Störerhaftung
Störerhaftung
Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
Nr. 87/2016
Bundesgerichtshof zur Haftung wegen Teilnahme
an Internet-Tauschbörsen
Urteile vom 12. Mai 2016 - I ZR 272/14, I ZR 1/15, I ZR 43/15, I ZR 44/15, I ZR
48/15 und I ZR 86/15
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat hat sich erneut
mit Fragen der Haftung wegen der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen befasst.
Die Klägerinnen in den Verfahren I ZR 272/14, I ZR 1/15 und I ZR 44/15 haben die
Verwertungsrechte an verschiedenen Filmwerken inne. Sie nehmen die jeweiligen
Beklagten wegen der öffentlichen Zugänglichmachung der jeweiligen Filmwerke im
Wege des "Filesharing" über ihren Internetanschluss teils auf Schadensersatz
(600 € je Filmtitel) sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch, die sie im
Verfahren I ZR 272/14 und I ZR 1/15 nach einem Gegenstandswert der Abmahnung in
Höhe von 10.000 € auf 506 € sowie im Verfahren I ZR 44/15 nach einem
Gegenstandswert der Abmahnung in Höhe von 30.000 € auf 1.005,40 € veranschlagen.
Das Berufungsgericht hat die Klage in den Verfahren I ZR 272/14 und I ZR 1/15
wegen des begehrten Schadensersatzes in Höhe von 600 € für begründet erachtet
und die Beklagten zudem in allen drei Verfahren zur Zahlung von Abmahnkosten in
Höhe von 130,50 € verurteilt. Das Landgericht hat angenommen, der
Gegenstandswert der vorgerichtlichen Abmahnung belaufe sich stets auf das
Doppelte des erstattungsfähigen Lizenzschadensersatzes, mithin vorliegend auf
1.200 €.
Auf die Revision der Klägerinnen hat der Bundesgerichtshof die Urteile des
Landgerichts aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht ist zu Unrecht davon
ausgegangen, der Gegenstandswert der anwaltlichen Abmahnung belaufe sich stets
auf das Doppelte des anzunehmenden Lizenzschadens. Vielmehr ist der
Gegenstandswert der Abmahnung in Fällen der vorliegenden Art nach dem Interesse
der Klägerinnen an der Unterbindung künftiger Rechtsverletzungen unter
Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Die vom
Landgericht vorgenommene schematische Bemessung des Gegenstandswerts wird dem
Umstand nicht gerecht, dass die zukünftige Bereitstellung eines Werks in einer
Internet-Tauschbörse nicht nur die Lizenzierung des Werks, sondern seine
kommerzielle Auswertung insgesamt zu beeinträchtigen droht. Die hiernach für die
Bemessung des Gegenstandswerts erforderlichen tatsächlichen Feststellungen -
etwa zum wirtschaftlichen Wert des verletzten Rechts, zur Aktualität und
Popularität des Werks, zur Intensität und Dauer der Rechtsverletzung sowie zu
subjektiven Umständen auf Seiten des Verletzers - hat das Landgericht bislang
nicht getroffen.
Die Klägerin im Verfahren I ZR 43/15 macht geltend, Inhaberin der Rechte an
einem Computerspiel zu sein. Sie nimmt den Beklagten wegen der öffentlichen
Zugänglichmachung des Computerspiels über seinen Internetanschluss auf Ersatz
von Abmahnkosten in Anspruch, die sie nach einem Gegenstandswert von 30.000 €
auf 1.005,40 € veranschlagt. Vor dem Amtsgericht hatte die Klage in Höhe eines
Betrages von 39 € Erfolg. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von
Abmahnkosten in Höhe von insgesamt 192,90 € verurteilt. Auch hier hat das
Landgericht angenommen, der Gegenstandwert der vorgerichtlichen Abmahnung
belaufe sich stets auf das Doppelte des erstattungsfähigen
Lizenzschadensersatzes, mithin vorliegend auf 2.000 €.
Auf die Revision der Klägerin hat der Bundesgerichtshof aus den vorgenannten
Gründen das Urteil des Landgerichts ebenfalls aufgehoben und die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Klägerinnen im Verfahren I ZR 48/15 sind führende deutsche
Tonträgerherstellerinnen. Sie nehmen den Beklagten als Inhaber eines
Internetanschlusses wegen der angeblichen öffentlichen Zugänglichmachung von 809
Audiodateien auf Schadensersatz sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch.
Der Beklagte hat die Aktivlegitimation der Klägerinnen, die Richtigkeit der
Ermittlungen sowie seine Täterschaft bestritten. Er hat darauf verwiesen, dass
auch seine Ehefrau und seine damals 15 und 17 Jahre alten Kinder Zugriff auf die
beiden im Haushalt genutzten Computer mit Internetzugang gehabt hätten. Das
Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat den Beklagten
bis auf einen Teil der Abmahnkosten antragsgemäß verurteilt.
Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Beklagten im Wesentlichen
zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Beklagte
für die öffentliche Zugänglichmachung der Musikaufnahmen über seinen
Internetanschluss haftet. Das Berufungsgericht hat nach Durchführung der
Beweisaufnahme zu Recht angenommen, die Ehefrau des Beklagten scheide als
Täterin aus. Der Beklagte hat weiter nicht hinreichend konkret dazu vorgetragen,
dass seine Kinder ernsthaft als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.
Die Klägerin im Verfahren I ZR 86/15 ist Inhaberin der ausschließlichen
Verwertungsrechte an dem Film "Silver Linings Playbook". Sie hat von der
Beklagten als Inhaberin eines Internetanschlusses wegen der unerlaubten
öffentlichen Zugänglichmachung des Werks den Ersatz von Abmahnkosten in Höhe von
755,80 € verlangt. Die Beklagte hat eingewandt, ihre in Australien lebende
Nichte und deren Lebensgefährte hätten anlässlich eines Besuchs mithilfe des
ihnen überlassenen Passworts für den WLAN-Router die Verletzungshandlung
begangen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die
Beklagte antragsgemäß verurteilt.
Der Bundesgerichtshof hat das die Klage abweisende Urteil des Amtsgerichts
wiederher-gestellt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts haftet die
Beklagte nicht als Störer wegen von ihrer Nichte und deren Lebensgefährten
begangener Urheberrechtsverletzungen auf Unterlassung. Als Grund für die Haftung
kam vorliegend nur in Betracht, dass die Beklagte ihre Nichte und deren
Lebensgefährten nicht über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an
Internet-Tauschbörsen belehrt hat. Der Beklagten war eine entsprechende
Belehrung ohne konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des
Internetanschlusses nicht zumutbar. Den Inhaber eines Internetanschlusses, der
volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern
oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine
anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.
Vorinstanzen:
I ZR 272/14
AG Bochum - Urteil vom 16. April 2014 - 67 C 4/14
LG Bochum - Urteil vom 27. November 2014 - I-8 S 9/14
I ZR 1/15
AG Bochum - Urteil vom 26. März 2014 - 67 C 3/14
LG Bochum - Urteil vom 27. November 2014 - I-8 S 7/14
I ZR 43/15
AG Bochum - Urteil vom 8. Juli 2014 - 65 C 81/14
LG Bochum - Urteil vom 5. Februar 2015 - I-8 S 17/14
I ZR 44/15
AG Bochum - Urteil vom 3. Juni 2014 - 65 C 558/13
LG Bochum - Urteil vom 5. Februar 2015 - I-8 S 11/14
I ZR 48/15
LG Köln - Urteil vom 20. November 2013 - 28 O 467/12
OLG Köln - Urteil vom 6. Februar 2015 - 6 U 209/13, juris
I ZR 86/15
AG Hamburg - Urteil vom 8. Juli 2014 - 25b C 887/13
LG Hamburg - Urteil vom 20. März 2015 - 310 S 23/14
Karlsruhe, den 12. Mai 2016
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Kommentar Väternotruf
wie so oft, hinkt der Bundesgerichshof der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher. In einer Zeit, in der die CDU-SPD Regierung endlich die Abschaffung der sogenannten Störerhaftung in gesetzliche Form bringen will, bequemt sich nun auch der bundesgerichtshof, dem Trend der Zeit zu folgen.
Opportunismus ist ja ein weit verbreitetes Phänomen unter Leuten, die keine eigene Meinung haben, weil ihnen die Standfestigkeit fehlt. Vermutlich dient ein Teil des Jurastudiums nur dazu, aus Menschen Opportunisten zu formen. So weit zum Thema "Rechtsstaat".