Terrorismus


 

 

 

 

Narziss und Terrorist

Mythos Stammheim und andere Legenden: Warum Andreas Baader im Gefängnis ein Kind zeugen konnte und deutsche Terroristen vor allem deutsch waren

Von Werber van Bebber

Von den Namen Baader, Meinhof, Ensslin geht ein Vierteljahrhundert nach den Suiziden der Staatsfeinde noch immer etwas Beunruhigendes aus. Aus dem Gefühl der Beklommenheit, das den ganzen Baader-Meinhof-Komplex umgibt, ist nun ein Buch geworden, das die Beklommenheit verstärkt – und erklärt. Gerd Koenens Annäherung an einige „Urszenen des deutschen Terrorismus“ zeigt, dass die Radikalen und Extremisten von 1968 den Denkfiguren und Gefühlswelten ihrer von der Nazizeit geprägten Eltern nie entkommen sind.

Das ist weit mehr als ein neuer Beweis der These, dass sich die Extreme berühren, dass linker und rechter Extremismus zur immergleichen Brutalität führen. Das Beklemmende an Koenens Buch hat andere Gründe. Der Autor durchlief, wie der Verlag mitteilt, „das volle Programm des linksradikalen Aktivismus“. Das hat ihn nicht zu einer historisierenden Relativierung des deutschen Linksradikalismus und seiner bewaffneten Eskalation gebracht und schon gar nicht zum Renegatentum, das sich mit dem Ankommen zahlloser 68er in den Institutionen ausgebreitet hat. Vielmehr hat Koenen etwas sehr Seltenes fertig gebracht: Er ist auf großen Abstand zur eigenen biografischen Prägung gegangen, um mit dem Wissen des Zeitgenossen zu erklären, wie eine kleine Gruppe von Frauen und Männern ein Land in eine fast hysterische Stimmung treiben konnte.

Ein scheiternder Schriftsteller, dessen erste große Liebe und deren Traummann haben das bewirkt: Bernward Vesper, Gudrun Ensslin und Andreas Baader. Aber darf man den Terrorismus derart personalisieren, seine Opfer nur am Rand erwähnend – hier vier tote amerikanische Soldaten, dort die toten israelischen Sportler der Olympischen Spiele von 1972, da ein schwer verletzter Universitätsangestellter? Gerd Koenen macht schon auf den ersten Seiten seines Buches klar, dass das Personifizieren nicht aufs Legitimieren hinauslaufen soll und auch nicht aufs Verstehen, um zu verzeihen. Koenen will zeigen, dass in diesen drei Kindern von 1968 etwas geschichtsmächtig geworden ist, das in der Zeit lag. Die, die die Revolution versuchen wollten, blieben Gefangene ihrer Herkunft.

Bernward Vesper, Sohn, Erbe und Gegner des völkischen Dichters Will Vesper, zeigt laut Koenen „im Extrem, was es bedeutet, keine Vorbilder und lebbaren Identifikationen in der Biografie der Eltern und der eigenen Gesellschaft zu finden. Auch die scheinbar so übermächtige Autorität seines Gottvaters Will war ja in Wirklichkeit eine tief erschütterte – wie die Autorität der Gründergeneration der Bundesrepublik insgesamt.“ Gudrun Ensslin, Pastorentochter aus dem Schwäbischen, Vespers Studienfreundin und große Liebe, Mit-Exilantin ins bewegte West-Berlin, Mutter des Sohnes Felix: Für Koenen war sie geprägt von einem Elternhaus, das wie bei Vesper noch im Schatten des Dritten Reiches stand. „Doch statt um aktive politische Verstrickung“ – wie bei Vesper – sei es bei den Ensslins „um passives moralisches Versagen“ gegangen – und dies in Konfrontation mit den hohen Postulaten einer protestantischen Gesinnungsethik“. Wie stark die Nazizeit noch in die frühen 60er hineinwirkte, zeigt Koenen an der Liebesgeschichte Vesper-Ensslin: Als Studenten betätigten sich die beiden als Kleinverleger. Aber nicht linke Literatur war ihr Stoff, sondern der Nachlass des völkischen Antidemokraten Will Vesper. Fast sanft schildert Koenen den Übergang der bewegten 60er Jahre in die Bewegung von 1967/68.

Das Liebespaar, beide Mitte 20, zieht nach West-Berlin, inzwischen „linker“ Gesinnung, aber eher bürgerlich in den Lebensumständen. Berlin in der zweiten Hälfte der 60er, das war alles andere als ein Mythos – grau, proletenhaft und billig. Deshalb setzte der Regierende Bürgermeister Willy Brandt auf Jugend und Kultur, ein bisschen wohl auch auf billige Wohnungen und die so genannten Wehrflüchtigen. So einer war Andreas Baader. Auch ihm, den wohl abweisendsten – um nicht zu sagen: abstoßendsten – Charakter unter den dreien, versucht Koenen, gerecht zu werden. Das macht den Polit-Dandy kaum sympathischer: „Der unter Frauen aufgewachsene Andreas Baader vertritt in dieser Konstellation den Typus desjenigen, der den Leerraum der vaterlosen Gesellschaft mit entgrenzten jugendlichen Omnipotenz-Phantasien auffüllt und dem das Realitätsprinzip als solches (angefangen mit der Straßenverkehrsordnung oder einer beliebigen Schulprüfung) schon eine unerträgliche Kränkung und Repression bedeutete. Was unter anderen Verhältnissen ein Fall bloßer jugendlicher Delinquenz mit besserem oder schlechterem Ausgang gewesen wäre, fand in der Atmosphäre der Jahre 1967/68 ein Spielfeld aufgeputschter Bedeutungen, die etwas völlig anderes daraus machten.“

Das ist das Faszinierende an diesem Buch: Koenen, der mit dem „roten Jahrzehnt“ schon eine Geschichte der deutschen „Kulturrevolution“ zwischen 1967 und 1977 geschrieben hat, bringt in der Dreier-Biografie noch einmal alles zusammen: Die kleinen West-Berliner Freiheiten und die großen Begriffe der Zeit, die auf ihre Theoriesprache so stolz war – von der „vaterlosen Gesellschaft“ bis zu den diversen „Bewegungen“ der späten 60er, die alle der Revolution und der „Selbstverwirklichung“ dienten. Timothy Leary, der SDS, die Schlacht vom Tegeler Weg, Black Power, die italienische Linke, das „Kursbuch“, die Promiskuität und Spaß an schnellen Autos: Vesper, Ensslin und Baader bewegen sich nicht in Kulissen, sie treiben durch eine Zeit, in der – um es wertfrei und ohne Mystifikation zu sagen – viel Aufregendes und Neues geschah.

Es wäre beeindruckend genug, hätte Koenen bloß die drei Charaktere in die Geschichte gestellt und gezeigt, wie sie grausam an ihren Prägungen und Ansprüchen scheiterten. Aber Koenen macht die starken Kräfte noch mal spürbar, die am Ende der 60er Jahre wirkten. Er macht seine Hauptpersonen als Menschen sichtbar, die Entscheidungen trafen. Und das waren erstaunlich viele brutale und harte, daran lässt Koenen keinen Zweifel. Vesper, dann vor allem Ensslin und Baader entschieden sich zur Verachtung aller, die nicht auf ihrer Seite waren. Gudrun Ensslin entschied sich gegen ihren kleinen Sohn und für den Untergrund, wie sich Ulrike Meinhof gegen ihre Kinder entschied. Ihre Entscheidungen lassen Vesper Ensslin Baader als Menschen erscheinen, die ihre Wirkungsmacht spürten. Koenen entschuldigt nichts. Und er macht es ich auch nicht zu einfach mit der Beurteilung dreier sehr deutscher Nachkriegscharaktere.

Gerd Koenen: Vesper Ensslin Baader. Urszenen des deutschen Terrorismus. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2003. 365 S., 22,90 Euro

 

 

http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/24.11.2003/853849.asp

 

 

 


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