Volksgerichtshof


 

 

 

Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen

 

 

 

Der Volksgerichtshof - Darstellung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Berlin gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte am Volksgerichtshof

Broschüren können postalisch von der

Senatsverwaltung für Justiz

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Salzburger Straße 21 - 25

10825 Berlin

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im Wert von 1,44 EUR (Broschüre Nr. 9) und

im Wert von 3,00 EUR (Broschüre Nr. 10) angefordert werden.

 

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Kommentar Väternotruf:

Diese Broschüre könnte die Berliner Senatsverwaltung kostenlos zum Download im Internet bereithalten, anstatt einen umständlichen und teuren schriftlichen Abholdienst zu unterhalten, der die Informationsfreiheit behindert und die Steuerzahler/innen belastet.

11.06.2011

 

 

 


 

 

 

Roland Freisler (* 30. Oktober 1893 in Celle; † 3. Februar 1945 in Berlin) war Jurist während der Zeit der Weimarer Republik und der Diktatur des Nationalsozialismus. Unter dem NS-Regime fand seine Karriere ihren Höhepunkt: Von August 1942 bis zu seinem Tod während eines Luftangriffs auf Berlin – drei Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa – war er Präsident des „Volksgerichtshofs“, des höchsten Gerichts des NS-Staates für politische Strafsachen.

 

http://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Freisler

 

 


 

 

Paul Jorns

Paul Jorns oder auch häufig Paul Jörns (* 14. Dezember 1871 in Heinade; 5. Februar 1942 in Berlin) war ein deutscher Jurist und Oberreichsanwalt. Er war eine Skandalfigur“ der Weimarer Republik und ist ein bekanntes Beispiel für die damalige hochkonservative Justiz. So vertuschte er als Untersuchungsrichter den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Leben

Kaiserreich

1896 wurde er Rechtspraktikant, 1899 folgte seine Ernennung zum Gerichtsreferendar. 1900 wurde er Kriegsgerichtsrat in Karlsruhe bei der 28. Division. In seiner Eigenschaft als preußischer Kriegsgerichtsrat im Heeresjustizdienst kam er 1902 mit der Ostasiatischen Brigade nach China und 1905 nach Stettin. 1906 wurde er nach Deutsch-Südwestafrika versetzt. Dort bereitete Kriegsgerichtsrat Jorns die Auslieferung Abraham Rolfs, einem Unterführer Jakob Morengas, seitens der Kapkolonie vor. Im Dezember 1909 wurde Jorns abberufen[1] und nach Straßburg beordert.

Republik

Nach der Kapitulation 1918 war er Kriegsgerichtsrat in der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Ab dem 17. Januar 1919 befasste er sich mit den Mordfällen Luxemburg und Liebknecht, nachdem General Hoffmann als der militärische Gerichtsherr der Division, einen anderen Kriegsgerichtsrat entfernt hatte, dem Haase das Bestreben nach Objektivität bescheinigte. Jorns ließ erst einmal Kurt Vogel und Horst von Pflugk-Harttung wieder frei. Hoffmann und Jorns sahen sich aber gezwungen, je zwei Mitgliedern des Zentralrats und des Berliner Vollzugsrats hinzuzuziehen. Jorns selbst lehnte Anträge der zivilen Mitglieder der Untersuchungskommission ab. Nachdem die Titelseite der Roten Fahne am 12. Februar die Schlagzeile: Der Mord an Liebknecht und Luxemburg. Die Tat und die Täter“[2] von Leo Jogiches brachte, traten Oskar Rusch, Paul Wegmann und Hugo Struve tags drauf von der Teilnahme an der Untersuchung zurück.[3] Nicht zurückgetreten war Hermann Wäger, der am 21. Januar für Hermann Müller eingesprungen war. Die zivilen Mitglieder der Untersuchungskommission stellten fest, dass der Kriegsgerichtsrat Jorns nichts tat, um eine Verschleierung des Tatbestandes zu verhindern. Die Öffentlichkeit wollte an die Untadligkeit Jorns glauben, Eduard Bernstein (1921):[4]

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kriegsgerichtsrat Jörns bei Leitung der Untersuchung absichtlich auf Vertuschung bestimmter Einzelheiten hingearbeitet hat, sein energisches Verhalten als Anklagevertreter bei der Gerichtsverhandlung leiht dieser Annahme wenig Spielraum... die große Mord- Verschwörung, von der Spartakisten und Spartakistengönner damals fabelten, hätte auch er schwerlich feststellen können, sie gehört eben in das Reich der Fabel. ...Jörns beantragte denn auch gegen die vier Offiziere, die geschossen hatten, die Todesstrafe wegen vollendeten Mordes.“

Dieser Antrag war Bestandteil der Hauptverhandlung vom 8. bis 14. Mai, von der Wolfram Wette schrieb, sie sei eine Justizposse, die als einer der großen Justizskandale unseres Jahrhunderts bezeichnet werden muss.“[5] Jorns hinterging auch das Bauernopfer des Verfahrens, Otto Wilhelm Runge, den Einzigen des Verfahrens, der seine Strafe verbüßte, nachdem Wilhelm Canaris dem Mitverurteilten Kurt Vogel fünf Tage nach dem Urteilsspruch zur Gefängnisflucht verholfen hatte. Runge (1921):[6]

Die Untersuchung ist eine Komödie gewesen. Ich sprach mit Kriegsgerichtsrat Jörns wiederholt privat und er sagte mir: ‚Nehmen Sie alles ruhig auf sich, vier Monate werden es nur, und Sie können sich dann immer wieder an uns wenden, wenn Sie in Not sind.‘“

Danach ging Jorns' Karriere steil aufwärts. 1920 wurde er Hilfsarbeiter am Reichsgericht. Seine weiteren Beförderungen zum Oberstaatsanwalt 1923 und zum Reichsanwalt 1925 wurden jeweils von Ludwig Ebermayer befürwortet, der ihm für die Bearbeitung politischer Sachen hervorragendes Verständnis und feinstes Taktgefühl“ zuschrieb.

1928 vertrat Jorns die Anklage im Fall Jacob und Küster: In einem Artikel in der Zeitung Das Andere Deutschland“ wurde das System der so genannten Zeitfreiwilligen aufgedeckt. Diese kurzfristig zu militärischen Übungen herangezogen Soldaten wurden in der Statistik verheimlicht, da sie gegen den Versailler Vertrag verstießen. Wegen des Artikels verurteilte im März 1928 das Reichsgericht im Ponton-Prozess“ die Angeklagten wegen Landesverrats zu je neun Monaten Festungshaft. (Vgl. Weltbühne-Prozess“). Kurt Tucholsky:[7]

Das kleine Intermezzo in einer sonst anständig und untadlig geführten Verhandlung verdient hervorgehoben zu werden, weil es für den Geist des Reichsgerichts typisch ist.....Der ehemalige Kriegsgerichtsrat weiß von dem Bruder nichts, außer ein wenig Klatsch. Zunächst gibt es nichts zu wissen: der Mann lebt hier in Paris, bearbeitet den alten historischen Fall Naundorff; er lebt im übrigen als Privatmann, dessen Gesinnung überhaupt nicht zur Diskussion steht, Herr Jörns interessiert sich für ihn. Ihm genügt die Tatsache, dass ein Deutscher beim welschen Erbfeind lebt, um ihn zu verdächtigen. Seine Fragen, die nicht zur Sache gehörten, waren Verdächtigungen und sind selbstverständlich als solche aufzufassen. Wüßte der Reichsanwalt Näheres und Belastendes über die Tätigkeit dieses Bruders, so müßte er ja von Amts wegen dagegen einschreiten, und man kann sicher sein, dass er es getan hätte. Er weiß aber nichts. Diese Ignoranz genügt, um einen Deutschen, der weder als Angeklagter noch als Zeuge mit der Sache zu tun hat, zu beschimpfen. Der Angeklagte allein ist dem Kriegsgerichtsrat zu wenig Beute: alles, was zu seiner Familie gehört, ist verdächtig......Daß eine Beleidigung durch den Reichsanwalt vorliegt, steht außer Zweifel: in seinen Kreisen werden solche Beziehungen zum französischen Generalstab als Spionage, als Landesverrat, also als Verbrechen angesehen. Der Vorsitzende hat Berthold Jacob damit zu beruhigen versucht, dass er bemerkte: »Der Herr Reichsanwalt hat nur gefragt ... “

Zur selben Zeit fand sich in der Zeitschrift Das Tage-Buch“ am 24. März 1928[8] ein Artikel Kollege Jorns“, verfasst vom Verurteilten Berthold Jacob unter dem Pseudonym Staatsanwalt N.“.

Seine Milde gegen die Liebknecht-Luxemburg-Mörder war im Jahr 1919 ein Signal, daß gute Zeiten für Mörder gekommen seien“

Der Artikel stellte schließlich die mangelnde Eignung Jorns für das Amt des Reichsanwalts fest. Oberreichsanwalt Karl August Werner (18761936) und der Kollege Jorns stellten Strafantrag wegen Beleidigung und übler Nachrede. Der Reichsjustizminister Koch-Weser befürwortete trotz Warnungen vor der linksradikalen“ Presse im Kabinett den Antrag.[9] Am 17. April 1929 begann vor dem Schöffengericht in Berlin-Mitte die Hauptverhandlung. Paul Levi übernahm die Verteidigung des angeklagten verantwortlichen Redakteurs Bornstein. Entgegen den Erwartungen Jorns[10] ließ der Vorsitzende die Beweisanträge über eine nochmalige detaillierte Untersuchung der Vorgänge 1919 zu. Aus den Akten, die Levi einsehen durfte, konnte er noch die Vertuschung Jorns nachweisen. Zweimal titulierte der Staatsanwalt während der Verhandlung Jorns mit Angeklagter. Das Plädoyer Levis wurde von Carl von Ossietzky als die mächtigste deutsche Rede nach Ferdinand Lassalles[11] genannt.

Die schreckliche Tat, die damals begangen worden ist, ist keinem gut bekommen. ... Nur einer stieg hoch, der Kriegsgerichtsrat Jorns, und ich glaube, er hat in den zehn Jahren vergessen, woher seine Robe die rote Farbe trägt. …Die toten Buchstaben, benutzt zu dem Zwecke, Schuldige zu schützen, und die vermoderten Knochen der Opfer: sie stehen hier auf und klagen an den Ankläger von damals.“

Prozess und Urteil schlug große Wellen. Karl Friedrich Kaul nahm als junger Referendar am Prozess teil und befand rückblickend:

Als überzeugter Vertreter der preußischen Justiz ging ich in den Prozess hinein, als überzeugter Kommunist kam ich heraus.“

Im Freispruch wurde festgestellt, dass der Wahrheitsbeweis erbracht wurde, dass Jorns Zustände geduldet hatte, die die Untersuchung gefährdet hatten, und daher sei die Schlussfolgerung der mangelnden Eignung berechtigt gewesen. Nach dem Freispruch erstattete Wilhelm Pieck Anzeige gegen Jorns, der nicht nachgegangen wurde. Die Berufungsverhandlung fand am 27. Januar 1930 vor der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts I in Berlin statt. Während des Prozesses stürzte Levi aus ungeklärten Umständen aus dem Fenster. Die Staatsanwaltschaft beantragte Freispruch. Als Jorns deswegen seinen Kollegen Staatsanwalt beleidigte, zerstritten sich Nebenkläger Jorns und Hauptkläger Oberreichsanwalt Werner. Das Gericht entschied hier auf Geldstrafe in Höhe von 100 Mark, da das Absprechen juristischer Qualifikation bei Jorns nicht zuträfe. Jorns appellierte nun an das Reichsgericht in Leipzig, seinen Arbeitsplatz. Das Reichsgericht änderte in seinem Urteil vom 7. Juli 1930 seine bisherige Rechtsprechung dahingehend, dass hier der Nachweis des Bewußtseins des Vorschubleistens nicht ausreicht, sondern es müsse die Absicht bewiesen werden. Das Landgericht Berlin, an das zurückverwiesen wurde, verurteilte am 30. Januar 1931 Bornstein zu 500 Mark Geldstrafe. Im Reichstag wurde über den Prozess debattiert. Otto Landsberg, damaliger Volksbeauftragter für Justiz ereiferte sich, dass Jorns ihn gefragt habe,

ob meine politischen Freunde und ich nicht hocherfreut gewesen seien über die Nachricht von der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.“

Mit Zustimmung des Reichsjustizministers Joël wurde am 27. November 1931 Jorns zum Untersuchungsführer im Fall der Boxheimer Dokumente ernannt, die am 25. November der Polizei übergebenen worden waren. Jorns wurde aber schon zwei Tage später zurückgezogen. Danach wurde er in einem Revisionssenat beschäftigt.[12]

Diktatur

1933 trat er in die NSDAP ein. 1934 wurde er in der Filiale des Reichsgerichts in Berlin zuständig für die Anklage beim Volksgerichtshof. Den Gipfel seiner Karriere erreichte er mit seiner Ernennung zum Oberreichsanwalt 1936. 1937 trat er mit Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Jorns reaktiviert und erneut bei der Reichsanwaltschaft am Volksgerichtshof tätig. 1941 trat er endgültig in den Ruhestand.

Film

Die Morde wurden mehrmals verfilmt. Dargestellt wurde der Kriegsgerichtsrat Jorns von:

Walter Jupé, in: Der Mord, der nie verjährt (DDR 1967),

Hans Korte, in: Die rote Rosa (BRD 1966),

Gert Westphal, in: Der Fall Liebknecht-Luxemburg (BRD 1969).

Werke (Auswahl)

Landesverrat“, in: Deutsche Richterzeitung 1928, S. 105ff.

Literatur

Elisabeth Hannover-Drück, Heinrich Hannover (Hrsg.): Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Dokumentation eines politischen Verbrechens. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967 (Edition Suhrkamp 233), S. 200ff..

Klaus Gietinger: Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst eine deutsche Karriere. Nautilus, Hamburg 2009, ISBN 978-3-89401-592-3.

Klaus Gietinger: Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs. Neu durchgesehene überarbeitete Ausgabe. Nautilus, Hamburg 2009, ISBN 978-3-89401-593-0 (Nautilus Flugschrift).

Weblinks

Paul Jorns in der Online-Version der Edition Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik

Einzelnachweise

Lüderitzbuchter Zeitung 22. Januar 1910

Die rote Fahne vom 12. Februar 1919, abgerufen am 25. April 2011.

Quellensammlung in der Roten Fahne vom 16. Februar 1919, abgerufen am 25. April 2011.

Eduard Bernstein: Die deutsche Revolution; ihr Ursprung, ihr Verlauf und ihr Werk, 1. Band, Berlin-Fichtenau 1921, S. 168f.

Wolfram Wette: Gustav Noske. Eine politische Biographie“, Düsseldorf 1987, Seite 309.

Husar Runge in der Freiheit “, dem Zentralorgan der USPD (1918-1923) vom 9. Januar 1921, zitiert nach Emil Julius Gumbel: Vier Jahre politischer Mord“, Berlin 1922, S. 13.

Ignaz Wrobel, Die Weltbühne, 27. März 1928, Nr. 13, S. 471.

Das Tage-Buch, 9 (1928), Heft 12, S. 473.

Akten der Reichskanzlei 1918-1933: Das Kabinett Müller II, Band 1, Dokument Nr. 82, Kabinettssitzung vom 10. Dezember 1928, 7. Personalsache des Reichsjustizministeriums.

Wolfgang Heine: Die Bedeutung des Jorns-Prozesses“, Sozialistische Monatshefte 1929, S. 389ff..

Ferdinand Lassalle: Über Verfassungswesen“ (1862).

Akten der Reichskanzlei 1918-1933: Die Kabinette Brüning I/II , Band 3 , Dokument Nr. 574 Ministerbesprechung vom 28. November 1931.

http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Jorns

 

 


 

 

 

Wilhelm Crohne

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Wilhelm Crohne (* 14. Juli 1880 in Berlin; † 26. April 1945 durch Suizid) war ein deutscher Jurist und Vizepräsident am Volksgerichtshof in Berlin

Nach dem juristischen Studium nahm er 1910 eine Tätigkeit als Gerichtsassessor auf. Ab 1911 suchte er eine Beschäftigung in Deutsch-Ostafrika als Richter. Doch dort hatte er offensichtlich Schwierigkeiten, sich auf die Mentalität der dortigen Einwohner umzustellen. In einem Schreiben vom 26. Mai 1913 teilte ihm das Reichskolonialamt mit, dass seine Tätigkeit zu beenden sei, da er sich nicht „in die Anschauungen und Denkweisen der Neger hinzuversetzen“ verstand.

Am Ersten Weltkrieg nahm er von 1914 bis 1919 im Range eines Hauptmanns teil. Immerhin wurde er noch 1915 in Berlin zum Amtsgerichtsrat ernannt. Fünf Jahre später erfolgte die Ernennung zum Landgerichtsrat, 1924 zum Landgerichtsdirektor.

Ende der zwanziger Jahre wurde er in die laufenden politischen Prozesse verwickelt. So wirkte er beim Urteil gegen die Zeitschrift Die Weltbühne im Weltbühne-Prozess mit. Dabei wurde er allerdings 1928 dienstlich gerügt, da er im Text des Urteils den Begriff „polnische Horden“ verwendet hatte und Carl von Ossietzky als „gemein“ charakterisiert hatte.

Im Jahre 1931 wurde er Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP). Doch orientierte er sich politisch sehr bald zu den Nationalsozialisten, denn er trat am 1. September 1932 in die NSDAP ein. Schon im folgenden Jahr wurde der zum Ministerialdirektor im Preußischen Justizministerium berufen. In der Zeitschrift Preußische Justiz (später in Deutsche Justiz umbenannt) veröffentlichter er 1933 einen Artikel Bedeutung und Aufgaben der Sondergerichte, womit er quasi justizpolitische Leitlinien entsprechend den Vorgaben der NSDAP entwarf (Sondergerichte wurden im NS-Regime erst 1934 eingerichtet).

Dabei betonte er besonders die Aufgaben der Sondergerichte in Friedenszeiten:

„Im Frieden sind Sondergerichte dazu berufen, … durch schnelle und nachdrückliche Ausübung der Strafgewalt darauf hinzuwirken, daß unruhige Gemüter gewarnt und beseitigt werden und daß der reibungslose Gang der Staatsmaschine nicht gestört wird“.

Und in diesem Zusammenhang gab er auch den Maßstab in den Fällen vor Gericht vor, wo die Beweislage für den Angeklagten anzunehmen ist, wenn berechtige Zweifel mit dem Tathergang verbunden sind:

„Gewiß heißt es bei der Tatsachenfeststellung auch fürderhin: in dubio pro reo. Bei der Rechtsanwendung steht aber vor diesem Satz der Gedanke des Schutzes von Volk und Staat gegen den Rechtsbrecher“.[1]

Damit hatte sich Crohne eindeutig auf die NSDAP und für die Abwertung rechtsstaatlicher Grundsätze festgelegt. So wurde er denn auch 1935 zum Leiter der Abteilung III für die Strafrechts-Pflege im Reichsministerium der Justiz ernannt. Als im Jahre 1938 Martin Niemöller vor Gericht stand, hatte er eine Unterredung mit Joseph Goebbels. Dieser notierte in seinem Tagebuch vom 5. Februar 1938, dass Niemöller eine kurze, aber harte Strafe erhalten solle.

Im gleichen Jahr äußerte er sich zu der Frage des „Rassestrafrechts“ in der Zeitschrift Deutsche Justiz:

„Auch der Geschlechtsverkehr mit einer Unfruchtbargemachten oder mit einer Dirne ist strafbar, da das Gesetz nicht nur das deutsche Blut, sondern auch die deutsche Ehre schützen will“.[1]

Auch bezüglich der sogenannten Schutzhaft legte er für die Generalstaatsanwälte fest, dass diese von der Gestapo bestimmt würden und die Gerichte diese Anweisung hinzunehmen hätten. Diese Regelung führte dann zu der Praxis, dass bestimmte Häftlinge sofort nach der Haft von der Gestapo wieder verhaftet und ins Konzentrationslager eingewiesen wurden.

Im November 1942 wechselte er zum Volksgerichtshof in die Position eines Vizepräsidenten. Der Volksgerichtshof konnte ab dem 29. Januar 1943 Fälle behandeln, in denen es sich um den Tatvorwurf der Wehrkraftzersetzung handelte. Crohne nahm dazu 1944 in einem Artikel in der Zeitschrift Der SA-Führer Stellung:

„Seid gewiß, Frontkameraden, daß der Volksgerichtshof in enger Zusammenarbeit mit der Polizei in Eurer Heimat auf der Wacht steht, um das zu sichern, was Eure beispiellose Tapferkeit gewonnen hat. … Die Heimat zeigt sich in diesem Krieg Eurer würdig, und die wenigen andersdenkenden Verbrecher werden rücksichtslos ausgemerzt“.

Als am 3. Februar 1945 bei einem Bombenangriff Roland Freisler getötet wurde, übernahm Crohne vorübergehend die Führung des Volksgerichtshofs. So erwirkte er noch am 22. Februar 1945 eine Neuordnung der Zuständigkeiten des Senate.

Am 26. April 1945 nahm er sich mit seiner Familie das Leben.

Literatur [Bearbeiten]

* Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt/Main 2003

* Günther Wieland: Das war der Volksgerichtshof, Berlin 1989

* Klaus Bästlein: Zur 'Rechts'-Praxis des Schleswig-Holsteinischen Sondergerichts 1937-1945, in: Heribert Ostendorf (Hrsg.), Strafverfolgung und Strafverzicht, Köln 1992

* W. Crohne: Bedeutung und Aufgabe der Sondergerichte, in: Preußische Justiz, 1933, S. 384

* W. Crohne: Der Volksgerichtshof im Kampf für die Front, in: Der SA-Führer (München), 1944/3, S. 6

http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Crohne

 

 


 

 

Hans-Joachim Rehse

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Todesurteil wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung von Roland Freisler, Hans-Joachim Rehse, Arthur Heß, Hell, Reinecke, Karl Bruchhaus vom 8. September 1943 gegen Alois Geiger

Hans-Joachim Rehse (* 27. September 1902 in Prenden, Landkreis Niederbarnim; † 5. September 1969 in Schleswig) war ein Richter am Volksgerichtshof. Seine Laufbahn demonstriert das Scheitern der deutschen Justiz in der Nachkriegszeit, das von ihr in der NS-Zeit verübte Unrecht aufzuarbeiten.

Zur Person [Bearbeiten]

Rehse, Sohn eines Pfarrers, bestand 1927 und 1930 die beiden juristischen Staatsexamina mit hervorragenden Noten. In einer steilen Karriere diente er sich vom Gerichtsassessor 1931 bis zum Kammergerichtsrat 1942 hoch. Von Frühjahr 1934 bis Ende 1937 war er - damals so genannter - Hilfsarbeiter des Untersuchungsrichters beim Volksgerichtshof, von 1939 bis November 1941 Ermittlungsrichter und ab 10. November 1941 Hilfsrichter beim Volksgerichtshof.

Von 1919 bis 1921 war Rehse Mitglied des „Deutschen Bismarckbundes“, der später in Bismarck-Jugend umgenannt wurde, einer Organisation, der viele später bekannte Nationalsozialisten wie z. B. Horst Wessel angehörten, und von 1925 bis 1929 Mitglied der DNVP. Am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei.

Mitwirkung bei Todesurteilen [Bearbeiten]

Rehse wirkte als beisitzender Richter neben den Vorsitzenden Richtern Otto Georg Thierack und später Roland Freisler im 1. Senat des Volksgerichtshofs an mindestens 231 Todesurteilen mit.

Der Fall Max Josef Metzger [Bearbeiten]

Der katholische Priester Max Josef Metzger hatte von Berlin aus an den schwedischen Erzbischof in Uppsala ein Manifest gerichtet, in dem er in getarnter Form eine demokratische Staatsordnung für Deutschland nach dem Krieg entworfen hatte. Das Manifest war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und fiel durch einen Vertrauensbruch der Gestapo in die Hände.

In dem Todesurteil vom 14. Oktober 1943 ist unter anderem zu lesen, es handele sich hierbei um Feindbegünstigung oder Hochverrat: „Jeder Volksgenosse weiß, daß ein solches Ausscheren eines einzelnen Deutschen aus unserer Kampffront eine ungeheuerliche Schandtat ist ... ein Verrat in der Richtung auf Defaitismus ... ein Verrat, den unser gesundes Volksempfinden für todeswürdig hält.“

Hierzu hat der Bundesgerichtshof (BGH NJW 1956, 1485, 1486) in einem Strafverfahren gegen Dagmar Imgart, die Denunziantin des Priesters, bereits 1956 festgestellt, dass seine Verurteilung und die Vollstreckung des Urteils - das war die Todesstrafe - „eine vorsätzliche rechtswidrige Tötung unter dem Deckmantel der Strafrechtspflege“ gewesen sei. Es habe sich dabei um die Ausnutzung gerichtlicher Formen zur widerrechtlichen Tötung gehandelt. Eine solche Rechtsanwendung diene nur noch der Vernichtung des politischen Gegners und verletze den unantastbaren rechtlichen Kernbereich. Dadurch enthülle eine derartige „Rechtsprechung“ ihr wahres Wesen als Terrorinstrument.

Der Fall des Berliner Universitätsprofessors [Bearbeiten]

Dieser hatte am 23. Juli 1943 auf einem gemeinsamen Weg zu einem Kollegen geäußert, es gehe nun mit dem Dritten Reich zu Ende, und es könne sich nur noch um die Bestrafung der Schuldigen handeln; seit dem Reichstagsbrandschwindel habe er gewusst, dass es so kommen werde.

In dem Todesurteil vom 11. Mai 1944 ist zu lesen: „Nein, mit A. mußte der Volksgerichtshof so verfahren wie mit anderen Defaitisten (§ 5 KSSVO), die unserem kämpfenden Volk mit ihrem entmutigenden Zersetzungsreden in den Rücken fallen und die sich dadurch für immer ehrlos gemacht haben. Er mußte zum Tod verurteilt werden, damit die Siegesgewißheit und damit die Kampfkraft unserer Heimat unangetastet bleibt.“

Der Fall des Pfarrer Müller aus Hildesheim [Bearbeiten]

Ein anderes Todesurteil betraf den katholischen Pfarrer Müller. Dieser hatte August 1943 einem Handwerker gegenüber geäußert, die Lage sei ernst, der Krieg könne leicht verlorengehen. Kurze Zeit später erzählte Müller dem Handwerker noch folgenden Witz: Ein Verwundeter habe als Sterbender gebeten, die noch einmal zu sehen, für die er sterben müsse; da habe man das Bild Hitlers rechts, das Görings links neben ihn gestellt; und da habe er gesagt: „Jetzt sterbe ich wie Christus.“

Im Todesurteil vom 28. Juli 1944 ist zu lesen: „Wenn nach dem allen Müller seinen Witz ... Ein solches Verhalten ist Verrat an Volk, Führer und Reich. Solcher Verrat macht für immer ehrlos. Ein solches Attentat auf unsere moralische Kraft kann - damit ähnliche Verratslüsterne abgeschreckt werden - nicht anders als mit dem Tode bestraft werden.“

Strafrechtliche Ahndung [Bearbeiten]

Noch 1963 lehnte es das Oberlandesgericht (OLG) München ab, Rehse wegen eines Todesurteils in einem vergleichbaren Falle zu verfolgen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH führte es aus, dem Angeschuldigten könne nicht nachgewiesen werden, dass er mit bestimmtem Vorsatz das Recht gebeugt und ein Verbrechen wider das Leben begangen hat. Rehse sei dem damaligen Rechtsdenken verhaftet gewesen. Angesichts der Unterworfenheit unter die damaligen Gesetze, die er als verbindliches Recht angesehen und die er infolge der Verblendung für richtig gehalten habe, könne ihm ein bestimmter Vorsatz nicht nachgewiesen werden.

Der Tatbestand der Rechtsbeugung [Bearbeiten]

Das Oberlandesgericht bezog sich dabei auf eine grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 1956 (1 StR 56/56 - BGHSt 10, 294, 300), wonach der „bestimmte“ Vorsatz des Rechtsbeugers sich auch auf die unrichtige Rechtsanwendung beziehen müsse. Insoweit wich er von einer früheren Entscheidung ab (Urteil v. 27. Mai 1952 - 2 StR 45/50 - MDR 1952,693). Dort hatte es ein anderer Senat ausreichen lassen, dass der Täter wenigstens damit gerechnet habe, es also für möglich gehalten habe, dass das Todesurteil objektiv rechtswidrig gewesen sei, und trotzdem für diese Strafe gestimmt habe (so genannter „bedingter Vorsatz“, der geringere Anforderungen an die innere Tatseite stellt). Außerdem genügte es dem Bundesgerichtshof in jener Entscheidung, dass es für jeden unvoreingenommenen Richter offensichtlich gewesen sei, dass die Fahnenflucht der Soldaten nicht die Höchststrafe, nämlich die Todesstrafe, verdient habe.

Im Ergebnis hat der Bundesgerichtshof gegenüber NS-Juristen erstaunliche Milde walten lassen, indem er ihnen ihre - vorgebliche - rechtliche Verblendung zugute gehalten hat. Andere Täter, wie beispielsweise Denunzianten, wurden demgegenüber wesentlich tatkräftiger angepackt.

Zu derartigen Argumentationsmustern hat der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer bemerkt: Kein Mensch werde heute aus der Bewusstseinsspaltung der Juristen klug. In den Entnazifizierungsakten sei zu lesen, dass alle samt und sonders dagegen gewesen seien. Sollen aber Richter und Staatsanwälte etwa wegen exzessiver Todesurteile zur Rechtfertigung gezogen werden, so beteuern sie, seinerzeit in ungetrübter Übereinstimmung mit ihrem Gewissen verfolgt und gerichtet zu haben, womit nach herrschendem Juristenrecht Rechtsbeugung und Totschlag entfielen.

Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof im Falle eines Richters in der damals so genannten Sowjetzone („SBZ“), der Zeugen Jehovas zu sehr hohen Freiheitsstrafen verurteilt hatte, ausgeführt: „Der Angeklagte ist Volljurist, von dem erwartet werden kann, dass er ein Gefühl dafür hat, ob eine Strafe in unerträglichem Mißverhältnis zur Schwere der Tat und zur Schuld des Täters steht“ (Urteil vom 16. Februar 1960 - 5 StR 473/59 - NJW 1960,974).

Die Urteile in Sachen Rehse [Bearbeiten]

Erstes Urteil LG Berlin [Bearbeiten]

Rehse musste sich dann doch noch vor Gericht für einige Taten, u. a. den oben geschilderten Fall des Pfarrers Müller, vor Gericht verantworten. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin lehnte sich gegen die damals gültige Behandlung von NS-Tätern in Robe auf und verurteilte Rehse am 3. Juli 1967 wegen Beihilfe zu Mord in drei Fällen und Beihilfe zum versuchten Mord in vier Fällen zu fünf Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der vom 9. Februar 1967 angeordneten Untersuchungshaft.

Urteil des BGH [Bearbeiten]

Der zuständige 5. Strafsenat des BGH unter dem Vorsitz von Werner Sarstedt bekräftigte demgegenüber in dem von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem angestrengten Revisionsverfahren die zu jener Zeit herrschende Meinung zum Tatbestand der Rechtsbeugung und fasste dies in folgende Worte: das landgerichtliche Urteil enthalte Unklarheiten und Widersprüche, „u. a. übrigens auch im Zusammenhang mit den Ausdrücken 'Rechtsblindheit' und 'Verblendung', die, im üblichen Sinne verstanden, mit dem Vorsatz der Rechtsbeugung nicht vereinbar erscheinen“ (Urteil v. 30. April 1968 - 5 StR 670/67 - NJW 1968,1339,1340). Der BGH hob das Urteil des Schwurgerichts zur erneuten Verhandlung vor dem Landgericht Berlin auf.

Zweites Urteil LG Berlin [Bearbeiten]

Im zweiten Durchgang wurde Rehse freigesprochen.

Schwere Verfahrensverstöße seien nicht festzustellen. Die damals Angeklagten seien in ihrer Verteidigung nicht behindert worden. Auch aus den nur kurzen und ohne förmliche Abstimmung durchgeführten Beratungen (zur Urteilsfindung) lasse sich ein strafbares Verhalten Rehses nicht herleiten. Die auf die zum Tode Verurteilten angewandten Strafbestimmungen - § 91 b StGB und § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung - seien rechtsgültig gewesen.

Im Falle Metzger sei der Tatbestand der Feindbegünstigung erfüllt (was der Volksgerichtshof jedoch gerade nicht festgestellt, sondern offen gelassen hatte - vgl. die Darstellung der Urteilsgründe im Artikel zu Max Josef Metzger).

Die Beweisführung des Volksgerichtshofs habe sich „im Rahmen sachlicher Überlegungen gehalten“.

Es könne Rehse nicht nachgewiesen werden, dass er Strafvorschriften bewusst unrichtig angewandt habe.

Die Verhängung der Todesstrafe sei zwar objektiv rechtswidrig gewesen, sie habe jedoch der scharfen Bekämpfung der Wehrkraftzersetzung durch den Volksgerichtshof entsprochen, der derartige Fälle in der Regel als todeswürdig angesehen habe.

Das Schwurgericht meinte, ob die Verurteilten sich auf ein Widerstandsrecht gegen das Unrechtsregime berufen konnten, lasse sich heute nicht mehr klären.

Noch bevor der BGH sich erneut in dieser Sache äußern konnte, verstarb der Angeklagte in Schleswig an Herzversagen.

Ergebnis [Bearbeiten]

Obwohl in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die strafrechtliche Aufarbeitung des NS-Unrechts in Gang gekommen war, lehnte die Rechtsprechung auf ihrem eigenen Feld eine Aufarbeitung der Vergangenheit ab. Mit dem Rehse-Urteil war das endgültige Ende der strafrechtlichen Verfolgung aller NS-Justizjuristen eingeleitet.

Die Justiz hat die gerade in dem Urteil des BGH im Fall des Priesters Max Josef Metzger vorhandenen Ansätze, den Volksgerichtshof nicht als Gericht anzuerkennen und damit die Taten der „Richter“ ohne das Richterprivileg einer engen Auslegung des Rechtsbeugungstatbestandes zu beurteilen, nicht genutzt. Auch Hinweise des Generalbundesanwaltes Max Güde aus dem Jahr 1960, wonach der Volksgerichtshof von vornherein ein politisches Instrument gewesen sei, (in ihm hätten grundsätzlich nur dem Regime ergebene Juristen gesessen, zusammen mit hohen Funktionären von Partei, SA und SS; ein maßgebender Beamter des Volksgerichtshofs - ein Oberreichsanwalt - habe ihm einmal gesagt, Aufgabe des Volksgerichtshofs sei es nicht, Recht zu sprechen, sondern die Gegner des Nationalsozialismus zu vernichten) blieben unbeachtet.

Siehe auch [Bearbeiten]

Weitere Beispiele eines nicht gesühnten Justizunrechts:

* Begangen an dem Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi

Literatur [Bearbeiten]

* Gribbohm: Nationalsozialismus und Strafrechtspraxis - Versuch einer Bilanz (Überblicksdarstellung). Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1988, 2842

* Matthias Meusch: Von der Diktatur zur Demokratie. Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Hessen (1956-1968): Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen, Bd. 26, Wiesbaden 2001. ISBN 3-930221-10-1

* Justiz und Nationalsozialismus, Katalog zur Ausstellung des Bundesministers der Justiz 1989, S. 404-405, 423, 425-426, 440-449

* Die Zitate aus den Urteilen finden sich bei Walter Wagner, Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat, 1974 S. 358, 402, 406; vgl. auch S. 855. ISBN 3-486-54491-8 und bei

* Ingo Müller: Furchtbare Juristen. 1987 ISBN 3-463-40038-3 S.283-284

* Friedrich Christian Delius: "Mein Jahr als Mörder". Roman, 304 Seiten, ISBN 3-87134-458-3, Rowohlt Berlin Verlag

* Arnim Ramm: Der 20. Juli vor dem Volksgerichtshof, Wissenschaftlicher Verlag Berlin, 2007, ISBN 978-3-86573-264-4

* Jörg Friedrich: Die Kalte Amnestie, NS-Täter in der Bundesrepublik, List, Berlin 2007, ISBN 978-3-548-60748-1, S.390ff.

http://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Joachim_Rehse

 

 


 

 

Terror und Normalität - Der Volksgerichtshof in zeitgeschichtlicher Perspektive

Kurzfassung des Autors

Vom nationalsozialistischen Volksgerichtshof hat die Gesellschaft eine bestimmte Vorstellung. Danach war er ein reines Terrorinstrument des nationalsozialistischen Staates. Damit wird nicht erfasst, dass die Tätigkeit des Volksgerichtshofs auch Aspekte einer juristischen "Normalität" aufwies. Sie werden im folgenden Beitrag aufgezeigt, und es wird der Versuch unternommen, das Verhältnis von Terror und "Normalität" beim Volksgerichtshof zu bestimmen. Das Ziel besteht nicht etwa in einer Relativierung der bisherigen Bewertung des Volksgerichtshofs. Es soll nur darauf aufmerksam gemacht werden, dass es historischer und juristischer Anstrengungen bedarf, um die Verbindung von Terror und "Normalität" zu verstehen und zu erklären, die den Volksgerichtshof ausgemacht hat. Die Ausführungen haben die Lebensschicksale dreier Personen zur Grundlage, die vom Volksgerichtshof abgeurteilt wurden. Die Urteile sind abgedruckt in: Klaus Marxen / Holger Schlüter, Terror und "Normalität". Urteile des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs 1934 - 1945. Eine Dokumentation. Juristische Zeitgeschichte, herausgegeben vom Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Bd. 13. Der einleitende Aufsatz dieser Dokumentation sowie das Buch Klaus Marxen, Das Volk und sein Gerichtshof, 1994, enthalten Belege zu den Darlegungen des folgenden Textes. Dieser gibt im Wesentlichen unverändert einen Vortrag wieder, den der Verfasser am 14. September 2004 im Rahmen einer Vortragsreihe gehalten hat, die von der Stiftung Topographie des Terrors begleitend zur der Ausstellung "Der Volksgerichtshof - Hitlers politisches Tribunal" durchgeführt wurde.

HFR 9/2005, S. 1

http://www.humboldt-forum-recht.de/deutsch/9-2005/index.html

 

 

Humboldt Forum Recht

Humboldt-Universität zu Berlin

Juristische Fakultät

Unter den Linden 9

10099 Berlin

 

 

Prof. Dr. Klaus Marxen (geb. zensiert durch Anordnung des "Berliner Beauftragten für Datenschutz" 1945) - Richter am Kammergericht (ab 02.05.1996, ..., 2006) - im Handbuch der Justiz 2006 ab 02.05.1996 als Richter am Kammergericht Berlin , Universitätsprofessor, 2 Hauptamt, 1/10 Stelle - aufgeführt. "Terror und Normalität - Der Volksgerichtshof in zeitgeschichtlicher Perspektive" - Kurzfassung des Autors: Vom nationalsozialistischen Volksgerichtshof hat die Gesellschaft eine bestimmte Vorstellung. Danach war er ein reines Terrorinstrument des nationalsozialistischen Staates. Damit wird nicht erfasst, dass die Tätigkeit des Volksgerichtshofs auch Aspekte einer juristischen "Normalität" aufwies. Sie werden im folgenden Beitrag aufgezeigt, und es wird der Versuch unternommen, das Verhältnis von Terror und "Normalität" beim Volksgerichtshof zu bestimmen. Das Ziel besteht nicht etwa in einer Relativierung der bisherigen Bewertung des Volksgerichtshofs. Es soll nur darauf aufmerksam gemacht werden, dass es historischer und juristischer Anstrengungen bedarf, um die Verbindung von Terror und "Normalität" zu verstehen und zu erklären, die den Volksgerichtshof ausgemacht hat. Die Ausführungen haben die Lebensschicksale dreier Personen zur Grundlage, die vom Volksgerichtshof abgeurteilt wurden. Die Urteile sind abgedruckt in: Klaus Marxen / Holger Schlüter, Terror und "Normalität". Urteile des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs 1934 - 1945. Eine Dokumentation. Juristische Zeitgeschichte, herausgegeben vom Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Bd. 13. Der einleitende Aufsatz dieser Dokumentation sowie das Buch Klaus Marxen, Das Volk und sein Gerichtshof, 1994, enthalten Belege zu den Darlegungen des folgenden Textes. Dieser gibt im Wesentlichen unverändert einen Vortrag wieder, den der Verfasser am 14. September 2004 im Rahmen einer Vortragsreihe gehalten hat, die von der Stiftung Topographie des Terrors begleitend zur der Ausstellung "Der Volksgerichtshof - Hitlers politisches Tribunal" durchgeführt wurde. HFR 9/2005, S. 1 -  http://www.humboldt-forum-recht.de/deutsch/9-2005/index.html

Dr. Holger Schlüter (geb. zensiert durch Anordnung des "Berliner Beauftragten für Datenschutz" 1964) - Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Hagen (ab 01.08.2011, ..., 2022) - im Handbuch der Justiz 2010 ab 06.08.1998 als Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Hagen aufgeführt. Im Handbuch der Justiz 2012 ab 01.08.2011 als Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Hagen aufgeführt. Im Handbuch der Justiz 2022 ohne Vornamen und Geburtsdatum ab 01.08.2011 als Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Hagen aufgeführt.

 

 


 

 

»Missbrauchsverdacht - Fehldiagnose - Folge

Grenzen der Wiedergutmachung

Dieser Beitrag wurde als Vortrag an der evangelischen Akademie Arnoldshain am 14.05.2006 gehalten und befasst sich im Wesentlichen mit Erkenntnissen des Verfassers aus seiner Tätigkeit als Strafverteidiger in den sogenannten “Wormser Kinderschänderprozessen” sowie nachfolgender, auch aktueller Rechtsprechung und Literatur.

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Obst, Lermen & Kollegen - Rechtsanwälte

 

http://www.anwaltskanzlei-obst.de/2006/11/06/missbrauchsverdacht-fehldiagnose-folge/

 

 

 


 

 

 

Wiebke Bruhns

Meines Vaters Land. Geschichte einer deutschen Familie

Econ Verlag, München 2004, ISBN 343011571X, Gebunden, 386 Seiten, 22,00 EUR

Am 26. August 1944 wird der Abwehroffizier Hans Georg Klamroth wegen Hochverrats hingerichtet. Jahrzehnte später sieht seine jüngste Tochter in einer Fernsehdokumentation über den 20. Juli Bilder ihres Vaters - aufgenommen während des Prozesses im Volksgerichtshof. Ein Anblick, der Wibke Bruhns nicht mehr loslässt. Wer war dieser ...

Am 26. August 1944 wird der Abwehroffizier Hans Georg Klamroth wegen Hochverrats hingerichtet. Jahrzehnte später sieht seine jüngste Tochter in einer Fernsehdokumentation über den 20. Juli Bilder ihres Vaters - aufgenommen während des Prozesses im Volksgerichtshof. Ein Anblick, der Wibke Bruhns nicht mehr loslässt. Wer war dieser Mann, den sie kaum kannte, der fremde Vater, der ihr plötzlich so nah ist? Die lange Suche nach seiner, ja auch ihrer eigenen Geschichte führt sie zurück in die Vergangenheit: Die Klamroths sind eine angesehene großbürgerliche Kaufmannsfamilie und muten wie ein Halberstädter Pendant zu den Buddenbrooks an. Unzählige Fotos, Briefe und Tagebücher sind der Fundus für ein einzigartiges Familienepos.

 


 

 

Vater, wer warst du?

Ein fremder Mann, nur ein Foto ohne Stimme – Wibke Bruhns war sechs, als die Nazis ihren Vater hängten. Jetzt hat sie sich auf die Suche in die eigene Vergangenheit begeben. Und vieles gefunden.

Von Norbert Thomma

Als sie 15 war, ist sie vom Internat geflogen, 1953; sie galt als ungehorsam, aufsässig. Der Schulleiter sagte ihr, das wundere ihn nicht, dieser schlechte Charakter: „Dein Vater war ja ein Hochverräter.“

Als sie erwachsen wurde, reagierten viele mit neugierigem Interesse. Ach, dein Vater hat mit dem 20. Juli zu tun? Was hat er denn gemacht? Das sei ihr peinlich gewesen, sagt sie, dieses Geschmücktwerden mit fremden Federn. „Nichts“, habe sie meist geantwortet, „aber aufgehängt haben sie ihn.“ Er war nicht direkt beteiligt am Versuch, Adolf Hitler mit Sprengstoff umzubringen, er hat davon gewusst und geschwiegen.

Als sie 41 war, kam sie von einer Auslandsreise zurück. Sie drückte eine Aufzeichnung über den Widerstand gegen die Nazis ins Videogerät, sah die Richter des Volksgerichtshofs in den Sitzungssaal eintreten, Hitlergruß, Hüte ab, und dann führen zwei Polizisten einen Mann vor den Richtertisch, von dem herab der berüchtigte Roland Freisler keift. Der Angeklagte ist ihr Vater. „Ist Ihnen klar“, bellt Richter Freisler, „dass nichts weiter tun Verrat war?“ Hans Georg Klamroth zögert mit gesenktem Blick, dann spricht er ein trotziges „Nein“ und schüttelt den Kopf. „Abartig“ ist aus Freislers Toben zu hören, „Abartigkeiten.“ Ein Todesurteil, August ’44, für den Major der Abwehr.

In diesem Moment hat Wibke Bruhns beschlossen, irgendwann das Leben ihres Vaters zu ergründen und aufzuschreiben*. Er war bis dahin „keine Kategorie“ für sie, präsent nur durch Fotos und Anekdoten der Verwandten, ohne den Klang einer Stimme. 1979 ist das gewesen.

Nun zupft sie die nächste Zigarette aus dem silbernen Etui. Draußen zerwirbelt der Wind dicke Schneeflocken. Das Sauwetter in Halberstadt lässt sich durch große, verglaste Türen beschauen. Hinter den kniehohen Mäuerchen, sagt sie, müssen sie sich Rhododendronbüsche vorstellen, dort habe ich als Kind meinen Lebertran entsorgt. Hinter dem Garten, wo die neu gebaute Sparkasse zu sehen ist, sagt sie, war unser Tennisplatz, dort drüben der Rosengarten, dort der Longierplatz für die Pferde. Wir sitzen gerade im ehemaligen Wintergarten, sagt sie.

In diesem Haus aus Sandstein hat alles angefangen. Hier wurde Wibke Klamroth geboren, letztes von fünf Kindern des Ehepaares Else und Hans Georg, geboren in ein Anwesen mit Gesindetrakt und Pferdeställen, die Einbauten aus Eiche und Mahagoni, alles im englischen Landhausstil und bis zu Lampen und Parkett entworfen vom Architekten Muthesius, 1911. Über Generationen verdienten die Klamroths an Handel, Landwirtschaft, Spedition; geschäftliche Beteiligungen reichten bis zur Karibikinsel Curacao. Firma „I. G. Klamroth“ – jeder erstgeborene Sohn bekam einen Namen mit diesen Initialen.

Die Dynastie zerbrach

Wibke Bruhns ist 65 inzwischen, schlank im schwarzen Anzug, cremefarben der Pullover, die blonden Haare kurz, ganz Dame. Aus dem Elternhaus am Ostrand des Harzes ist ein 4-Sterne-Hotel geworden, es gehört der Familie längst nicht mehr; Zimmer 266 war ihre Kinderstube, auf dem Balkon davor hauste ihr Kaninchen. Die Kellnerin bringt gebratene Gänseleber mit Wintersalaten.

Als die etwa 250 Bomber kamen damals, einen Sonntag nach Ostern 1945, saß sie unten im Keller. Halberstadt am Ostrand des Harzes verbrannte. Sie sagt, die Gedanken daran brächten sofort den prasselnden Lärm der Flammen zurück. Doch die Erinnerung an die Zeit davor sei bei ihr erloschen. Die ersten sechs Lebensjahre – weg; auch eine späte Psychoanalyse habe nichts davon zurückgebracht. Und die Dynastie der Klamroths war zerbrochen, zerstreut im Westen.

Vielleicht erzählt sie deshalb so frei von Sentimentalität. Halberstadt wurde DDR, das hat sie nur aus der Ferne betrachtet. Und der Vater, der war später kein Thema, die ganze Vergangenheit war keines. Die Mutter verstummte. Nur Freunde schilderten ihn ab und an als charmant, lebhaft, witzig. Du bist wie er, hörte sie oft. Wibke Bruhns drückt eine Zigarette aus. Im Aschenbecher liegen die vielen Stummel sauber aufgereiht wie Löffel im Besteckkasten. Ja, sagt sie lachend, ordentlich sei er auch gewesen.

Was sie sonst wusste vom Vater, den sie distanziert „HG“ nennt, um ja keine Vertrautheit anzudeuten, waren wenige Fakten: früh Mitglied in der NSDAP, in der SS; Kriegseinsatz zur Partisanenbekämpfung in Russland. Auch die Mutter ging zeitig in die Partei, NS-Frauschaft. Die schwarz-weißen Videobilder, sagt Bruhns, hätten bei ihr den Impuls ausgelöst: Darüber will ich alles wissen! Warum sind die so geworden? Was war das für ein merkwürdiger Weg bis hin zu Freislers Richtertisch und dem Strick in Plötzensee?

Es hat mehr als zwei Jahrzehnte gedauert, ehe sie damit begann. Zuerst mussten zwei eigene Kinder großgezogen werden, die Journalistin ging für den „Stern“ nach Jerusalem und Washington. Eine kleine Legende schon zu dieser Zeit: Wibke Bruhns, inzwischen mit dem Namen ihres Mannes, die erste Frau, die im ZDF die „heute“-Sendung moderierte. Den Spagat zwischen Print- und elektronischen Medien hat sie durchgehalten. Gewann den Egon-Erwin-Kischpreis und wurde Kulturchefin beim Fernsehen des RBB. Schließlich Sprecherin der Expo in Hannover.

Ende der Brotberufe, nun war sie frei. Konnte Archäologin werden in den Trümmern des eigenen Stammes. Konnte Spuren suchen und graben. Sie hatte schon vorher gesammelt und die Verwandtschaft um Fundstücke gebeten. Nach dem Tod der Mutter ’87 barg sie Tagebücher und Briefe aus Schubladen. Nach der Wende meldete jemand aus Halberstadt, das Klamrothsche Familienarchiv liege auf dem Dachboden der Liebfrauenkirche, weiße Kladden in zwölf riesigen Buchattrappen. Bei der Stasi fanden sich Dokumente zum Namen Klamroth.

Wibke Bruhns hat den ganzen Berg an Material in ihre Berliner Wohnung geschafft. Zweieinhalb Jahre sichten, lesen, sortieren, schreiben. Eindringen in intime Sphären. Verblüfft entdecken, dass die Ehe der Eltern völlig zerrüttet war, als HG hingerichtet wurde. Der Vater ein Hallodri, der die Finger auch von jungen Hausmädchen nicht lassen konnte. Und immer war die Angst dabei, fürchterliche Verstrickungen zu finden, „Morde an der Zivilbevölkerung“ vielleicht.

Kommen Sie, ich zeige Ihnen… Sie wird das noch häufig sagen an diesem Tag. Ständig gibt es etwas zu zeigen. Im Fernsehzimmer das Video vom Volksgerichtshof. Im nächsten Raum das gerahmte Bild von Mutter Else, jung und pausbäckig. In der Abstellkammer hinter der Küche Regale mit Folianten, Protokollen, Fotoalben, die nicht benötigt wurden beim Versuch, „Geschichte zu beschreiben anhand von Menschen“.

Es ist ein Spaziergang durch eine geräumige Charlottenburger Maisonette, bei dem immer wieder die weitläufige Sippe der Klamroths grüßt. Antike Schränke, Teppiche, Miniaturen mit Portraits; die Kaffeemütze, mit der die Kanne warmgehalten wird, trägt die eingestickten Initialen der Großmutter. In jeder Ecke scheint es in Kästchen und Schatullen Depots für Zigaretten zu gehen.

Oben auf der Galerie ist ihr Arbeitsplatz. Ein gläserner Schreibtisch vor den breiten Terrassentüren, freier Blick auf den Himmel über Berlin. Links ein düsterer Schrank mit offenen Türen, holländisches Barock. Im Mittelteil lässt sich ein Geheimfach aufziehen, in dem die Mutter Familienschmuck aufbewahrte. In den Schrankfächern stehen 26 froschgrüne Plastikkästen für Hängeordner: Brautbriefe, Reisebeschreibungen HG 21-28, Gästebücher, Elterntagebücher… Aus den Dokumenten lappen hunderte von gelben Klebezetteln mit Bruhns’ Notizen.

Es kann nicht nur angenehm gewesen sein, so lange hier zu sitzen mit all den papierenen Gespenstern der Vergangenheit. Irgendwann hat Wibke Bruhns auch das Berichtsbuch des Klamrothschen Familienverbandes durchgesehen. Ins handschriftliche Protokoll ist auf Seite 63 der gedruckte § 9a geklebt, der Arier-Paragraph. Er soll sicherstellen, dass Mitglieder durch Ehen mit Nichtariern ausgeschlossen werden. Begründung des Vaters: „Wir sind mit Recht stolz auf diese Rassereinheit unsrer Sippe, die auch in Zukunft erhalten werden soll.“ Beglaubigt und abgestempelt am 17. 8. 1933 vom Amtsgericht Halberstadt. Erst zwei Jahre später wird der Rassenwahn der Nazis durch die Nürnberger Gesetz offiziell.

„Blankes Entsetzen“ habe sie bei diesem Fund gepackt – „ein Albtraum bis heute.“ Die Klamroths waren wer, ja. Halberstadt war reformiert, streng. Leitschnur waren Pflicht, Gottesfurcht, Tapferkeit. Wenn schon mitmachen, dann ganz vorne. „Ehre“, sagt Bruhns, „war wichtiger als Liebe.“

Es gab auch die Versuche zärtlicher, pathosgetränkter Gedichte. Eines vom Vater zum 20. Jahrestag der Verlobung. „Der Dank an Dich, daß Du mit mir gegangen / Mit mir, dem jungen, unerfahr’nen Mann / Der es gewagt, nach Deinem Stern zu langen…“ Oder die Liebe zu Hitler. Ende ’44 notierte die älteste Schwester: „So sehr gehöre ich dem an, der meinen Vater ermordet hat, daß noch kein klarer Gedanke gegen ihn aufzustehen gewagt hat.“

Es wurde viel geschrieben in dieser Familie. Von einem Ausflug verfasst jeder seinen Bericht, selbst die Haustöchter. Die Kinder bekamen einen Groschen pro Seite. Regelmäßig „Sonntagsbriefe“ mit Durchschlägen an alle. Für jeden Sprössling ein Tagebuch bis zur Konfirmation. Briefe aus dem Feld, ausführlich und anschaulich, wie im Kolportageroman: „Bei diesen Worten griff er zur Pistole mit derart angreifender Gebärde, daß ich mir darüber klar war, daß er sofort schießen würde, wenn er die Pistole auf mich anschlagen konnte. Deshalb schoß ich; da der erste Schuß vorbei ging und der Kerl darauf schrie: ,Du Hund, ich schieß dich tot!’ schoß ich sofort noch einmal. Da sank er um und blieb auch gleich still liegen.“

Schriftlich festgehalten wurden Gesprächsthemen von Abendgesellschaften und jede getrunkene Flasche Wein. Der Vater notierte von Autofahrten jeden Kilometer – und die Reisezeiten in Minuten; akribisch auch seine amourösen Abenteuer in gestochener Handschrift. Das Kriegstagebuch von Großvater Kurt ist kaum mit zwei Händen zu halten, eine in Leder gebundene Schwarte mit eingeprägtem Wappen, Inhaltsangabe mit Seitenzahlen.

Verständlich das Schwärmen der Autorin über den „gigantischen Stoff“ zu einem opulenten Familienreport. Doch die Annäherung an den eigenen Clan verläuft nicht ohne schmerzhafte Irritation. Warum verliert sich die Spur des Geschäftsfreundes Jacobsohn in den Aufzeichnungen, ohne jede Bemerkung über den Terror gegen Juden? Der Vater war verantwortlich für die Sicherheit von Hitlers Geheimwaffen V1 und V2, was wusste er über die Leiden der Fronarbeiter, über Vernichtungslager? Wie lesen sich die Zeilen der Mutter, die 1947 einem Kind ins Buch schrieb: „Ich sah voll Grauen auf die sinnlose Zerstörung und das Hinopfern des Volkes, nur weil ein Mann zu feige war einzugestehen, daß er gescheitert war.“ „Ein Mann?“, schreibt Tochter Wibke hinter diesen Satz. Sie kennt ja die früheren Briefe der Mutter: „Es geht ja wunderbar vorwärts – 80 km von Stalingrad entfernt! Sind wir dort, ist die Zange doch zu!“ Und bald auch noch „gehört uns das Mittelmeer!!!“

Neben dem Schreibtisch von Wibke Bruhns steht üppig ein knallbunter Strauß aus Seidenblumen. Inmitten der menschlichen und politischen Verirrungen sorgt er für Ermunterung. Auf den Tritten zur Terrasse liegen Reste der begleitenden Literatur, Sebastian Haffner, Norbert Elias, historische Fachbücher, Chroniken; im Regal nebenan stehen sie in Metern. Sie wollte durchs Lesen einfach verstehen, mit welchem Kompass durch die Klamrothschen Zeiten gesteuert wurde. Ehre? Satisfaktionsfähigkeit? Niemand heute würde daran sein Handeln messen. Der Eid auf Hitler, den bricht man eben, wenn nötig. So hat sie gedacht. Inzwischen, sagt sie, könne sie sehen, was das für einen Offizier bedeutete. Entschuldigen, nein, wolle sie damit nichts.

Ich kann mir den Mann nicht backen

Noch immer stehen am penibel aufgeräumten Arbeitspult zwei Fotos, die Verlobung der Eltern und der Vater, jung und traurig im Halbprofil. „Ich habe oft still mit ihnen geredet.“ Bisweilen muss es auch heftig zugegangen sein. Viele Sätze im Buch verraten Fassungslosigkeit und Empörung. „Kein Wort, nie, in all den Jahren nicht, über die Opfer.“ – „Was ist das für eine grenzenlose Hybris?“ – „Der spinnt.“ - „Mich empört der Ton hinterher, die aufgesetzte Verachtung…“ – „Ich kann mir den Mann nicht anders backen als er ist.“

Die Pflicht der Chronistin: hinschreiben, was ist. Selbst die grässlichen Dinge, die bösartigen. Gibt es da keine Skrupel? Sind Tagebücher und verzweifelte Liebesbriefe für fremde Leser bestimmt? „Grenzüberschreitend“ nennt die Tochter ihr Ausschlachten des Privaten. Und nötig. Weil der Vater nicht länger plakative Legende auf Ehrentafeln sein solle, sondern „dreidimensional“. Er habe getötet und Menschen gerettet, er war blinder Hurrapatriot und am Ende doch kein Denunziant, ein notorischer Lügner und Schürzenjäger.

Warum er schließlich das Attentat auf Hitler guthieß? Sie weiß es nicht genau, Hans Georg Klamroths Tagebücher wurden von der Gestapo mitgenommen. In Briefen gibt es nur wenige kryptische Andeutungen. Sie weiß eher, wie er starb. „Hängen wie Schlachtvieh“, wurde angeordnet, langsames Erdrosseln am Fleischerhaken.

Wibke Bruhns raucht, gießt Kaffee nach ins weiße Porzellan. Dort an der Decke, sagt sie, dieser sechsarmige Messingleuchter mit den Kerzen, der hing früher in Halberstadt. Er sei beim Bombenangriff runtergefallen und habe ihre Ostereier zerschlagen. Sie nimmt ihr Buch in die Hand, das erste gedruckte Exemplar. Das Titelfoto zeigt HG im Uniformmantel, an der Hand ein kleines, blondes Mädchen. Dieser nie vorhandene Vater, die stets angestrengte Mutter – das waren früher die Eltern für sie. Es könnte ja sein, dass die intensive Spurensuche Sympathie geweckt hat, Liebe.

Nein, sagt Wibke Bruhns.

 

 

* „Meines Vaters Land – Geschichte einer deutschen Familie“ von Wibke Bruhns erscheint am 16. 2., Econ, 390 Seiten, 22 €.

 

Tagesspiegel 15.02.2004

www.tagesspiegel.de

 

 


 

 

 

 

In der Zeit des Bestehens des sogenannten nationalsozialistischen Volksgerichtshofs vom Juli 1934 bis April 1945 sind von 16.342 Personen 5.243 zum Tode verurteilt worden. 

Erst am 25.1.1985 hat der Deutsche Bundestag die politische Bewertung des Volksgerichtshof durch eine einstimmige Entschließung mit folgender Formulierung vorgenommen: 

"Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass die als `Volksgerichtshof`` bezeichnete Institution kein Gericht im rechtsstaatlichen Sinne, sondern ein Terrorinstrument zur Durchsetzung nationalsozialistischer Willkürherrschaft war.

Den Entscheidungen des `Volksgerichtshofs` kommt nach Überzeugung des Deutschen Bundestages keine Rechtswirkung zu ..."

zitiert nach: "Die Justiz im Dritten Reich"; Peter Müller-Engelmann; in "Rechtspflegerstudien", 2004, Heft 3, S. 80

 

1991, 46 Jahre nach Kriegsende hat der Bundesgerichtshof sich zum Naziunrecht zu Wort gemeldet. Das sagt viel aus - über den Bundesgerichtshof und die dort seinerzeit amtierenden Richter. Vermutlich mussten erst einmal alle heimlichen und in der Justiz der Bundesrepublik Deutschland weiter aktiven NS-Sympathisanten eines natürlichen Todes sterben, ehe sich der Bundesgerichtshof, zu einem deutlichen Wort in der Lage sah. Vorher gab es vielleicht noch zu viel verbindendes, als dass man sich am BGH Kritik erlaubt hätte. Viel lieber räsonierte man wahrscheinlich über den Unrechtsstaat DDR, als über die Leichen im eigenen Keller.

 

Wie beim NS-Unrecht so wird es wohl auch bei der Bewältigung jahrzehntelangen Unrechtes gegenüber Hunderttausenden Vätern in der bundesdeutschen Familiengerichtsbarkeit sein.

1945-1998 fast völlige Verweigerung elementarer elterlicher Rechte für nichtverheiratete Väter. Umgangsrecht wird nur als Gnadenakt gewährt.

1998 - ? Verweigerung der elterlichen Sorge für nichtverheiratete Väter. Väter und Kinder sind abhängig vom Vetorecht der Mutter.

 

Die deutschen Familienrichter sahen jahrzehntelang in ihrer übergroßen Mehrheit zustimmend oder billigend zu und verwendeten in ihren Urteilsbegründungen unter Hinzuziehung männerfeindlicher sexistischer bundesdeutscher oder DDR-Gesetzgebung. Nun ist der Vergleich zu den Todesurteilen der NS-Zeit sicher problematisch. Doch auch der seit 1945 geschehene Zehntausendfache Beziehungstod zwischen Kindern und ihren getrennt lebenden Vätern, der sich bis heute ereignet hat und weiter ereignet, wäre ohne die aktive Mitwirkung von Richterinnen und Richtern nicht zu erklären.

 

 

 


 

 

 

Otto Gritschneder

Furchtbare Richter. Verbrecherische Todesurteile deutscher Kriegsgerichte

Beck'sche Reihe 1272, München 1998

11,7 x 18 cm, 196 Seiten

DM 19,80, öS 145, sFr 19,--

 

 

Leseproben

Angeklagt: der Richter

Genauer: die deutschen Kriegsgerichte während des Zweiten Weltkriegs. In diesen sechs Jahren haben die USA ein kriegsgerichtliches Todesurteil gesprochen, andere Alliierte zwei bis vier, Großbritannien kein einziges, deutsche Wehrmachtsrichter jedoch vermutlich fünfzigtausend, von denen etwa zwanzigtausend vollstreckt wurden, eines der letzten, gegen den zwanzigjährigen Marinefunker Alfred Gail, sogar noch zwei Tage nach der Kapitulation am 10. Mai 1945, an Bord eines Schiffes:

 

Die insgesamt drei Todeskandidaten wurden, nachdem sie aneinandergebunden und ihnen die Augen verbunden worden waren waren, durch eine Salve erschossen; ihre Leichen wurden im Meer versenkt.Das NS-Kriegsgerichtsurteil selbst ist nicht mehr vorhanden, aber ein 121 Schreibmaschinenseiten langes rechtskräftiges Urteil des Schwurgerichts vom 27. Februar 1953 ([50]15/52) schildert den Fall sehr ausführlich. Die drei NS-Kriegsrichter und der Gerichtsherr Petersen freigesprochen. Die Begründung dieses freisprechenden Urteils ist für einen normalen Verstand nicht nachvollziehbar, paßt aber zu den bundesdeutschen Gerichtspraktiken der damaligen Zeit ...

 

Erst ein spätes Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. September 1991 bezeichnete die deutschen Kriegsrichter als „terroristische Gehilfen eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs". In einem weiteren Urteil, vom 16. November 1995, stellte der BGH fest: „Die vom Volksgerichtshof gefällten Todesurteile sind ungesühnt geblieben, keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und Staatsanwälte wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt; ebensowenig Richter der Sondergerichte und der Kriegsgerichte." Diese „Flucht vor der Vergangenheit", vor dem „geradezu geräuschlosen Abgleiten in das NS-Unrechtssystem", wie der frühere Justizminister Engelhard sagte, ist „die Fehlleistung der bundesdeutschen Justiz".

Nun kann man vor diesem massenhaften Unrecht weiterfliehen oder einfach wie Martin Walser wegschauen. Oder aber es deutlich beim Namen nennen wie Otto Gritschneder (siehe das Interview), der sich schon mit „Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf H. Der Hitlerputsch und die Bayerische Justiz" 1990 einen Namen, wenn auch nicht bei all seinen Justizkollegen beliebt gemacht hat. Er hat achtundzwanzig der bisher nirgends archivierten Todesurteile des Kriegsgerichts gesammelt und sie ungekürzt und jeweils mit einem kurzen Kommentar veröffentlicht, zusammen mit anderen Dokumenten und den wichtigsten Abschnitten des Militärstrafgesetzbuchs vom 1940.

Dessen Parapraph 48 bestimmte in aller Deutlichkeit: „Die Strafbarkeit einer Handlung oder Unterlassung ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Täter nach seinem Gewissen oder den Vorschriften sein Religion sein Verhalten für geboten erachtet hat." Der Autor in einer Fußnote dazu:

 

Wegen der sich schon 1939 häufenden Kriegsverweigerer-Todesurteile gegen die Zeugen Jehovas (Ernste Bibelforscher) hat die allmählich verunsicherte Richterschaft des Reichskriegsgerichts wiederholt bei Hitler Vortrag halten dürfen. Die extrem menschenfeindliche und das religiöse Gewissen verachtende Entscheidung des „Führers" hat der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generaloberst Wilhelm Keitel, am 1. Dezember unter dem bezeichnenden Vermerk „Geheim" den Kriegsgerichten und deren Gerichtsherrn mitgeteilt; sie lautet:„Der Führer hat entschieden: Allein in Polen seien mehr als zehntausend anständige Soldaten gefallen, viele tausend Soldaten seien schwer verwundet worden. Wenn er von jedem deutschen Mann, der wehrfähig ist, dieses Opfer fordern müsse, sehe er sich nicht in der Lage, bei ernsthafter Wehrdienstverweigerung Gnade walten zu lassen. Dabei könne kein Unterschied danach gemacht werden, aus welchen Beweggründen der einzelne den Wehrdienst verweigere. Auch Umstände, die sonst strafmildernd in Betracht gezogen würden oder die bei einer Gnadenentscheidung eine Rolle spielen, könnten hier keine Beachtung finden. Wenn also der Wille eines Mannes, der den Wehrdienst verweigere, nicht gebrochen werden könne, müsse das Urteil vollstreckt werden."

 

 

Man muß diese „Entscheidung" vor Augen haben, um die Errungenschaft zu würdigen, daß Religions- und Gewissenfreiheit heute keine „Gnade" mehr sind, sondern ein einklagbares Verfassungsrecht.„Wehrkraftzersetzung" war für die Kriegsrichter vieles, auch Kleinigkeiten wie der Schuß eines Betrunkenen auf ein Hitlerbild, ein hingeworfenes „Schade" nach dem mißglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 oder sogar Gelbsucht (da „fahrlässig zugezogen", also „Selbstverstümmelung"). In der eiskalten Tatbestandssprache jener Juristen verwandelt sich dies alles in ein Verbrechen gegen die hochgehaltene „Manneszucht". Und wehe dem, der „auch in seinem Zivilberuf [Knecht auf einem Bauernhof] für die Volksgemeinschaft wenig geleistet hat und nach den getroffenen Feststellungen als sozial wenig wertvoll angesprochen werden muß": Hier lag die Verhängung der Todesstrafe gleich „in mehrfacher Hinsicht im Sinne der Richtlinien des Führers und obersten Befehlshabers der Wehrmacht von 14. 4. 1940".

 

Zum Unrechtscharakter der Kriegsgerichte gehörte es, daß ihre Urteile einem Nichtjuristen, nämlich dem militärischen Befehlshaber zur Bestätigung oder Ablehnung vorgelegt werden mußten. Die Bundeswehr hat diese Bestimmung aufgegeben: Hier unterstehen auch im Verteidigungsfall die Kriegsgerichte keinem General mehr, sondern gehören nach Artikel 96 Grundgesetz zur Geschäftsordnung des Justizministeriums.

Otto Gritschneder, selbst erfolgreicher Jurist, hat mit diesen achtundzwanzig von Zehntausenden ungesühnter Unrechtsurteile eine außerordentlich verdienstvolle Material- und Quellensammlung vorgelegt. Sie gehört nicht nur allen Geschichtslehrern in die Hand gedrückt, sondern schärft auch jedem politisch Interessierten den Blick für die Bedeutung der Grundwerte in unserer heutigen Verfassung.

http://www.gazette.de/Archiv/Gazette-8-November1998/Leseproben2.html

 

 


 

 

Wo Freislers Nachfolger unbehelligt lebte

Ach, die alten Zeiten

Eine Kleinstadt, das Ministerium, der Verfassungsschutz und die Justiz hielten dicht / Von Ernst Klee Sontra/Hessen

Sontra in Hessen, fünfzehn Kilometer von der deutsch-deutschen Grenze entfernt. Hinter den Fachwerkhäusern der Hauptstraße gedeihen noch Gärten. Der Werbeprospekt des Heimat und Verkehrsvereins über die Landschaft: „Die Pflanzenwelt ist alpin. Im Sommer blühen Orchideen, im Herbst der seltene Enzian . . . Hier kann man noch die heile Welt der Natur erleben."

Im idyllischen Sontra kam 1945, vielleicht auch 1946, ein Mann an, der sich Heinrich Hartmann nannte, in Wahrheit jedoch Harry Haffner hieß. Der Fremde hatte gute Gründe, sich als Heinrich Hartmann zu tarnen: 1944 war er Generalstaatsanwalt von Kattowitz geworden, und in den letzten Kriegswochen hatte ihn Hitler sogar noch zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannt. Haffner war bei seiner Ernennung erst 44 Jahre alt.

Nur wenige wissen, daß der berüchtigte Roland Freisler einen Nachfolger hatte. Daß er untertauchen konnte, blieb mehr als vierzig Jahre ein Geheimnis. In Sontra wußten viele davon. Sie schwiegen und möchten heute noch lieber schweigen als reden.

In einem Geschäft am Marktplatz frage ich, ob sich noch jemand an einen Heinrich Hartmann erinnern könne. Ein strammer Siebziger lacht: „Ach, die alten Zeiten." Er will nichts sagen, gibt aber zugleich zu erkennen, daß er Bescheid weiß. „Er war noch größer als Sie", sagt er. Schließlich wird er gesprächiger: „Der hatte viel Geld und viele Freunde in Hannover. Er wohnte drüben in der Bahnhofsstraße im Hotel Ruelberg. Da haben wir manchen gehoben." Ich frage: „Sie wußten, daß er eigentlich Haffner hieß?" Der alte Herr schaut mich mitleidig an. Ich frage weiter, ob er auch wisse, daß Hartmann/Haffner in Kattowitz und am Volksgerichtshof gewesen sei. Er blickt noch mitleidiger, will aber die Diskussion beenden: „Was man im Suff erzählt, bleibt unter Männern." Ich werfe ein, daß Haffner doch längst tot sei, er also ruhig reden könne. Nein, meint Haffners Mitwisser, er habe Stillschweigen gelobt. Ein Geheimnisträger.

Harry Haffner, am 28. Mai 1900 geboren, hatte nach 1933 Karriere gemacht. Vorgesetzte und Parteiführer förderten ihn wegen seines Eifers. So schrieb 1934 der Celler Generalstaatsanwalt, Haffner habe sich „unter Opferung fast jeder freien Stunde in den Dienst der NSDAP gestellt". Mit 37 Jahren wird er ständiger Vertreter des Generalstaatsanwalts in Kassel, mit 40 hat er den gleichen Posten in Hamm. Mit 43 Jahren wird er Generalstaatsanwalt in Kattowitz (schon 1935 hatte der osthannoversche Gauleiter Telschow seinen Parteigenossen Freisler auf Haffner aufmerksam gemacht).

Am 26. Januar 1944 wird Haffner im Festsaal der Provinzialverwaltung in sein Amt eingeführt. Staatssekretär Klemm läßt in seiner Festansprache keinen Zweifel, was man von dem neuen Mann erwarte: Es sei eine der wichtigsten Aufgaben, „diejenigen Elemente, die dem Nationalsozialismus seinen Weg erschweren oder sich ihm entgegenstellen wollen, zu beseitigen".

Wenige Monate später, am 28. Juni 1944, besuchte Haffner einen Ort, wo solche „Elemente" beseitigt wurden: Auschwitz. In seiner Begleitung waren ranghohe Juristen, darunter der spätere Senatspräsident beim Landessozialgericht in Essen, Dr. Friedrich Caliebe. Im geheimen Reisebericht heißt es: „Auf einer weiteren Verladestelle wurde ein Güterzug mit ungarischen Juden ausgeladen . . . Der Rückweg ins Lager führte an einem Krematorium vorbei."

Harry Haffner mietete 1948 unter seinem Tarnnamen Hartmann einen kleinen Laden in Sontra. Der NS-Jurist widmete sich fortan der Herstellung von Stoffknöpfen, das heißt, er ließ alte Armeeknöpfe mit Stoff überziehen. Später kam die Produktion von Schnallen und Gürteln und die Reparatur von Strümpfen und Handschuhen hinzu. 1953 beschäftigte er immerhin vier Frauen. Ob der ehemalige Generalstaatsanwalt gelegentlich an die Jahre davor gedacht hat? Am 28. Juli 1944 war in Kattowitz ein Pole namens Zdebel hingerichtet worden, weil er sich unter anderem „im Tauschhandel für Gummiband, Knöpfe und Galanteriewaren verschiedene Lebensmittel ohne Bezugsausweis" verschafft hatte.

Die Besitzerin von Haffners ehemaligem Knopfladen will gerade abschließen, um Mittagspause zu machen, als ich komme. Nein, beteuert sie, sie sagt gar nichts. „Haben Sie denn nie mit ihm gesprochen?" frage ich. Ihre Antwort: „Nein, er hat seine Miete gezahlt, das war ja nicht viel, gesprochen haben wir nichts." Ich bin fast schon aus der Tür, da höre ich: „Er lebt ja noch." Die Erklärung, daß Haffner längst tot sei, läßt sie nicht gelten: „Ich weiß, er lebt in Hannover." Freislers Nachfolger ist 1969 gestorben.

Auf dem Rückweg treffe ich den strammen Siebziger auf der Straße. „Na, was machen Ihre Recherchen?" lacht er, wissend, daß hier niemand etwas sagen wird. Wieder läßt er mich spüren, daß er erzählen könnte. „Geld hatte der und Freunde in Hannover", wiederholt er. „Das mit den Knöpfen war doch nur Tarnung."

Der nächste Besuch führt mich zu einer alten Dame, die einen Edeka-Laden führt. Sie hatte Haffner für zwei, drei Jahre eine Wohnung vermietet. Ich spreche mit ihr zwischen Regalen mit Putz und Reinigungsmitteln. Sie kann sich an nichts mehr erinnern, obgleich sie Haffner zumindest einmal besucht hat, nachdem er etwa 1954 von Sontra nach seinem Geburtsort Uslar verzogen war. Ich frage, ob auf der Türschwelle in Uslar der Name Hartmann oder Haffner gestanden habe. Ihre Antwort: „Weiß ich nicht. Wir haben nichts miteinander geredet."

Harry Haffner wollte 1952 nicht länger als Knopfproduzent Hartmann leben, wie einem Brief vom 27. August 1953 an einen Oberstaatsanwalt in Kassel zu entnehmen ist. Auf zwölf Seiten legt Harfner dar, er sei zur NSDAP gekommen, um Deutschland vor dem kommunistischen Chaos zu retten. Nachfolger Freislers sei er geworden, um extreme Kräfte von diesem Posten fernzuhalten. Unter seinem Vorsitz habe es - abgesehen von Abwesenheitsurteilen - nur zwei Verhandlungen gegeben. Dabei sei der Königsberger Oberlandesgerichtspräsident Dr. Dräger, der mit einem Torpedoboot aus der belagerten Stadt geflohen sei, zum Tode verurteilt worden. Mehr könne er nicht sagen: „Das Beratungsgeheimnis verbietet mir, nähere Einzelheiten über den Inhalt der Beratung bekanntzugeben."

In die Illegalität sei er nur deshalb gegangen, weil er fürchtete, an die Polen ausgeliefert und von einem polnischen „Femegericht" grundlos zum Tode verurteilt zu werden. Haffner: „Um endlich den immer untragbarer werdenden seelischen Druck loszuwerden, habe ich am 13. 9.1952 den niedersächsischen Innenminister als den Polizeiminister meines Heimatlandes aufgesucht und meine Verhältnisse in aller Offenheit geschildert. Sowohl in dieser Besprechung als auch in einer Unterredung mit dem Leiter des Amtes für Verfassungsschutz in Hannover vom gleichen Tage habe ich sofort meine Befürchtung wegen der mir drohenden Auslieferung zur Sprache gebracht . . . Mit dem Amt für Verfassungsschutz in Hannover habe ich im Jahr 1953 Fühlung gehalten und mindestens einmal, nämlich im Mai, mit dessen Leiter vorgesprochen." Haffner weiter: „Ich bitte Sie, die in Betracht kommenden Unterlagen vom Verfassungsschutzamt Hannover einzufordern, falls es Ihnen geboten erscheint."

 

Drei Ermittlungsverfahren sind eingestellt worden: Das Verfahren wegen seiner Tätigkeit am Volksgerichtshof und ein Verfahren wegen Beteiligung an der NS-Euthanasie. Daß Haffner unter falschem Namen lebte und falsche Papiere hatte, wurde strafrechtlich nicht geahndet. Freislers Nachfolger soll sich in einem Notstand befunden haben. Die Akten „wegen falscher Namensführung sind 1965 ausgesondert worden".

Von 1954 an bezog Harry Haffner Pension. Er war taktvoll genug, nicht in den Justizdienst zurückzustreben - wie so viele NS-Juristen.

Am Ende meines Tages in Sontra bin ich in ein Cafe gegangen. Gäste mustern mich, wie ich den ganzen Tag schon als Ortsfremder beargwöhnt wurde. Aber der ortsfremde Haffner soll nicht weiter aufgefallen sein.

Etwa acht Jahre hat der Nazi-Jurist in dem Hessenstädtchen nahe der „Zonengrenze" gelebt. Beinahe wäre es Harry Haffner gelungen, zu verheimlichen, daß er Nachfolger Roland Freislers war. Haffner war der Mann, dem Hitler während der letzten Wochen des Naziregimes das Terrorinstrument Volksgerichtshof anvertraute. Bisher wußte die Öffentlichkeit nicht einmal von seiner Existenz. Die eingeweihten Stellen im Ministerium, bei der Justiz und beim niedersächsischen Verfassungsschutz hielten dicht.

http://www.zeit.de/1987/19/Ach-die-alten-Zeiten

 

 


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