Sterilisation


 

 

 

 

Schwerin

Wer ist schuld am Tod von Lea-Sophie?

Oberflächlich wirken die Eltern von Lea-Sophie nicht brutal. Der Vater will beweisen, dass er kaum schuldig ist am Tod des Mädchens. Doch es bleiben Fragen.

 

Von FOCUS-Autor Rüdiger Pannenborg

 

In Schwerin begann heute vor der zweiten großen Strafkammer der Prozess um zwei Menschen, die ihre Tochter schlicht verhungern und verdursten ließen. Für die Staatsanwaltschaft war es nichts anderes als Mord. Den beiden 23 und 26 Jahre alten Angeklagten attestiert die Staatsanwaltschaft „Gefühlskälte“ und „Grausamkeit“. Doch die beiden Beklagten passen so gar nicht in das Schema brutaler Elternbilder.

Nicole G. trat im geschmackvollen dunkelgrauen gestreiften Hosenanzug und Stefan T. in gepflegter dunkelgrauer Kombination vor die Schranken des Gerichtes. Fast wirkten sie, wie das typische Bild einer lieben Nachbarfamilie. Unauffällig, kinderlieb, tierlieb und sauber. Nichttrinker, Nichtraucher und andere Drogen nur aus Erzählungen kennend. Genauso war es auch im Leben der jetzt Angeklagten. Dennoch schwebt das Damoklesschwert des Strafgesetzbuches über die beiden Menschen. Mögliches Urteil: Lebenslänglich. Beide sind nach Auffassung der psychologischen Gutachter voll schuldfähig.

 

 

Am ersten Verhandlungstag äußert sich lediglich Stefan T. – und auch das nur über seinen Anwalt. Die beiden Pflichtverteidiger der Mutter schweigen. Rechtsanwalt Ralph Schürmann geht nach der Verlesung der zweiseitigen Anklage in die Offensive. Resümee seines Vortrages: Stefan T. habe eigentlich keinen direkten Draht zur gemeinsamen Tochter gehabt. G. sei für das Kind zuständig gewesen, ebenso wie für Essen, Hygenie und die komplette Versorgung. Auch das Kind habe er in den letzten Wochen nie unbekleidet gesehen. „Sie hatte immer eine Strumpfhose und Oberbekleidung an“. Als Vater habe er versagt, ließ der Ex-Bundeswehrsoldat verkünden.

Nicole G. – eine Rabenmutter?

Von der Mutter ist auch in den nachfolgenden Aussagen des Klinikarztes Dirk-Reiner Böttcher kaum die Rede. Sie blickt immer noch stumpf in Richtung Fenster. Sie kommt auch in den Aussagen der Ärzte nicht vor. Gesprochen hat Klinikarzt Böttcher lediglich mit dem Vater. „Zweimal habe ich mit ihm Kontakt gehabt.“ Einmal habe der Vater ihn zwei Stunden nach der Einlieferung angerufen. „Am Telefon hat der Vater geweint, als ich ihm die lebensbedrohliche Lage seiner Tochter mitteilen musste“, erinnert sich der Intensivmediziner. Der zweite telefonische Kontakt erfolgte gegen 1.30 Uhr. Zweieinhalb Stunden, nachdem das Herz von Lea-Sophie aufgehört hatte zu schlagen.

Auch der am 20. November herbeigerufene Notarzt Detlev Thiele hatte die Mutter nie zu Gesicht bekommen. Als der Mediziner in der Kieler Straße 15 in Schwerin-Lankow die Wohnung im fünften Geschoss des Plattenbaues abends betrat, sah er lediglich den Vater vor dem Kind kniend. „Mit der Mutter hatte ich keinen Kontakt.“ G. war zusammen mit dem erst gerade zwei Monate alten Bruder von Lea-Sophie im Nebenraum. Zusammen mit diversen Haustieren.

War der Druck der Familie letztlich so groß, wie es T. schildert? Aber kannte der Großvater Norbert G., der sich permanent in das Leben der kleinen Familie einmischen wollte, zu recht den beiden Angeklagten die Reife für die Erziehung ihrer Tochter? G. hatte Angst davor, sich anderen Menschen mit den Problemen anzuvertrauen, sagt Stefan T. Sie fürchtete offenbar, das Jugendamt ihr die beiden Kinder wegnehmen könnte.

„Verkotet, verdreckt, verdurstet und verhungert“

Warum beide letztlich die kleine Lea-Sophie bis auf 7,5 Kilo herabhungern ließen und erst zu spät Hilfe holten, bleibt unklar. Ebenso wie die Tatsache, warum die offenkundig völlig überforderten Eltern von den zuständigen städtischen Stellen allein gelassen wurden. Warum ein Kind aus einem nahezu klinisch sauberen Umfeld, „verkotet, verdreckt, verdurstet und verhungert“ lediglich zum Sterben in ein Krankenhaus transportiert werden musste, bleibt unverständlich.

Im Zweifel stehen nicht nur die betroffenen Allgemeinmediziner. „In meinem Leben habe ich so etwas noch nicht gesehen“, sagt Intensivarzt Böttcher über Lea-Sophie. Auch auf die beiden psychologischen Gutachter kommen sicher noch eine Reihe Fragen zu. Bislang mussten beide nur klären, ob die beiden Angeklagten schuldfähig sind. Der kleine Bruder Justin, dem es zum Zeitpunkt der Tat gut ging, lebt bei den von beiden Angeklagten eher auf Distanz gehaltenen Großeltern. Sie waren es, die über anderthalb Jahre die zuständigen Schweriner Behörden auf die Lebenssituation von Lea-Sophie versuchten aufmerksam zu machen.

 

15.04.2008

 

http://www.focus.de/panorama/welt/schwerin-wer-ist-schuld-am-tod-von-lea-sophie_aid_295395.html

 

 

 

 

 

Kommentar Väternotruf:

 

Da haben die beiden Eltern aber wohl Pech gehabt, dass sie in Schwerin wohnen und nicht im Landkreis Plön, wo eine Mutter in Darry am 15.12.2007 ihre fünf Kinder tötete, ohne dass offenbar bis zum heutigen Tag ein Strafverfahren vor dem zuständigen Landgericht Kiel eröffnet worden wäre.

Was lehrt uns das? In Ostdeutschland sind die Gerichte übermäßig streng. Das kommt von 40-Jahren SED-Diktatur. Im Westen Deutschland, der nach Kriegsende in den Genuss der freiheitlich-demokratischen Grundordnung kam, ist man da wesentlich liberaler. Wer als Mutter seine fünf Kinder tötet, hat gute Aussichten sich in den nächsten Jahre in der Psychiatrie aufhalten zu dürfen und dann irgendwann ganz unauffällig entlassen zu werden. Einer möglichen Wiederholungsgefahr begegnet man ganz einfach durch Sterilisation der Mutter.

 

 

 

 


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