Richterblockade
Vor 35 Jahren: Die „Richterblockade“ von Mutlangen schrieb
Rechtsgeschichte
Von
Uwe Meier -
12. Januar 2022
"...im Namen der NATO werden die Damen und Herren Kollegen wegen Nötigung
verurteilt..." Quelle: Philipp Heinisch
Heute, am 12.Januar 2022 ist es 35 Jahre her, dass Richter und Staatsanwälte vor
dem Atomraketendepot in Mutlangen gegen die Stationierung der Pershing II
protestierten. Das erregte international Aufsehen, denn so etwas tun Richter und
Staatsanwälte nicht, zumal diese Aktion nach der damaligen Rechtsauffassung,
auch noch rechtswidrig war. Mutlangen kam in die Weltpresse. (Pressespiegel)
Nach der Festnahme und Personalienfeststellung wurde gegen sämtliche
Demonstranten Strafanzeige wegen „Nötigung“ erstattet. Der ehemalige Richter am
OLG Braunschweig, Dr. Helmut Kramer, aus Wolfenbüttel war mit dabei.
Für die Demonstranten war die Demo eine Herausforderung. Nicht nur juristisch.
Die Schwäbische Alp erstarrte im Frost bei – 20 Grad. Foto: Bernd Asbrock
Vom Amtsgericht Schwäbisch Gmünd sind 16 Strafbefehle erlassen worden. In vier
Fällen hat der zuständige Amtsrichter Krumhard den Erlass eines Strafbefehls
abgelehnt. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Ellwangen
jedoch diese Ablehnungsbeschlüsse aufgehoben und dem Richter Krumhard die
Zuständigkeit entzogen. Alle Angeklagten wurden zu einer Geldstrafe verurteilt
gegen die Rechtsmittel eingelegt wurde.
20 Juristen demonstrierten gegen die atomare Bewaffnung. So etwas gab in
Deutschland noch nie. Aber dafür gab es „Blutrichter“ in bundesdeutschen Talaren
und hohen Ehren, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Foto: Bernd Asbrock
Hier die öffentliche Erklärung der Richter und Richterinnen:
Im Wortlaut: Die Menschheit als Geisel
Wir sind Richterinnen und Richter und gehören der Initiative ?Richter und
Staatsanwälte für den Frieden an. Wir haben gemahnt und gewarnt durch unsere
Mitarbeit in lokalen Friedensgruppen, durch Zeitungsanzeigen, Demonstrationen
und Resolutionen, durch unsere Friedensforen in Bonn im Sommer 1983 und in
Kassel im November 1985. Die Warnungen der Friedensbewegung sind, soweit sie
überhaupt gehört wurden, verhallt. Heute ist unsere Sicherheit stärker gefährdet
als je zuvor. In Reykjavik sind umfassende Abrüstungsvereinbarungen gescheitert.
Es droht die Fortsetzung der weltweiten Atomwaffentests.
Deswegen blockieren wir heute in Mutlangen. Wir meinen, daß dies besser gehört
wird als alle unsere Worte bisher. Weiter „Pressehütte“.
Dr. Helmut Kramer wird abgeführt. Wie er dem Autor sagte, ging er freiwillig
mit, um nicht würdelos getragen zu werden. Foto: Bernd Asbrock
Der in Wolfenbüttel wohnende ehemalige Richter am Oberlandesgericht
Braunschweig, Dr. Helmut Kramer, gehörte auch zu den Mutlangen-Richtern, die
sich im Januar 1987 vor ein US-Atomwaffen-Depot auf die Straße gesetzt und einen
Militärkonvoi blockiert haben. Auch er wurde festgenommen, und damit bekann eine
juristische Odyssee, denn wer Kramer kennt der weiß: er gibt nicht auf, und
soweit möglich bis zum Bundesverfassungsgericht. Er schrieb damit
Rechtsgeschichte.
Die Sitzblockade in Mutlangen war ein Meilenstein in der Geschichte des
gewaltlosen, zivilen Widerstandes. Eine Protestform, die noch heute aktuell ist,
wie „Stuttgart 21“ und die Castortransporte gezeigt haben. Vor allem irritierte
damals die Staatsmacht, dass sich hier keine langhaarigen Hippies von
Polizeibeamten wegtragen ließen, sondern Repräsentanten eben dieser Staatsmacht.
„Du Polizist! Wenn sie dir heute befehlen: Schütze ihre Pershings…Dann gibt es
nur eins: Sage Nein!“. Plakat der Demonstranten. Foto: Bernd Asbrock
Auf Mutlangen folgte vor verschiedenen Gerichten ein juristisches Tauziehen
unter Kollegen, Richter gegen Richter, munitioniert mit Befangenheitsanträgen
und Klagen an die jeweils höhere Instanz bis zu einer Verfassungsbeschwerde.
Legendär in der Justizgeschichte ist die erste Verhandlung mit dem Vorsitzenden
Richter Werner Offenloch im Saal 11 des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd. Vor einem
Gericht, das sonst über Trunkenheitsfahrten und Ladendiebstähle urteilen musste,
ging es um nicht weniger als einen möglichen atomaren Weltuntergang. Das musste
schief gehen.
Das Amtsgericht verurteilte die beteiligten Richter, auch Helmut Kramer, zu
Geldstrafen. Kramer trieb, wie erwartet, die juristische Auseinandersetzung
(Richter gegen Richter) auf die Spitze und ging vor das
Bundesverfassungsgericht. Das höchstrichterliche Urteil: Sitzblockaden seien
keine Nötigung. Alle Richter, auch Kramer, wurden in Wiederaufnahmeverfahren
freigesprochen. Auch die Begründung von Kramer zur Auslegung des
Nötigungsparagrafen hat Rechtsgeschichte geschrieben.
Taktvoll soll es wenigstens dort beim BVG zugehen. »Darf ich eigentlich«, fragte
sich schon bei der Tat einer der blockierenden Richter, »das Hohe Gericht mit
,liebe Kollegen‘ anreden?«
https://braunschweig-spiegel.de/vor-35-jahren-die-richterblockade-von-mutlangen-schrieb-rechtsgeschichte/
DIE ZEIT, 17.7.1988 Nr. 30
Richter vor Gericht
Pershing-Blockade
Warum der Prozeß platzte
Von Hanno Kühnert
Schwäbisch Gmünd
Was sind Sie von Beruf?“ fragte der Vorsitzende Werner Offenloch den Angeklagten...
Die Richter unter den Angeklagten hatten am 12. Januar dieses Jahres an jener Sitzdemonstration von 20 Richterinnen, Richtern und Staatsanwälten der Friedensbewegung vor dem Raketendepot von Mutlangen teilgenommen, die in der Republik großen Widerhall fand und laute Schelte, etwa auch vom Bundeskanzler, hervorrief. Darüber geriet das Ziel der richterlichen Aktion, auf die ihrer Meinung nach rechtswidrige Ansammlung von Massenvernichtungswaffen aufmerksam zu machen, fast aus dem öffentlichen Bewußtsein. Die Richter hatten sich – nach anderthalb Jahren skrupulöser Überlegungen und Diskussionen - zwei Stunden lang vor das Depot gesetzt und amerikanische Lastwagen am Durchfahren gehindert, eine Tat, deretwegen schon zahlreiche juristische Laien vor dem Amtsgericht Schwäbisch Gmünd zu immer ähnlichen Strafen wegen verwerflicher Nötigung verurteilt worden waren.
Nun standen sie also selbst vorm Richter. Und vier Richterinnen und Richter, dazu ein erfahrener Strafverteidiger, nahmen ihre Prozeßrechte wahr. Es war der zweite Blockade-Prozeß gegen Richter, der erste gegen die Gruppe der zwanzig Mutlangen-Richter, und es wurde eine bemerkenswerte und bewegende Hauptverhandlung.
...
Doch als die Angeklagten in der Mittagspause erfuhren, daß Offenloch in einem früheren Verfahren gegen Sitzblockierer gesagt hatte, die „immer häufigeren Freisprüche in Blockadeverfahren“ seien „betrüblich und bedauerlich“, platzte den angeklagten Richtern der Kragen – das war ihnen, bei allem Verständnis für den anders denkenden Kollegen Offenloch, doch zu viel an emotionaler Voreingenommenheit: Frau Storsberg lehnte ihn wegen Befangenheit ab. Offenloch hielt seinen exzentrischen Ausspruch „sogar für wahrscheinlich“, und da kein Richter mehr im Gericht zu sein schien, der darüber befinden konnte, war die Hauptverhandlung plötzlich zu Ende.
http://www.zeit.de/1987/30/richter-vor-gericht
Kommentar Väternotruf:
Richter mit Arsch in der Hose, das ist nicht unbedingt die Regel. Die meisten Richter und Staatsanwälte sind brave Beamten, die nie im Leben Zivilcourage zeigen würden, wenn es ihnen schaden könnte. Das sieht man auch in der sogenannten Coronapandemie, wie sich Richter und Staatsanwälte als willige Vollstrecker absurder Zwangsmaßnahmen der deutschen Coronapanikregierung betätigen.