dem Kind induziert werden, um es auf die Seite eines Elternteils zu ziehen. (b) Wenn ein Kind bewußt oder unbewußt funktionalisiert wird und den Bedürfnissen eines Elternteils genügen muß (z.B. als Bote oder Spion). (c) Wenn ein Kind entführt oder rechtswidrig zurückgehalten wird durch einen Elternteil und (d) wenn sich Eltern vor den Kindern körperlich malträtieren."

aus: 

M. Karle, G. Klosinski: Empfehlungen zum Ausschluß des Umgangsrechts - Gründe und Begründungen aus 30 Gutachten

in: "Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie", 45: 331-338 (1996)

ISSN 0032-7034

 

 


 

 

 

Narzisstischer Missbrauch II

Unter "narzißtischem Mißbrauch"« verstehe ich Beziehungskonstellationen zwischen Mutter und Kind, in denen die Befriedigung der narzißtischen Bedürfnisse der Mutter unter Ausnutzung der Abhängigkeit des Kindes im Vordergrund steht. Narzißtisch ausbeuterische Beziehungen zeichnen sich durch ihren symbiotischen Charakter aus: Das Kind ist sozusagen ein von der Mutter geschaffenes "Ding", das sie wie einen unabgegrenzten Teil ihrer selbst erlebt, über den sie beliebig verfügen kann. Sie kann das Kind nicht als eigenständiges Wesen wahrnehmen und in seiner Eigenart anerkennen; statt dessen stülpt sie ihm narzißtische Bedeutungen über, die auf ihre eigene Person bezogen sind; sie idealisiert das Kind und spricht ihm Eigenschaften und Verhaltensweisen zu, die allein ihren Vorstellungen darüber, wie das Kind sein sollte, entspringen.

Das Kind hat in einer solchen Beziehung die Aufgabe, das als mangelhaft empfundene Ich der Mutter zu vervollständigen und das "Loch im Ich" der Mutter wie eine Plombe zu füllen. Zuwendung erfährt es nur, insoweit es den Erwartungen der Mutter entspricht. Autonomiebestrebungen des Kindes werden unterbunden, bestraft und mit der Erzeugung von Schuldgefühlen belastet bzw. nur soweit zugelassen, wie sie im Dienste der mütterlichen Bedürfnisbefriedigung narzißtisch ausbeutbar sind. Jedes Abweichen von den Erwartungen der Mutter wird von ihr als verletzender oder aggressiver Akt, als Ausdruck der Verrats empfunden. Innere wie äußere Trennungen aber müssen um jeden Preis vermieden werden. Daher entbrennt ein Machtkampf nicht nur hinsichtlich des Verhaltens des Kindes, sondern auch hinsichtlich der Kontrolle seiner Gefühle und Gedanken. Die Mutter ist davon überzeugt, das Kind besser zu kennen, als es sich selber kennt. Besser als das Kind meint sie zu wissen, was es wirklich denkt, fühlt, will und braucht und was es es demzufolge zu denken, zu fühlen, zu wollen und zu tun hat. Es reicht ihr aber nicht aus, ihren Erwartungen lediglich beugt: Es soll selber wollen, was es soll, sich also ganz und gar mit dem Bild, das sie von ihm entworfen hat, identifizieren, und sei es ihm auch noch so wesensfremd.

Negative Gefühle wie Verletztheit, Ärger, Wut und Haß sind dem Kind nicht bzw. nur insoweit, als sie auch für die Mutter einen Zweck erfüllen, gestattet. da sie eine Art von Abgrenzung darstellen, die Konflikt und damit zumindest vorübergehend innere Trennung mit sich bringt. Hinsichtlich eigener Gefühle und Bedürfnisse unterliegt das Kind einem regelrechten Denk- und Wahrnehmungsverbot, und da es sie weder wahrnimmt noch zum Ausdruck bringen darf, erlebt es diese Gefühle als nicht zu sich gehörig und insofern als unwirklich. Irgendwann wird es sie schließlich gar nicht mehr identifizieren können; statt dessen wird es fühlen, was es meint fühlen zu müssen, und diese fremdbestimmten Regungen wird es mit authentischen Gefühlen verwechseln.

Um die Wünsche und Erwartungen der Mutter erfüllen und befriedigen zu können, muß das Kind unter Verzicht auf innere und äußere Abgrenzung sein Selbst verraten und sich für die Mutter verfügbar halten, zumal sie dem Kind vermittelt, daß sie es dringend braucht. Im Zusammenhang mit derartigen Loyalitätsbindungen entstehen stark verflochtene emotionale Beziehungen, die schwer bis kaum noch lösbare Abhängigkeiten erzeugen (siehe Kapitel »Latenter Inzest«).

Die Beziehung der Mutter zu ihrem Kind ist dabei notwendig ambivalent; sie hat dem Kind gegenüber eine ausgesprochene Anspruchshaltung, von der es in jedem Falle überfordert ist, und sie idealisiert es auf eine Art und Weise, die aufgrund der tatsächlichen Unvollkommenheit des Kindes zwangsläufig zu Enttäuschungen führen muß. Während der Idealisierung des Kindes im Verhalten der Mutter Pseudo-Nähe entspricht, die nicht das wirkliche Kind, sondern das auf das Kind projizierte Ideal der Mutter meint, entspricht der unausbleiblichen Enttäuschung über die Unvollkommenheit des Kindes ein Verhalten, das durch plötzlichen Rückzug und kühle Distanz gekennzeichnet ist. Die Wechsel zwischen Pseudo-Nähe und Rückzug sind abrupt, das Verhalten der Mutter ist in hohem Maße inkonsistent und für das Kind nicht vorhersehbar. Infolgedessen wird sein Vertrauen in die Verläßlichkeit der Umwelt und damit auch sein Selbstvertrauen empfindlich geschädigt.

Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen spürt das Kind, daß es nicht um seiner selbst willen geliebt wird; es spürt die feindseligen Impulse, und es spürt, daß es für fremde Zwecke benutzt wird. Die Wirklichkeit erscheint ihm unzuverlässig und doppelbödig: Hinter der von der Mutter behaupteten liebevollen Qualität der Beziehung verbirgt sich eine andere Wahrheit, eine zweite Wirklichkeit. Die Realität gewinnt für das Kind keine klar umrissenen Konturen, und die Existenz dieser "»doppelten Wirklichkeit" erzeugt in ihm tiefe Unsicherheit in bezug auf die eigenen Wahrnehmungen und Gefühle, da diese den Interpretationen der Mutter zuwiderlaufen. Letztendlich wird das auf das Wohlwollen der Mutter angewiesene Kind gezwungen sein, ihre Interpretationen zu übernehmen, um bedrohliche Konflikte zu vermeiden: Zu der emotionalen Verlassenheit durch die Mutter tritt die dem Kind aufgenötigte Selbstverlassenheit und Selbstentfremdung.

In der Summe unterliegt das Kind dem Diktum eines Individuationsverbotes. Das Recht auf ein eigenes Selbst wird ihm abgesprochen; an dessen Stelle tritt im Laufe der Zeit ein unter enormem Anpassungs- und Loyalitätsdruck entstandenes "falsches Selbst". Authentische ethisch-moralische Maßstäbe haben in diesem "falschen Selbst" keinen Platz, weil Werte und Normen nicht in Selbstverantwortung und Freiheit erworben werden konnten. sondern immer nur als fremdbestimmt und aufgezwungen erlebt wurden.

Da die Grunderfahrung eines narzißtisch mißbrauchten Kindes darin besteht, daß in einer Beziehung zu einem anderen Menschen immer nur Platz für ein Ich ist, kann es sich Beziehungen zu anderen Menschen nur in der Polarität von Unterwerfung und Herrschaft vorstellen, Liebe und Bindung sind auf diesem Hintergrund nicht oder nur in verzerrten und destruktiven Ausprägungen lebbar. Da die Erfahrung besagt, daß sowohl Liebe als auch Bindung Mittel zum Zwecke der Ausbeutung, Manipulation und Kontrolle sind, ist jeder Versuch, Nähe und Intimität zuzulassen, zum Scheitern verurteilt, weil er mit der Angst vor erneuter identitätsvernichtender Vereinnahmung unlösbar verbunden ist.

 

aus:

"Täterinnen. Offene und versteckte Aggressionen von Frauen."

Heyne, Claudia:  Kreuz Verlag Zürich 1993, 385 S., 36 DM, ISBN 3-268-00145-9

Kapitel 1: "Die Mütter: Gesellschaftliche Ohnmacht und persönliche Macht."

Kapitel 4: "Die sanfte Gewalt: Narzißtischer Mißbrauch"

 

 

 

 


 

 

"Mutterliebe"

Von August Strindberg stammt das selten gespielte Stück "Mutterliebe", in dem die pathologische Beziehung (oder die Geschichte eines narzißtischen Missbrauchs) zwischen einer Mutter und ihrer Tochter dargestellt wird. Als der Vater, von dem die Tochter bisher nichts wusste, Kontakt zur Tochter aufnehmen will, zieht die Mutter alle Register der Manipulation der Tochter. Nach einem nicht leichten Kampf der Tochter mit der übermächtigen Mutter resigniert die Tochter und beschliesst, das Leben nicht zu wagen und in der Abhängigkeit  von der Mutter zu verbleiben.

 

 


 

 

Zum Thema 

"Narzisstischer Missbrauch durch Mütter" 

 

Volker Elis Pilgrim, "Du kannst mich ruhig Frau Hitler nennen"

Pilgrim, Volker Elis: Muttersöhne. Düsseldorf 1986 [Theorie zur physischen Gewalt von Männern]

 

 

 


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