Terroristentochter
Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
--------------------------------------------------------------------------------
Nr. 170/2006
Die Bezeichnung "Terroristentochter" kann im konkreten Kontext zulässig sein
Die Klägerin, eine Tochter der früheren RAF-Angehörigen Ulrike Meinhof, beschäftigt sich als freie Journalistin seit Jahren publizistisch mit dem RAF-Terrorismus. Die Beklagte veranstaltet das Internet-Angebot zur Print-Ausgabe der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Sie stellte im September 2003 mit der Überschrift "Enthüllungen - Die Terroristin und der Figaro" einen Beitrag ins Internet, der sich mit einem bekannten Berliner Frisör und dessen Kundschaft, zu der auch bekannte Politiker gehören, beschäftigte. Darin wurde ausgeführt, gemäß einem von der Klägerin verfassten Artikel der Tageszeitung "Die Welt" solle der Frisör auch die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zu einem Zeitpunkt frisiert haben, als diese bereits wegen Mordes gesucht worden sei. Der Beitrag weist weiter darauf hin, dass die Klägerin vor einigen Jahren die Rolle des Außenministers Fischer im Rahmen der Unruhen in Frankfurt enthüllt habe. Es wird dann u. a. ausgeführt:
"Auf dem Höhepunkt der Debatte um Fischers Vergangenheit war die Berichterstattung gekippt. Die Kollegen wandten sich nun der Jägerin zu, die in den Portraits alles andere als schmeichelhaft wegkam: Als fanatische, verbitterte Verschwörungstheoretikerin erschien R., die die "Achtundsechziger" abgrundtief hasste und sie, wie die "Welt" einmal schrieb, "auch mit sonderbaren Methoden" bekämpfte. Statt Respekt brachte man ihr allenfalls Mitleid entgegen, der … Terroristentochter, die als Siebenjährige in ein jordanisches Palästinensercamp verfrachtet werden sollte, bevor sie der heutige "Spiegel" Chefredakteur S. A. aus den Händen der RAF befreite."
Gegenstand der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision ist nur noch das vom Berufungsgericht ausgesprochene Verbot, die Klägerin als "Terroristentochter" zu bezeichnen.
Der VI. Zivilsenat hat das Berufungsurteil aufgehoben und das die Klage abweisenden Urteil des Landgerichts bestätigt. Bei der beanstandeten Äußerung ist nicht die Wahrheit der Tatsache im Streit, sondern die Zulässigkeit der gewählten Formulierung, sodass es darauf ankam, ob es sich um eine Schmähkritik oder Formalbeleidigung handelt, die grundsätzlich nicht geduldet werden muss. Eine solche Schmähung, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll, liegt hier nicht vor, weil der Artikel an Veröffentlichungen und Vorwürfe der Klägerin gegen Dritte anknüpft und diese in Bezug zu ihrer eigenen Lebensgeschichte setzt. Unter diesen Umständen steht nicht die Diffamierung der Betroffenen, sondern die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund. Bei der demnach erforderlichen Abwägung war zu berücksichtigen, dass die beanstandete Äußerung zwar scharf und polemisch formuliert ist und die Persönlichkeit der Klägerin nicht umfassend beschreibt. Andererseits war aber zu beachten, dass die Klägerin ihre Abstammung von Ulrike Meinhof nicht geheim gehalten hat und es sich um einen Beitrag von öffentlichem Interesse handelt, der zur Meinungsbildung bei der Bewertung von Fragen beitragen sollte, die die Klägerin selbst in die Öffentlichkeit getragen hat und bei deren Beurteilung auch der persönliche Lebenshintergrund der Verfasserin von Bedeutung war. Unter diesen Umständen stellt sich die gewählte Formulierung im konkreten Kontext nicht als rechtswidrig dar.
Urteil vom 5. Dezember 2006 – VI ZR 45/05
Landgericht München I – Entscheidung vom 30. Juni 2004 - 9 O 1730/04 ./. Oberlandesgericht München - Entscheidung vom 25. Januar 2005 – 18 U 4588/04
Karlsruhe, den 5. Dezember 2006
Pressestelle des Bundesgerichtshof
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Kommentar Väternotruf:
Was ist eine Terroristentochter. Das ist die Tochter eines Terroristen. Ein Terrorist in ein Mann, der Terror ausübt. "Die Klägerin, eine Tochter der früheren RAF-Angehörigen Ulrike Meinhof" hat offenbar einen Terroristen zum Vater. Nur welcher Mann soll das sein? Gut möglich, dass niemand diesen terroristischen Mann kennt, der der Frau Ulrike Meinhof während ihrer Empfängniszeit, also nach §1600d BGB in der Zeit von dem dreihundertsten bis zu dem einhunderteinundachzigsten Tage vor der Geburt des Kindes, beigewohnt hat.
Vielleicht war der Vater der "Klägerin, eine Tochter der früheren RAF-Angehörigen Ulrike Meinhof" aber gar kein Terrorist, sondern ein biederer Student der Sozialwissenschaften oder ein Taxifahrer und Steinewerfer aus Frankfurt am Main? Dann wäre "Die Klägerin, eine Tochter der früheren RAF-Angehörigen Ulrike Meinhof" gar keine Terroristentochter, sondern eine Terroristinnentochter. Das ist freilich ein großer Unterschied, ob man die Tochter einer Terroristin oder die Tochter eines Terroristen ist. Denn dann würde man seinen Glauben an die gute Mutter verlieren können, wenn diese sogar eine Terroristin sein kann.
Wenn nun aber Mama und Papa beide TerroristInnen waren, dann wäre die "Die Klägerin, eine Tochter der früheren RAF-Angehörigen Ulrike Meinhof" nach neufeministischen Sprachgebrauch eine TerroristInnentochter, das klingt zwar etwas sperrig, wäre aber dann politisch korrekt.
Doch beim Bundesgerichtshof ist der Gender-Mainstream vielleicht noch nicht angekommen und man bezeichnet dort nach guter alter Sitte unserer Vorväter und Vormütter alles was da kreucht und fleucht maskulin.
BGH, Urteil vom 05.12.2006 - VI ZR 45/05
Fundstelle
openJur 2011, 10026
Rkr:
Zivilrecht
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts München vom 25. Januar 2005 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30.
Juni 2004 in der Fassung des Beschlusses vom 4. August 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin ist als freie Journalistin für verschiedene Zeitschriften tätig.
Die Beklagte veranstaltet das Internet-Angebot zur Print-Ausgabe der "F.
Zeitung".
Die Beklagte veröffentlichte am 4. September 2003 einen Artikel unter der
Überschrift "Enthüllungen - Die Terroristin und der Figaro". Dieser beschäftigte
sich mit dem Berliner Frisör U.W. und dessen Kundschaft, zu der auch bekannte
Politiker gehören. In ihm wird ausgeführt, der Frisör habe auch die
RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zu einem Zeitpunkt frisiert, als diese bereits
wegen Mordes gesucht worden sei. Dies sei in einem Artikel der Tageszeitung "Die
Welt" enthüllt worden, den die Klägerin verfasst habe.
Der Beitrag weist darauf hin, dass die Klägerin die Tochter Ulrike Meinhofs sei
und sich vor einigen Jahren mit der Rolle des früheren Außenministers Fischer im
Rahmen der Unruhen in Frankfurt befasst habe. Weiter heißt es:
"Auf dem Höhepunkt der Debatte um Fischers Vergangenheit war die
Berichterstattung gekippt. Die Kollegen wandten sich nun der Jägerin zu, die in
den Portraits alles andere als schmeichelhaft wegkam: Als fanatische,
verbitterte Verschwörungstheoretikerin erschien R., die die "Achtundsechziger"
abgrundtief hasste und sie, wie die "Welt" einmal schrieb, "auch mit sonderbaren
Methoden" bekämpfte. Statt Respekt brachte man ihr allenfalls Mitleid entgegen,
der offenbar traumatisierten Terroristentochter, die als Siebenjährige in ein
jordanisches Palästinensercamp verfrachtet werden sollte, bevor sie der heutige
"Spiegel" - Chefredakteur S. A. aus den Händen der RAF befreite."
Die Klägerin hat u.a. 1995 in einer Titelgeschichte des "Spiegel" "über ihre
Kindheit im Schatten des Terrorismus" als Ulrike Meinhofs Tochter berichtet. Im
"Stern" veröffentlichte sie 1998 unter dem Titel "Mythos Ulrike Meinhof" einen
persönlichen Nachruf. Auf ihrer Homepage findet sich ein "Button", der neben dem
Namen der Klägerin auf "Ulrike Meinhof" hinweist. Ein weiterer "Button" verweist
auf den "Mythos RAF". Außerdem findet sich eine Seite, die neben einem Foto der
Klägerin auf ein neues Hörbuch über Ulrike Meinhof hinweist sowie eine
fotographische Gegenüberstellung eines Fahndungsfotos von Ulrike Meinhof und
eines Fotos der Klägerin sowie einen "RAF-Song" enthält.
Nachdem sich die Beklagte in einer Unterlassungserklärung vom 2. Oktober 2003
verpflichtet hatte, den Zusatz "offenbar traumatisiert" zu unterlassen, wendet
sich die Klägerin mit der Klage gegen ihre Bezeichnung als Terroristentochter.
Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat der
Beklagten verboten, die Klägerin als "Terroristentochter" zu bezeichnen. Mit der
vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin den
Antrag auf Klagabweisung.
Gründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin einen Anspruch darauf,
dass die Beklagte die Bezeichnung der Klägerin als "Terroristentochter"
unterlässt (§ 823 Abs. 1, § 1004 BGB analog). Die Bezeichnung verletze die
Klägerin rechtswidrig in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Die Äußerung "Terroristentochter" stelle eine Tatsachenbehauptung dar. Ein
durchschnittlicher Leser verstehe den abstrakten Aussagegehalt der Bezeichnung
dahin, dass jemand die Tochter von Terroristen oder eines Terroristen sei. Durch
den Bezug zu Ulrike Meinhof sei für den durchschnittlichen Leser klargestellt,
dass die Bezeichnung im Sinn von "Terroristin-Tochter" gemeint sei.
Es könne dahingestellt bleiben, inwieweit die Klägerin grundsätzlich dulden
müsse, dass auf ihre Abstammung von Ulrike Meinhof hingewiesen werde. Selbst
wenn sie dies hinnehmen müsse, dürfe ihre familiäre Abstammung von Ulrike
Meinhof nicht durch das eindringliche Schlagwort "Terroristentochter" zum
Ausdruck gebracht werden. Zu familiären Beziehungen als Teil der Privatsphäre
hätten andere grundsätzlich nur Zugang, soweit er ihnen gestattet werde. Die
Klägerin habe keine Einwilligung erteilt, die familiäre Beziehung zu ihrer
Mutter und ihre Abstammung darauf zu reduzieren, dass sie eine
"Terroristentochter" sei. Sie müsse die Bezeichnung daher nicht dulden.
Etwas anderes gelte auch nicht deswegen, weil die Klägerin mehrfach über Ulrike
Meinhof und den RAF-Terrorismus veröffentlicht und dabei auch offen gelegt habe,
dass sie die Tochter von Ulrike Meinhof sei. Die Klägerin sei als freie
Journalistin tätig. Im Rahmen der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten
Pressefreiheit habe sie das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt und Form ihrer
Veröffentlichungen selbst zu bestimmen. Der Ton, in dem sie ihre Artikel
verfasse, sei Teil der Meinungsfreiheit. Dass sie die Grenze zur Schmähung
überschritten habe, werde nicht vorgetragen.
Die Bezeichnung "Terroristen-Tochter" sei rechtswidrig. Zwar habe niemand einen
Anspruch darauf, so gestellt zu werden, wie er sich selbst sehe, wohl aber
darauf, zutreffend und nicht verfälscht dargestellt zu werden.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen
Überprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat die erforderliche Abwägung zwischen dem durch Art. 2
Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen
Persönlichkeitsrecht der Klägerin und dem Recht der Beklagten auf
Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vorgenommen. Das Grundrecht
aus Art. 5 Abs. 1 GG hat es nur im Hinblick auf die Tätigkeit der Klägerin als
freie Journalistin und dem sich daraus für sie ergebenden Grundrechtsschutz
angesprochen. Darauf kommt es aber nach Lage des Falles nicht an. Es geht hier
vielmehr um die Frage, ob die Beklagte die Klägerin im konkreten Kontext als
Terroristentochter bezeichnen durfte. Für die Entscheidung dieser Frage hätte es
einer Abwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechten der Parteien bedurft.
1. Welche Maßstäbe für diese Abwägung gelten, hängt grundsätzlich vom
Aussagegehalt der Äußerung ab, also von deren Einstufung als Tatsachenbehauptung
oder Meinungsäußerung. Diese Unterscheidung ist deshalb grundsätzlich geboten,
weil der Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG bei Meinungsäußerungen
regelmäßig stärker ausgeprägt ist als bei Tatsachenbehauptungen. Vorliegend hat
das Berufungsgericht die beanstandete Äußerung als Tatsachenbehauptung
eingestuft. Das ist insofern richtig, als die Äußerung einen tatsächlichen
Gehalt hat, nämlich dahin, dass durch den Bezug zu Ulrike Meinhof für den
durchschnittlichen Leser klargestellt wird, dass die Bezeichnung in dem Sinne
"Tochter einer Terroristin" gemeint ist. Entgegen der Auffassung der
Revisionserwiderung lässt sich der Aussage nicht entnehmen, dass sich die
Klägerin etwa mit den Zielen von Terroristen, insbesondere der RAF identifiziert
habe. Ein solches Verständnis kann nach dem Inhalt des gesamten Artikels
ausgeschlossen werden und das Berufungsgericht hat die Aussage auch nicht in
diesem Sinn verstanden.
Durch die Einstufung als Tatsachenbehauptung wird der Aussagegehalt der Äußerung
jedoch nicht vollständig erfasst, zumal die Wahrheit des tatsächlichen Kerns
nicht im Streit steht. Vielmehr geht es darum, ob die gewählte Formulierung als
solche zulässig war. Soweit es um den Tatsachenkern geht, ist zu beachten, dass
der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG sich auch auf die Äußerung von Tatsachen
erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, indem sie etwa
darauf gerichtet sind, dem Leser ein eigenes Urteil über ein geschildertes
Verhalten zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 90, 241, 247 f.; BVerfG NJW 2003, 1109;
NJW 2003, 3760; Senatsurteil vom 26. November 1996 - VI ZR 323/95 - VersR 1997,
325, 326). Gleiches gilt, wenn es um eine Äußerung geht, in der sich Tatsachen
und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme,
des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird (vgl. Senatsurteile BGHZ 132, 13, 20
f.; 139, 95, 101 f.; vom 29. Januar 2002 - VI ZR 20/01 - VersR 2002, 445, 446).
Beides ist hier der Fall, so dass es vom Aussagegehalt her einer Abwägung
zwischen den widerstreitenden Grundrechten bedarf.
2. a) Das Berufungsgericht hat nicht begründet, warum es die nach den
vorstehenden Ausführungen grundsätzlich gebotene Abwägung nicht vorgenommen hat.
Es hat lediglich ausgeführt, die familiäre Abstammung der Klägerin von Ulrike
Meinhof dürfe nicht durch das eindringliche Schlagwort "Terroristentochter" zum
Ausdruck gebracht werden. Die Klägerin habe keine Einwilligung erteilt, die
familiäre Beziehung zu ihrer Mutter und ihre Abstammung darauf zu reduzieren,
dass sie eine "Terroristentochter" sei. Sie müsse die Bezeichnung daher nicht
dulden. Wenn das Berufungsgericht damit die Äußerung als unzulässige Schmähung
oder Formalbeleidigung bewerten wollte und eine solche vorläge, wäre in der Tat
unabhängig von der Einstufung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung
keine Abwägung erforderlich gewesen, weil derartige Äußerungen grundsätzlich
unzulässig sind und deshalb in solchen Fällen die Meinungsfreiheit regelmäßig
zurücktreten muss (vgl. z.B. BVerfGE 93, 266, 293 f.; 61, 1, 12; BVerfG NJW
1999, 2358, 2359; Senatsurteil vom 29. Januar 2002 - VI ZR 20/01 - VersR 2002,
445, 446). Aus diesem Grund sind an die Bewertung einer Äußerung als Schmähung
strenge Maßstäbe anzulegen, weil andernfalls eine umstrittene Äußerung ohne
Abwägung dem Schutz der Meinungsfreiheit entzogen und diese damit in
unzulässiger Weise verkürzt würde (vgl. BVerfG NJW 1995, 1475, 1477;
Senatsurteil BGHZ 143, 199, 208 ff. m. w. N.).
Nach den vom Bundesverfassungsgericht und dem Bundesgerichtshof in zahlreichen
Entscheidungen entwickelten Grundsätzen für die Beurteilung einer Konfrontation
zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Freiheit der Meinungsäußerung
stellt die beanstandete Äußerung in ihrem konkreten Kontext keine Schmähung oder
Formalbeleidigung dar.
b) Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung
ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung
einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen (BVerfGE 24, 278, 286). Das
gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit
übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert
sind (vgl. Senatsurteile vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - VersR 1994, 57,
59; vom 20. Mai 1986 - VI ZR 242/85 - VersR 1986, 992). Der Kritiker darf seine
Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn sie andere für "falsch" oder für
"ungerecht" halten (Senatsurteile vom 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - VersR 2000,
1162, 1163; vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - aaO; vom 30. Mai 1978 - VI ZR
117/76 - NJW 1978, 1797, 1798). Auch die Form der Meinungsäußerung unterliegt
der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden (BVerfGE
60, 234, 241). Verfolgt der Äußernde nicht eigennützige Ziele, sondern dient
sein Beitrag dem geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich
berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der Äußerung;
eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die
Zulässigkeit öffentlicher Kritik überhöhte Anforderungen stellt, ist mit Art. 5
Abs. 1 GG nicht vereinbar (BVerfGE 42, 163, 170; 66, 116, 139; 68, 226, 232).
Für die Beurteilung der Reichweite des Grundrechtsschutzes aus Art. 5 Abs. 1 S.
1 GG kommt es ferner maßgeblich darauf an, ob und in welchem Ausmaß der von den
Äußerungen Betroffene seinerseits an dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten
Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus eigenem
Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen und sich durch dieses
Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begeben hat (BVerfGE
54, 129, 138). Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in
der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, die
jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den
Pranger gestellt werden soll, hat die Äußerung - auch wenn sie eine die
Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage betrifft - regelmäßig hinter dem
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten (vgl. BVerfGE 82, 272, 283
f.; 85, 1, 16; Senatsurteile BGHZ 143, 199, 209; vom 16. November 2004 - VI ZR
298/03 - VersR 2005, 277, 279; vom 29. Januar 2002 - VI ZR 20/01 - VersR 2002,
445, 446; vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - aaO).
c) Eine solche auf die Person der Klägerin abzielende, den Sachbezug
verdrängende Schmähungsabsicht oder eine Formalbeleidigung kann der
beanstandeten Äußerung nicht entnommen werden. Hierbei ist zu beachten, dass
eine Äußerung nach ständiger Rechtsprechung nicht isoliert zu würdigen ist,
sondern in dem Gesamtzusammenhang, in dem sie gefallen ist (vgl. Senatsurteile
BGHZ 132, 13, 20; vom 25. März 1997 - VI ZR 102/96 - VersR 1997, 842, 843; vom
28. Juni 1994 - VI ZR 252/93 - VersR 1994, 1120, 1121). Insoweit ist von
Bedeutung, dass der Artikel an Vorwürfe anknüpft, welche die Klägerin gegen den
Berliner Frisör U. W. und gegen den früheren Außenminister Fischer erhoben hat.
In beiden Fällen bezogen sich die Vorwürfe auf deren Verhalten in der "68er" -
bzw. "RAF" - Zeit. Hintergrund des von der Beklagten veröffentlichten Artikels
sind also eigene Veröffentlichungen der Klägerin über diese Zeit, in denen sich
die Klägerin in einer die Öffentlichkeit unmittelbar berührenden Weise mit dem
Phänomen des RAF-Terrorismus und dem Verhalten anderer, der Öffentlichkeit
bekannter Personen in dieser Zeit auseinandergesetzt hat, und hinsichtlich derer
der Artikel einen Bezug zur damaligen Lebensgeschichte der Klägerin als Tochter
der Terroristin Ulrike Meinhof hergestellt hat. Unter diesen Umständen handelt
es sich bei dem Artikel der Beklagten um eine grundsätzlich zulässige
Berichterstattung im Rahmen eines öffentlich ausgetragenen Meinungskampfes, bei
der nicht die Diffamierung der Betroffenen, sondern die Auseinandersetzung in
der Sache im Vordergrund steht. Wenn im Rahmen einer solchen Auseinandersetzung
die Klägerin als Terroristentochter bezeichnet wird, kann dies - zumal im
Hinblick auf den von der Klägerin selbst bei ihren einschlägigen
Veröffentlichungen angeschlagenen Ton, den auch das Berufungsgericht einer
kritischen Würdigung unterzogen hat - jedenfalls im konkreten Kontext des
Artikels nicht als unzulässige Schmähung angesehen werden, so dass die
Meinungsäußerungsfreiheit der Beklagten nicht von vornherein hinter das
Persönlichkeitsrecht der Klägerin zurückzutreten hat.
3. Bei der hiernach gebotenen Abwägung fällt zugunsten des Persönlichkeitsrechts
der Klägerin ins Gewicht, dass die beanstandete Äußerung scharf und polemisch
formuliert ist und zweifellos die Persönlichkeit der Klägerin nicht umfassend
beschreibt, zumal diese nur die ersten sieben Jahre ihres Lebens mit ihrer
Mutter zusammenlebte und weder zu ihrer Mutter noch zu anderen RAF-Mitgliedern
Kontakt hatte, nachdem ihre Mutter in den Untergrund gegangen war. Deshalb
bedeutet diese Äußerung sowohl nach ihrem tatsächlichen Gehalt als auch in der
konkreten Formulierung für die Klägerin eine gravierende persönliche Belastung.
Andererseits ist auf Seiten der Meinungsfreiheit zu beachten, dass es sich
seitens der Beklagten um einen Beitrag von öffentlichem Interesse handelt, der
zur Meinungsbildung bei der Bewertung von Fragen beitragen sollte, die die
Klägerin selbst durch ihre Äußerungen über U. W., den früheren Außenminister
Fischer und durch andere Veröffentlichungen in die Öffentlichkeit getragen hat,
und für deren Beurteilung auch der persönliche Lebenshintergrund der Verfasserin
von Bedeutung war. Auch hat die Klägerin ihre Abstammung nicht geheim gehalten,
sondern in zahlreichen Veröffentlichungen dargestellt. Nach der Rechtsprechung
sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch des erkennenden Senats kann sich
jedoch niemand auf ein Recht zur Privatheit hinsichtlich solcher Tatsachen
berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat (vgl. BVerfGE 101,
361, 385; Senatsurteile vom 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03 - VersR 2005, 84,
85; vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02 - VersR 2004, 522, 524 und - VI ZR
404/02 - VersR 2004, 525, 526). Deshalb kann der Schutz der Privatsphäre vor
öffentlicher Kenntnisnahme dort entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung
zurücktreten, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat,
dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich
gemacht werden; die Erwartung, dass die Umwelt die Angelegenheiten oder
Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht
zur Kenntnis nimmt, muss situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck
gebracht werden (vgl. BVerfGE 101, 361, 385; BVerfG NJW 2006, 3406, 3408;
Senatsurteil vom 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03 - aaO, 85 f. m. w. N.). Daran
fehlt es hier.
Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin seinerzeit durch Art
und Gegenstand ihrer Veröffentlichungen selbst eine Diskussion über ihre
publizistische Tätigkeit herausgefordert hat und die Beklagte auch in diesem
Zusammenhang zur Meinungsbildung Dritter beitragen durfte. Bei der gebotenen
Gesamtabwägung all dieser Umstände stellt sich die von der Beklagten gewählte
Formulierung im konkreten Kontext als noch zulässig und damit nicht als
rechtswidrig dar. Die berufliche Stellung der Klägerin als Journalistin ist
insoweit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht von Bedeutung, weil
es hier nicht um eine Beschränkung der journalistischen Tätigkeit der Klägerin
geht, sondern darum, ob das Grundrecht der Beklagten auf Meinungsfreiheit durch
einen Unterlassungsausspruch eingeschränkt werden darf.
4. Nach alldem kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben. Da die zu
beurteilenden Tatsachen feststehen und somit eine weitere Sachaufklärung nicht
erforderlich ist, kann der Senat aufgrund seiner eigenen Abwägung abschließend
entscheiden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 30.06.2004 - 9 O 1730/04 -
OLG München, Entscheidung vom 25.01.2005 - 18 U 4588/04 -
Permalink: https://openjur.de/u/79635.html (https://oj.is/79635)
https://openjur.de/u/79635.ppdf