Christine Hohmann-Dennhardt


 

 

 

Christine Hohmann-Dennhardt

Richterin am Bundesverfassungsgericht Karlsruhe

(K)ein Herz für Väter?

 

 


 

 

"Grundgedanken zu einer eigenständigen Vertretung von Kindern und Jugendlichen im familiengerichtlichen Verfahren"

Christine Hohmann-Dennhardt

in: "Zentralblatt für Jugendrecht", 3/2001, S. 77-83

 

 

"... Dabei meine ich nicht den Vorsitzenden Richter eines Oberlandesgerichtes (Weychardt - Anm. vaeternotruf.de), der sich veröffentlicht fragt, was er in den letzten 20 Jahren wohl alles übersehen haben mag und was nun ein Anwalt aufgrund welcher Erkenntnisse auch immer als Verfahrenspfleger beschaffen solle, scheint er sich doch mit dieser Frage eher in die Kategorie derjenigen einzureihen, die über den Brillenrand ihrer Profession nicht hinwegblicken wollen. Defizite solcher Art sind schon früher vom Bundesverfassungsgericht mit seiner Kritik an der Ausbildung von Familienrichtern aufgegriffen worden. ..."

 


 

 

 

Christian Gampert

Am Amtsgericht Tübingen hatte Christian Gampert nichtverheirateter Vater geklagt, um die Gemeinsame elterliche Sorge herzustellen. Das Amtsgericht wies die Klage ab. (Beschluss vom 19.5.1999 - 6 F 60/99).

Der Vater klagte daraufhin beim Oberlandesgericht Stuttgart. Dies wies seine Klage ab. Der Vater hat daraufhin Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben, dass am 29.1.03 seine Entscheidung fällte. Der Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 4.4.2001 - XII ZB 3/00 und die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Stuttgart vom 2.12. 1999 - 18 UF 259/99 und des Amtsgerichts Tübingen vom 19.5.199 - 6 F 60/99 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6.

Die Sache wurde an das Oberlandesgericht Stuttgart zurückverwiesen.

 

Peinlich für das damals entscheidende Oberlandesgericht. Muss ein Vater erst zum Bundesverfassungsgericht um selbstverständliche Rechte für sich und sein Kind einzuklagen?

 

 


 

 

Von Pontius zu Pilatus

 

Deutsche Gerichte schicken Vater in die Warteschleife und zum Schluss auf das Abstellgleis

 

Oberlandesgericht Stuttgart verweist nichtverheiratete Väter auf Platznahme an den ihnen vom bundesdeutschen Gesetzgeber zugedachten Katzentisch.

 

 

Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss vom 20.04.2004 - 18 UF 30/2003, veröffentlicht in "Kind-Prax", 4/2004, S. 144 ff.

 

Hier ging es um den Antrag auf gemeinsames Sorgerecht durch einen nichtverheirateten Vater. Der Vater Christian Gampert war mit diesem Anliegen erstmalig am 19.05.1999 vom Amtsgericht Tübingen in die Väterwüste geschickt worden. Das OLG Stuttgart hat sich dem am 2.12.1999 angeschlossen. Der Vater verfolgte daraufhin vor dem Bundesgerichtshof seinen Antrag weiter. Der BGH hat in seiner rechtpolitisch bestürzenden Beschlussfassung vom 04.04.2001 die Beschwerde des Vaters zurückgewiesen. Das daraufhin vom Vater angerufene Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 29.01.03 die angebliche Verfassungsmäßigkeit des §1626a BGB sehen wollen. Wahrscheinlich hatten die entscheidenden Richter/innen an diesem Tag Brillen von Fielmann auf, so dass sie etwas sehen konnten, was andere Menschen, nämlich die betroffenen Väter nicht sehen können.

Das Bundesverfassungsgericht gab dann dem Gesetzgeber auf, eine temporäre Schmalspurvariante für eine streng selektierte Väterpopulation zu schaffen, mit der diese eventuell doch noch in die Lage kämen, das ihnen verfassungsrechtlich zugesicherte Elternrecht wahrnehmen zu können. Dieser Schmalspurvariante hat das OLG Stuttgart erwartungsgemäß ein vorzeitiges faktisches Ende beschieden. Mit dem jetzt getroffenen Beschluss des OLG Stuttgarts dürfte klar sein, dass auch in der selektierten Elternpopulation jede Mutter dem Vater das Sorgerecht verweigern kann, indem sie ganz einfach ordentlich mit ihm streitet. Schade ums Papier, auf dem der Beschluss des OLG Stuttgart gedruckt ist und um die Steuermittel, die der Staat seit Jahren für die juristische Ausgrenzung von Vätern aus dem Fenster wirft.

Der betroffene Vater, sein Sohn ist jetzt 11 Jahre alt, hat jetzt die Möglichkeit gegen die Entscheidung des OLG in die Beschwerde zu gehen.

Verloren hat in dieser rechtspolitischen Tragikkomödie nicht nur der Vater, sondern auch der Rechtsstaat.

 

Väternotruf 13.09.2004

 

 

 


 

 

Kursbuch 155

Neue Rechtsordnung

 

von Christian Gampert

 

Draußen vor der Tür

Das Bundesverfassungsgericht benachteiligt uneheliche Kinder und grenzt ihre Väter aus

 

Seltsame Koalition von Feminismus und Konservativismus: das Bundesverfassungsgericht feiert die „biologische Verbundenheit“ zwischen Mutter und Kind und grenzt den unehelichen Vater aus

 

 

 

Der Tag liegt bereits einige Zeit zurück. Im Januar 2003 sprach das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Urteil, das zunächst wenig beachtet wurde, das aber noch für Furore sorgen wird – auf höchst negative Weise: es wird die Bundesrepublik auf dem Gebiet des Kindschaftsrechts in Europa isolieren, es wird den nichtehelichen Kindern Schaden zufügen - und es wird das Verfassungsgericht selbst wegen seiner parteiischen Arbeitsweise und seiner antidemokratischen Argumentation nachhaltig beschädigen.

Das Gericht hatte über die Frage zu befinden, ob die Beteiligung unehelicher Väter am Sorgerecht für ihre Kinder allein dem Gutdünken der Mutter zu überlassen sei oder ob diese (seit 1998 geltende) Regelung dem Grundgesetz widerspreche. Das Problem stellt sich mit besonderer Dringlichkeit, weil die Zahl der verheirateten Eltern in Deutschland kontinuierlich sinkt (von 13 Millionen im Jahr 1996 auf 12,15 Millionen 2001), während die Anzahl der nichtehelichen Familien stark zunimmt (von 650000 auf 821000 im gleichen Zeitraum, ein Anstieg um über 26%). Verlässliche Zahlen über die Bereitschaft der Mütter, das Sorgerecht zu teilen, liegen nicht vor – und bezeichnenderweise hatte das Verfassungsgericht keinerlei Zahlenmaterial über die aktuelle Lebenssituation unehelicher Kinder erheben lassen, obwohl dazu genügend Zeit gewesen wäre. Die Klagen lagen bereits Jahren auf dem Tisch.

Bekannt war lediglich die Recherche des Frankfurter Familienanwalts Peter Finger, der hessische Standes- und Jugendämter befragt hatte. Nach seinen Erkenntnissen stimmen mehr als die Hälfte der unehelichen Mütter einem Sorgerechtsantrag des Vaters nicht zu. Das Kindschaftsrecht ist auf ihrer Seite: sind die Eltern bei Geburt des Kindes nicht verheiratet (was nach allem Anschein nicht Schuld des Kindes ist), so hat die Mutter das alleinige Sorgerecht. Zwar kann sie den Vater an der elterlichen Sorge beteiligen. Will sie das nicht, dann bleibt das Sorgerecht – und das heißt: die Erziehungsberechtigung für das Kind, die Wahl seines Namens, seiner Religion, der Schullaufbahn und der medizinischen Versorgung, die Bestimmung seines Umgangs und vor allem: seines Aufenthaltsorts - allein bei ihr.

Diese Regelung trat mit dem neuen Kindschaftsrecht im Juli 1998 in Kraft und wurde damals als großer Fortschritt gepriesen; vorher war ein gemeinsames Sorgerecht für uneheliche Kinder überhaupt nicht möglich. Dabei schreibt auch die Neuregelung nur jenes Klischee fort, das seit Bestehen der Bundesrepublik die Köpfe von Juristen, Politikern und psychologischen Gutachtern benebelt: die Frau gilt als armes, beschützenswertes Wesen, der Mann als einer, der hauptsächlich seinen Spaß will. Soziologisch sind diese Vorurteile seit langem überholt; eine emanzipierte Frauengeneration möchte eigentlich nicht mehr wie ein gefallenes Mädchen behandelt werden, das der besonderen juristischen Fürsorge bedarf. Und daß der uneheliche Vater sich um sein Kind nicht kümmere, ist schon seit der APO-Zeit eine fromme Lüge: er bemüht sich, allen vorliegenden Studien zufolge, weitaus mehr als seine verheirateten Kollegen - wenn er mit der Mutter zusammenlebt. Betrachtet die Frau dagegen das Kind als ihr Eigentum, aus welchen Motiven auch immer, dann muß er leider draußen bleiben, draußen vor der Tür.

Das Bundesverfassungsgericht hätte nun prüfen müssen, ob diese Bestimmung das vom Grundgesetz als verbindlich gesetzte Gleichheitsgebot zwischen Mann und Frau verletzt (was offensichtlich der Fall ist) und ob durch das Kindschaftsrecht eine Benachteiligung nichtehelicher Kinder gegenüber den ehelichen gegeben ist (was ebenfalls kaum übersehen werden kann). Das Gericht hat das mitnichten getan, sondern sich am Problem vorbeigemogelt – indem es eine Frage beantwortet, die man ihm gar nicht gestellt hatte: die Mutter, so sagen die Richter, sei die einzige sichere Bezugsperson, die das Kind bei seiner Geburt vorfinde. Deshalb sei es legitim, ihr allein die rechtliche Verantwortung zu übertragen.

Das ist bauernschlau gedacht, mag in diversen Fällen auch zutreffen (exakt sind es 17%), wirft aber die Frage auf: was ist mit jener übergroßen Mehrheit unehelicher Kinder, die bei ihrer Geburt Vater und Mutter in freudiger Zweisamkeit vorfinden? Immerhin sind das über 80%. Warum muß deren Mutter ein Sorgerecht „gewähren“, warum kann der Vater es nicht ganz von selbst erlangen, zum Beispiel durch Anerkennung des Kindes? Das Verfassungsgericht gibt darauf eine Antwort, die auf sehr alte und sehr ungute Traditionen zurückgreift: es sei die „biologische Verbundenheit“, die schon während der Schwangerschaft eine besondere Beziehung zwischen Mutter und Kind etabliere und das Sorgerecht begründe. Der Vater dagegen trete von außen hinzu und müsse eine Beziehung erst nach der Geburt aufbauen.

Hier wird also mit matriarchaler Impertinenz genau das als Begründung herangezogen, was das Grundgesetz gerade verbietet: der Mutter entsteht aus ihrer Geschlechtszugehörigkeit ein rechtlicher Vorteil. Man denke das Argument konsequent weiter: wäre in der Optik des Bundesverfassungsgerichts nicht auch ein anderes biologisches Merkmal - etwa die Hautfarbe - geeignet, besondere Rechte zu begründen? Oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse? Der Nachweis eines besonderen Stammbaums? Fragen, die man von diesen Richtern lieber nicht beantwortet sähe.

Uneheliche Kindern haben in der Argumentation des höchsten deutschen Gerichts kein Recht auf einen Vater, sondern nur auf den mütterlichen Elternteil. Daß auch dies einer der ersten und wichtigsten Bestimmungen des Grundgesetzes (dem Artikel 6.5, der die rechtliche Gleichstellung unehelicher Kinder regelt) ostentativ widerspricht, ist dem Gericht offenbar gleichgültig. Es will den Vater nur als Zahlemann. Dabei bewegt sich das (von allen Bundestags-Parteien 1998 abgesegnete) Gesetzeswerk des Kindschaftsrechts in einer klassischen Tautologie: Das uneheliche Kind kann - ohne die Zustimmung der Mutter - zu seinem Vater nicht in eine rechtlich abgesicherte Beziehung treten und dieser nicht zu ihm. Der Vater kann somit auch das Interesse des Kindes, einen Vater zu haben, vor Gericht nicht vertreten, weil er ja kein Sorgerecht hat und deshalb für das Kind nicht sprechen darf. Um das Sorgerecht zu erlangen, müßte er wiederum Einsatz zeigen, sich um das Kind bemühen, es betreuen – was die Mutter unter Angabe auch fadenscheinigster Gründe verhindern kann. Ein Familiengericht, das eine Mutter wegen dauerhafter Vereitelung des väterlichen Umgangsrechts verurteilt, muß in Deutschland mit der Lupe gesucht werden.

 

Es ist also nicht die Sorge um die Einhaltung der Verfassung, die das Bundesverfassungsgericht bewegt – es sind ganz andere Maximen, die sich im Grundgesetz so gar nicht finden lassen. Eine davon heißt: nur kein Streit! Vater und Mutter müssen sich einig sein, dann ist alles in Ordnung, dann gibt es auch das Sorgerecht. Streit aber hält das BVG für das Furchtbarste, das Odiöseste auch für die Kinder.

Nun gibt es keinen Paragraphen des Grundgesetzes, der Streit verbietet. Im Gegenteil: der publizistische und politische, der demokratische Streit der Meinungen wird allgemein als das Movens dieser Gesellschaft betrachtet. In der Privatsphäre ist der Streit zwischen Einzelnen, zwischen Eltern zumal sicherlich nichts Schönes, er scheint jedoch öfter vorzukommen. Die Justiz aber ist nicht dazu da, Streit zu vermeiden, sondern Streitfälle zu entscheiden. Das tut sie ja auch dauernd: zum Beispiel werden ständig Ehen geschieden. Nach 5 Ehejahren sind in der Bundesrepublik Deutschland 9,35 % der Ehen vor einem Familiengericht wieder beendet (Zahlen von 2001). Nach 7 Ehejahren sind 15%, nach 10 Ehejahren 21,5% der Ehen geschieden. Die reale Trennung, die auch die ehelichen Kinder traumatisiert, findet meist Jahre vor der juristischen Scheidung statt. Insgesamt schwankt die Scheidungsquote, das Verhältnis von geschiedenen zu neugeschlossenen Ehen, in den letzten Jahren zwischen unfaßbaren 41% und noch unfaßbareren 46%. Es gibt also keinen Grund, mit Verachtung auf die angeblich instabilen und „ungeregelten“ nichtehelichen Beziehungen zu schauen – vor allem, wenn man sich die gerade in der politischen Klasse verbreitete sogenannte „sequentielle Monogamie“ vor Augen führt: allein Kanzler und Vizekanzler dieser Republik bringen es auf zusammen 8 Ehen, Ende auf der Fischer-Skala nach oben offen. Wieso soll das moralisch hochwertiger sein als das Zusammenleben nichtehelicher Paare, die sich, im Gegensatz zu den meisten Vertretern der politischen Klasse, um ihre Kinder tatsächlich kümmern?

Rund 20 % aller Geburten waren 1998 in der Bundesrepublik unehelich, 2002 waren es schon 25%. Das sind Entwicklungen, die das höchste deutsche Gericht völlig kalt lassen. Eine Partei, die bei der Bundestagswahl ein Viertel der Stimmen bekäme, würde man wohl kaum als Minderheitspartei betrachten. Das Verfassungsgericht hält eine derart große Personengruppe nicht für relevant: ohne jede genauere Erforschung der sozialen Realität nimmt es als Regelfall an: diese Kinder haben keinen Vater. Rechtlich bekommen sie deshalb nur einen, wenn die Mutter ihn zuläßt. Daß das uneheliche Kind, genau wie das eheliche, von vornherein einen Anspruch auf Vater und Mutter hat, auf die Doppelsicherung, auf gleichberechtigte Eltern, damit im Konfliktfall fair und auf gleicher Augenhöhe entschieden werden kann - das ist ein Gedankengang, der den Verfassungsrichtern so fremd ist wie die Texte der französischen Aufklärung, Freuds Kulturtheorie oder die psychoanalytische Traumaforschung.

Eine unterentwickelte Vorstellungsgabe hindert die Richter auch zu sehen, daß das (vertikale) Verhältnis des Kindes zu Vater und Mutter geschützt werden muß und nicht die (gleichberechtigte) Beziehung der Eltern untereinander. Die haben die freie Wahl, ob sie ihr Verhältnis fortsetzen, beenden oder auch durch Eheschließung verrechtlichen wollen, und der Staat hat in die sogenannte Ausgestaltung des Privatlebens nicht hereinzureden. Natürlich ist es wünschenswert, daß die Eltern sich verstehen; offenbar kann man für ein Kind aber auch ohne Heiratsurkunde dauerhaft gemeinsam verantwortlich sein. Doch egal, welche Lebensform Vater und Mutter gewählt haben - die Gleichberechtigung der Elternteile gegenüber dem Kind muß gewahrt sein. Sonst kann im Streitfall keine Entscheidung getroffen werden.

Denn die potentielle Trennung der Eltern ist der Punkt, an dem das Kindschaftsrecht sich bewähren muß. Statistisch ist sie (leider) sogar ziemlich wahrscheinlich. Bei schönem Wetter und ständigem Honeymoon ist das Sorgerecht nicht wichtig, denn den Kindern geht es gut; kommt es aber zum Offenbarungseid, so sollte auch den unehelichen Kindern das zustehen, was die ehelichen schon lange haben: ein faires familienrechtliches Verfahren mit einer Entscheidung, wo sie am besten aufgehoben sind – beim Vater, bei der Mutter oder bei beiden.

Das Verfassungsgericht aber will eine solche Einzelfallprüfung für die Unehelichen um jeden Preis vermeiden. Es will den angeblichen Qualitätsunterschied von Ehe und Nicht-Ehe juristisch retten – zu Lasten der betroffenen Kinder. Es ist unfähig zu sehen, daß aus Streit, bei allen damit verbundenen Belastungen, auch produktive Lösungen entstehen können. Deshalb favorisiert es - in einer immer komplizierter werdenden gesellschaftlichen Situation - die obrigkeitsstaatliche Lösung, die da besagt: uneheliche Kinder gehören zur Mutter. Im Klartext heißt das: für eheliche Kinder nur das Beste; bei unehelichen wird auch die möglicherweise schlechtere Lösung in Kauf genommen. Der antidemokratische Affekt, der in dieser Argumentation mitschwingt, ist schwerlich zu übersehen.

 

Werfen wir einen kurzen Blick auf die merkwürdige gesellschaftliche Allianz, die solch absurde Lösungen favorisiert: es ist die unheilige Koalition aus Feminismus und Konservativismus, ein spezifisch deutsches Phänomen, von dem die im Kindschaftsrecht weitaus fortschrittlicheren romanischen Länder Italien und Frankreich bislang verschont blieben. Ihre Vertreter sind nicht nur dubiose Gruppen wie der „Verband alleinerziehender Mütter und Väter“, ein reiner Mutter-Club, der schon im Titel Etikettenschwindel betreibt, den Notfall des Alleinerziehenden-Daseins in seinen „Tipps und Informationen“ als wünschenswerte Lebensform darstellt („die schönste, die ich bisher erlebt habe“) und nichtsdestotrotz von der Bundesregierung finanziell gefördert wird. Ihre Vertreter sitzen auch im Bundesverfassungsgericht selbst: der Vorsitzende Richter Hans-Jürgen Papier ist bekennendes CSU-Mitglied und einer jener kirchentreuen Konservativen, die auch das staatliche Institut der Ehe um jeden Preis verteidigen; die frauenbewegte Berichterstatterin des Verfahrens, die Verfasssungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt, war vorher Ministerin in Hessen und ist auf dem SPD-Quoten-Ticket zu ihrem Posten gekommen. Ihre Haltung ließ am wenigsten Verständnis für die Problematik von Trennungskindern erwarten: Frauschaftsrecht statt Kindschaftsrecht.

Diese austauschbaren Platzhalter sind freilich eher Symptome denn Antreiber einer gesellschaftlichen Bewegung, die mit angeblich hehren Motiven das Falsche tut. Legen wir die Verfassungsrichter ein bißchen auf die Couch und betrachten wir, auf welchem ideologischen Boden ihre Urteilsbegründung gewachsen ist.

Über die Haltung der katholischen Kirche zu Ehe und Familie braucht wenig gesagt werden. Wohl aber über die matriarchalen Vorstellungswelten und Traditionen, in denen das Verfassungsgericht sich bewegt und die auf jene reformpädagogisch-feministische Bewegung zurückgehen, die von der Schwedin Ellen Key 1902 mit dem Traktat „Das Jahrhundert des Kindes“ angestoßen wurde. Auch für Key steht die besondere „biologische Verbundenheit“ von Mutter und Kind im Mittelpunkt; nur legt sie noch ein bißchen Eugenik, Pädagogik und Sozialismus drauf. In der von ihr angestreben gesellschaftlichen Renaissance soll ein neuer, ein höherer Typus Mensch entstehen, und natürlich ist die Mutter als Gebärende Trägerin des Fortschritts. Und in einer wilden Mischung aus Nietzsche, Sozialismus und Sozialdarwinismus wünscht Key um die Jahrhundertwende nicht nur die fällige erotische Emanzipation des Weibes, sie fordert auch Bezahlung für Hausarbeit und Erziehung und, ganz nebenbei, die „eugenisch verantwortungsvolle Partnerwahl“.

/Key wollte die Gesellschaft entlang der mütterlichen Linie, matrilinear organisieren. Die heutige rechtliche Lage alleinerziehender Frauen ist nicht so weit davon entfernt: sie geben den Kindern ihre Namen - und fühlen sich als Träger einer fortschrittlichen, wenngleich bei Bedarf gern Mitleid heischenden und durch allerlei Erziehungsgelder und staatliche Beihilfen erst ermöglichten Lebensform./

Ellen Key hatte berühmte Vorredner: Friedrich Engels zum Beispiel, August Bebel oder Johann Jakob Bachofen. Engels begeisterte sich in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ fast mit denselben Worten wie unsere heutigen Verfassungsrichter für die Mutter als den einzig „sicheren“ Elternteil („Pater semper incertus est“) - und für die promisken matriarchalen Urgesellschaften, die er für kommunistisch hielt. Erst mit der verwerflichen Akkumulation von Privateigentum in den Händen böser Väter habe das ganze Unglück dann begonnen. Nun, Engels konnte vom Neuen Markt mit seinen eisig lächelnden Brokerinnen noch nichts wissen, ebensowenig wie von den Schriften Sigmund Freuds, seinem „Mann Moses“ und den im Sinne des kulturellen Fortschritts nicht nur unheilsamen Wirkungen von Monotheismus und Patriarchat. Auch die psychologischen Mechanismen der Triangulierung waren ihm noch nicht bekannt – die simple Einsicht, daß das Kind den Vater braucht, um sich aus der (auch bedrohlichen) Symbiose mit der Mutter zu lösen und Selbständigkeit zu gewinnen. Heutige Verfassungsrichter hätten da (theoretisch) ungleich bessere Orientierungsmöglichkeiten.

Stattdessen huldigen die Richter einer neuen heiligen Kuh, der unehelichen Mutter, deren Seligsprechung sie für ihre vornehmste Aufgabe halten. Sie formulieren nur etwas vorsichtiger als Mitte des 19. Jahrhunderts der Basler Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen („Das Mutterrecht“), von Haus aus ebenfalls ein Jurist, der die Gynaikokratie, die Herrschaft der Frauen als erste Stufe der Weltgeschichte annimmt und das Weib wegen seiner Sexualität, aber vor allem wegen seiner Gebärfähigkeit als besonders naturnah und sinnlich mythologisiert. Fruchtbarkeits-Göttinnen wiesen ihm den Weg.... In einem zweiten Argumentations-Schritt halten es die Verfassungsrichter dann eher mit dem patriarchalen Christentum, in dem das Weib eine Stufe tiefer rangiert, zwar nicht mehr göttlich, aber immerhin noch Mutter Gottes. In der richterlichen Imagination ist die uneheliche Mutter ganz offensichtlich immer noch die Jungfrau, die zum Kinde kam. Deshalb gibt es rechtlich auch keinen Vater: Gottvater Staat bleibt erst einmal unsichtbar, und nur durch eine großzügige Laune der ledigen Sorgerechtsträgerin kann ein heiliger Josef zugelassen werden. Er darf aber nicht zuviel zu sagen haben, das würde die innige, die „biologische“ Verbundenheit zwischen Mutter und Kind stören.

/Das Problem ist nur, daß die unehelichen Kinder von heute weder gekreuzigt werden noch zum Himmel auffahren wollen, sondern einfach Verhältnisse brauchen, die ihnen eine gewisse Lebenstüchtigkeit ermöglichen. Ein Vater könnte da ganz hilfreich sein, ob ehelich oder nicht./

 

Selten ist in einem Verfassungsgerichts-Urteil so unseriös mit Zahlenmaterial umgegangen worden wie in jenem zum Kindschaftsrecht (die Daten der vom Gericht herangezogenen Vaskovics-Studie sind 10 Jahre alt, und die von ihm zitierten amerikanischen Untersuchungen basieren auf ganz anderen Rechtverhältnissen); selten wurde ohne Überprüfung sozialer Fakten dem Gesetzgeber so bereitwillig ein Blankoscheck ausgestellt. „Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen“, so schreibt die feministisch engagierte Berichterstatterin Christine Hohmann-Dennhardt in ihrem Urteil, „daß eine Mutter, gerade wenn sie mit dem Vater und dem Kind zusammenlebt, sich nur ausnahmsweise und nur dann dem Wunsch des Vaters nach einer gemeinsamen Sorge verweigert, wenn sie dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden, daß sie also die Möglichkeit der Verweigerung einer Sorgeerklärung nicht etwa als Machtposition gegenüber dem Vater mißbraucht.“

Woher wissen die Richter das? Woher dieses vorauseilende Vertrauen? Wieso durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, daß lauter selbstlose, unneurotische, von ihrer Lage überhaupt nicht überforderte, nie quengelnde und streitende, von keinen Geldsorgen gebeutelte, ausschließlich am Kindeswohl orientierte uneheliche Mütter (die oft gerade mal volljährig sind) ihr Monopol gegenüber dem Vater nicht ausnutzen? Welche sozialen Erhebungen gibt es darüber? Immerhin ist das Gesetz 5 Jahre in Kraft. Verlegenes Schweigen des Gerichts: es gibt keine Erhebungen. Man hat keine bestellt. Man hat keine gewollt. Und jeder weiß: einen Teufel werden die betroffenen Frauen tun. Sie können für ein gemeinsames Sorgerecht Forderungen stellen: heirate mich, finanzier mir eine Ausbildung, zahl mir ein Auto, sonst.... Sie werden, bei nicht ausreichend gesichertem Wohlbefinden, bei narzißtischen Kränkungen, bei länger dauernden Konflikten „ihr“ Kind packen und ausziehen. Sie werden das Sorgerecht nicht teilen, und es wird familiengerichtlich nie überprüft werden können, ob bei einer Trennung nicht der Vater die adäquatere Bezugsperson gewesen wäre, die dem Kind die besseren Entwicklungsmöglichkeiten geboten hätte. Es wird einfach bei der Dikatatur der unehelichen Mutter bleiben - da es kein gemeinsames Sorgerecht gibt, kann man es nach einer Trennung auch nicht beibehalten. Bei Ehescheidungen ist das gemeinsame Sorgerecht jetzt die vernünftige Regel, um dem Kind einen Kontakt zu beiden Eltern zu ermöglichen.

Die Unterstellung des Gesetzgebers, daß die uneheliche Mutter immer und unter allen Umständen die bessere Erziehungsperson sei, ist aber offenkundiger Unsinn. Das Bundesverfassungsgericht fördert diese skurrile Perspektive. Es scheint, als produziere das neue Kindschaftsrecht, im Sinne einer ziemlich schrägen Self-Fullfilling Prophecy, genau das, was man angeblich immer vermeiden wollte und hinterher dann lautstark beklagt: weil die uneheliche Mutter das alleinige Sorgerecht hat, gibt es später so viele abwesende Väter und eine oft von der Sozialhilfe abhängige Masse alleinerziehender Frauen. Entscheidend ist: der uneheliche Vater, der für seine Kinder tatsächlich sorgen möchte, ist nach gegenwärtiger Gesetzeslage daran gehindert. Schon in der unehelichen Familie ist er rechtlich eine Figur zweiten Ranges; nach einer Trennung bleibt ihm meist nur eine traurige Existenz als Wochenend-Onkel, wenn überhaupt.

Um sich aus einer verfassungspolitischen Klemme zu hieven, hat das Gericht allerdings eine Übergangsregelung für sogenannte Altfälle angemahnt. Das sind jene Paare, die sich vor 1998, also vor Inkrafttreten des neuen Kindschaftsrechts getrennt haben und also gar keine Möglichkeit hatten, ein gemeinsames Sorgerecht zu begründen. Für diese Fälle hat die politisch blasse, aber ebenfalls der sozialdemokratischen Frauenlobby angehörige Justizministerin Brigitte Zypries nun ein Gesetz gebastelt, nach dem die betroffenen unehelichen Väter vor Gericht um Beteiligung am Sorgerecht nachsuchen dürfen – und beweisen müssen, dass sie dessen auch würdig sind. Führt die Mutter Gegenargumente an, dann besteht „Uneinigkeit“; das ist schlecht fürs Kind – und der Vater ist wieder draußen. Kein Mensch wird auf diese Weise das gemeinsame Sorgerecht erlangen – warum sollte eine bereits getrennt lebende Mutter ihr Monopol aufgeben? Das von der Klientelministerin Zypries auf den Weg gebrachte Gesetz führt nun selbst unter den unterprivilegierten unehelichen Vätern eine neue Zweiklassengesellschaft ein: die vor 98 getrennten, die jetzt einen (aussichtslosen) Antrag auf gemeinsame Sorge stellen dürfen, und die nach 98 getrennten, denen selbst diese Möglichkeit verwehrt ist. In solche Widersprüche verwickelt sich, wer das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes außer Kraft setzt.

 

Die Affäre um das Kindschaftsrecht offenbart ein Manko des bundesdeutschen politischen Systems, das immer gravierender wird: eine Gewaltenteilung findet kaum noch statt. Die Parteien selbst nämlich kungeln die Besetzung von Verfassungsrichter-Posten unter sich aus – in der Hoffnung auf wohlgefällige Urteile. Diese Hoffnung erfüllt sich nicht immer, aber doch erstaunlich oft. So wurde 1998 die Klage der PDS gegen den Kosovo-Krieg gar nicht erst angenommen, obwohl jedes Kind sehen konnte, dass es sich um einen vom Grundgesetz verbotenen Angriffskrieg handelte. Es mag in der Perspektive der Regierung Gründe für diesen Krieg gegeben haben – aber das höchste Gericht hat über die Verfassungstreue zu wachen und nicht politischen Gehorsam zu leisten. Wahrscheinlich war einfach der Absender der Klage nicht genehm.

Bei der personellen Ausstattung des Gerichts fällt auf, dass hier ein heiteres Bäumchen-wechsle-dich von der Legislative in die Exekutive und dann in die Jurisdiction stattfindet – und in manchen Fällen auch wieder zurück. Der frühere baden-württembergische Innenminister Roman Herzog saß als Verfassungsrichter über Sachverhalte zu Gericht, für die er sich als Politiker verwendet hatte. Dann wurde er Bundespräsident. Der jetzige Vorsitzende des Ersten Senats, Hans-Jürgen Papier, arbeitete vorher für die Bundesregierung. Die Abgeordnete Herta Däubler-Gmelin, die am Zustandekommen des neuen Kindschaftsrechts maßgeblich beteiligt war, sollte vor der 98iger-Bundestagswahl ins Verfassungsgericht weggelobt werden, was damals am Einspruch Wolfgang Schäubles scheiterte. Dann wurde sie Justizministerin und verteidigte vehement jenes Kindschaftsrecht, über das sie als Verfassungsrichterin hätte urteilen müssen. Statt ihrer kam nun Christine Hohmann-Dennhardt ins Amt – eine in Fragen des Kindschaftsrechts vielfach befangene Frau, die mit dem Frankfurter Jura-Professor Ludwig Salgo, Deutschlands einflussreichstem Mütter-Lobbyisten, seit ihrer Studienzeit eng vertraut ist. Die Spuren davon finden sich bis ins jüngste Urteil - zum Beispiel das Argumentieren mit (auf ganz anderen gesellschaftlichen Verhältnissen beruhenden) amerikanischen Studien, die dann angeblich die Unangemessenheit des gemeinsamen Sorgerechts beweisen. Salgo ist ein Spezialist für amerikanisches Recht.

Die Gewaltenteilung dieses Landes funktioniert nicht. Deutschland macht teilweise den Eindruck einer Bundesbananenrepublik: die politische Klasse urteilt über sich selbst. Und diese Klasse besteht mittlerweile zu einem guten Teil aus Frauen. Bestimmte Entwicklungen sind dann zwar verständlich, aber deshalb noch nicht legitim: so mag man das Kindschaftsrechts-Urteil als verspätete Überreaktion gegen paternalistische Gesetze lesen, wie sie im römischen Recht festgelegt waren, im deutschen Mittelalter als väterliche Vormundschaft und Heiratszwang (wie noch in den heutigen islamischen Gesellschaften) zum Ausdruck kamen, sich bis ins 1896 vom Reichstag beschlossene Bürgerliche Gesetzbuch in der väterlichen Familiengewalt fortzeugten und selbst in den Anfängen der Bundesrepublik ziemlich schlimme Wirkungen zeitigten: noch 1957, unter Adenauer, gab es den sogenannten „Stichentscheid“ des Vaters bei Uneinigkeit der Eheleute, erst 1979 wurde er abgeschafft.

Das alles rechtfertigt jedoch nicht, nun im Gegenzug die Prinzipien der Aufklärung zu verraten und das Grundgesetz zu beugen. Die Verfassungsrichter stellen ein Grundrecht zur Disposition einer Einzelperson, der unehelichen Mutter, und nehmen im Sinne der Streitvermeidung in Kauf, dass eine gesellschaftlich relevante Minderheit quasi rechtlos ist, die unehelichen Väter und ihre Kinder nämlich. Gibt es eine lautstärkere verfassungspolitische Bankrotterklärung?

 

Das Karlsruher Urteil wird nun den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg beschäftigen, und der wird ganz anders entscheiden. Es gelten dann die Regeln der UNO-Kinderrechtskonvention und deutlich liberalere Standards, etwa die aus Frankreich oder Italien, in denen unehelichen Vätern ein direkter Zugang zum gemeinsamen Sorgerecht möglich ist. Die Bundesrepublik könnte sogar als Menschenrechtsverletzerin verurteilt werden.

Es wäre weise, wenn die politische Klasse bereits jetzt mit den Vorarbeiten für ein neues Kindschaftsrecht begänne, das sie nach einem Straßburger Urteil sowieso wird umgestalten müssen. Der Berliner Psychoanalytiker Horst Petri (und nicht nur er) hat die Folgen der Vaterentbehrung minutiös beschrieben – der Gesetzgeber wäre gut beraten, dieses Mal den Fachleuten mehr Vertrauen zu schenken als den ledigen Müttern und ihrer Lobby.

 

 

 

Kursbuch

Rowohlt Berlin

ISBN 3-87 134-147-9

Telefon Verlag: 030 / 2853840

 

 


 

 

 

"Der entmachtete Vater"

Christian Gampert

Auszug aus Kursbuch 140 "Väter", Rowohlt, Juni 2000, Seite 161-169  

Christian Gampert

Auszug aus Kursbuch 140 "Väter", Rowohlt, Juni 2000, Seite 161-169

 

»Aber diese Wendung von der Mutter zum Vater bezeichnet überdies einen Sieg der Geistigkeit über die Sinnlichkeit, also einen Kulturfortschritt, denn die Mutterschaft ist durch das Zeugnis der Sinne erwiesen, während die Vaterschaft eine Annahme ist, auf einen Schluß und eine Voraussetzung aufgebaut. Die Parteinahme, die den Denkvorgang über die sinnliche Wahrnehmung erhebt, bewährt sich als ein folgenschwerer Schritt.«

Sigmund Freud, »Der Mann Moses und die monotheistische Religion«

 

Aus der Frauenbewegung stammt die Behauptung, dass wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben. Der Begriff ist so sehr in das allgemeine Bewusstsein eingesickert, dass mittlerweile Politiker und Amtsträger nicht müde werden, sich selbst öffentlich zu geißeln und auf die Verderbtheit des männlichen Wesens an sich hinzuweisen. Es ist chic, gegen Männer zu sein, auch wenn man selber einer ist. Männer sind böse, geil und gewalttätig, eine Art Irrtum der Schöpfung. Man muss sie umerziehen.

 

Diese Litanei ist umso erstaunlicher, als ein Blick in die soziologische Literatur wie in den Alltag etwas Anderes lehrt: der Pater familias existiert nicht mehr. Vielleicht gibt es ihn noch in der Türkei, in Spanien, in Griechenland. In der Bundesrepublik gehen die meisten Väter (sofern sie nicht arbeitslos sind) tagsüber einem Job nach, in dem sie wenig zu sagen haben, und sie kehren abends in eine Familie zurück, in der sie als Randfiguren noch viel weniger zu sagen haben. Dies quer durch alle Schichten, Altersgruppen und Einkommensklassen - in der Familie bestimmt die Frau.

 

Die Entwertung der Vaterfigur ist, wie so vieles in der Bundesrepublik, eine Folge des Nationalsozialismus. Wer nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, hatte wahlweise einen Täter oder einen Mitläufer zum Vater; günstigstenfalls war der Vater zu jung und nur Flakhelfer gewesen. Phantomväter waren sie alle, merkwürdige Schatten ihrer selbst. Die antiautoritären Versuche der 68er, die nun besonders verständnisvolle und interessierte Väter sein wollten, wurden von den Kindern auch nicht gerade bejubelt: die Nachgeborenen übten Nachsicht mit den progressiven Menschen, die sich so um sie bemühten. Heute, endlich, hätte zum ersten Mal eine Elterngeneration die Möglichkeit, halbwegs unbehelligt von politischen Traumata sich um ihre Kinder zu kümmern - aber nun tobt der Geschlechterkampf. Man streitet nicht nur in Beziehung und Familie sondern konkurriert auch um Arbeitsplätze und Arbeitszeiten. Wer darf wann und warum arbeiten, das ist die Frage. Mit der Folge, dass der stockdumme Pantoffelvater konventioneller Moralität halbwegs überleben wird (denn die Frau bleibt zu Hause), der postkonventionelle uneheliche Vater aber, der gegenüber seinen Kindern per se keinerlei Rechte hat, nun vollends zur Karikatur gerät.

 

An der rechtlichen Situation unehelicher Väter lässt sich schön veranschaulichen, welche Wichtigkeit die politischen Parteien der Vaterrolle überhaupt beimessen: keine. Am 1. Juli 1998 trat nach fünfzehnjährigem (!) Tauziehen und nach mehrmaligen Ermahnungen durch das Bundesverfassungsgericht ein neues Kindschaftsrecht in Kraft, das von einer großen Koalition quer durch alle Bundestagsparteien abgesegnet worden war. Der damalige Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) behauptete kühn, das neue Gesetz sorge endlich für die Gleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern 1, und seine Nachfolgerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) findet das Gesetz auch ganz toll. Die neue Regelung entpuppte sich aber sehr schnell als Fortschreibung jener verfassungswidrigen Situation, die doch gerade bereinigt werden sollte.

 

Der Pferdefuß ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen: ein gemeinsames Sorgerecht für die sogenannten unehelichen Eltern ist schon möglich - Gedankenstrich: wenn die Mutter dem zustimmt. Sagt sie nein, bleibt das Sorgerecht allein bei ihr. Das heißt: Die Frau als offenbar höher gestelltes Wesen entscheidet, ob das Kind einen Vater haben darf oder nicht. Das ist nicht nur vom Kind aus gesehen absurd, denn natürlich hat das uneheliche Kind ebenso wie das eheliche einen Anspruch auf Vater und Mutter; es ist auch demokratietheoretisch höchst bedenklich, weil hier Staatsbürger zweierlei Rechts konstruiert werden. Begründen lässt sich das nur mit einer biologistischen Argumentation, die das Grundgesetz aber sehr deutlich verbietet. 2

 

Nach wie vor ist das uneheliche Kind rechtlich ein Bürger zweiter Klasse, auch wenn seine Unehelichkeit im Alltag längst keine Rolle mehr spielt. Sein Erzeuger wird vom Gesetz primär als Zahlvater betrachtet. Es ist dies juristisch übrigens der einzige Fall, in dem eine Person nur Pflichten und keinerlei Rechte hat - vergleichbar nur der früheren Lage von Wehrpflichtigen, die zwar dienen, aber nicht wählen durften. Wie ein Asylbewerber muss der Vater auf das Wohlwollen der Frau hoffen, sich vor der hohen Anerkennungskommission bewähren, bevor er endlich als vollwertiges Familienmitglied zugelassen wird, ein Vater gnadenhalber oder eben ein hinausgeworfener Vater. Wie sehr die so entwertete Figur den Kindern imponiert, die für den tatsächlichen Status einer Person ganz feine Antennen haben, kann man sich denken. Und indem die Frauenbewegung dieser trüben Realität Beifall zollt, ihr Erziehungsmonopol verteidigt und am Grundsatz der Ungleichheit festhält, stellt sie sich in eine fragwürdige Tradition. Wer die Mutter mythologisiert und den Vater nur als Erzeuger zulässt, tut auch den Kindern keinen Gefallen - weil die sich früher oder später auf die Suche nach dem (so zu unangemessener Größe aufgeblasenen) Abwesenden begeben werden.

 

Ich möchte erzählen, zu welchen Ergebnissen die Außerkraftsetzung des Gleichheitsgebots führt - wenn also Menschen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft unterschiedliche Rechte genießen. Ein Freund von mir, K., Literaturwissenschaftler, lebt in einer norddeutschen Großstadt. Er arbeitet in verschiedenen Jobs beim Fernsehen und ist ständig von Arbeitslosigkeit bedroht. Seine Beziehung zu A. war mir nie besonders geheuer. A. studierte seit zehn Jahren ohne Abschluss; sie schien mir unsicher und chaotisch, obgleich sie ihren Freund ständig dominierte. Nach drei Jahren, als die beiden kurz vor der Trennung stehen, wird A. schwanger. K. ist mäßig begeistert, lässt sich aber einreden, dass das Kind die Beziehung retten werde.

 

Nach der Geburt bekommt A. Depressionen; sie sei nicht mehr begehrenswert, unbrauchbar für den Arbeitsmarkt, sie langweile sich zu Hause und so fort. Ihre Beziehung zu dem Baby sei oberflächlich, sagt K., sie sei ständig nur müde und genervt und könne sich an dem Kind gar nicht freuen. K. reduziert seine Arbeit, betreut das Kind und bemüht sich um A. Durch einen Zufall, das Kind ist ein Jahr alt, bekommt A. einen Ausbildungsplatz bei einer Bank, bei schmalem Gehalt. Sie schlägt vor, das Kind zu ihrer Mutter zu geben, die 700 Kilometer entfernt in X. lebt. K. weigert sich, nimmt einen Kredit auf und bleibt nun ganz zu Hause, während A. in ihrem Job aufblüht und sich kaum noch für die Familie interessiert.

 

Nun folgt ein schon klassisches Rollenspiel, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen: A. beginnt eine Affaire mit einem Kollegen und glaubt auf einmal an die große Liebe. Für das Kind hat sie keine Zeit, dafür hat sie aber das Sorgerecht. K. möchte sich trennen und arbeiten, kann aber das Kind nicht allein lassen. Unter diesen unwürdigen Bedingungen wohnen die beiden ein Jahr lang zusammen. Dann bekommt A. eine feste Stelle bei ihrer Bank und zieht mit dem Kind aus der gemeinsamen Wohnung aus.

 

Halten wir kurz inne, um die (von den Ministern Schmidt-Jortzig und Däubler-Gmelin behauptete) angebliche Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern zu überprüfen. Wären A. und K. verheiratet, so hätte K. gute Chancen, das alleinige Sorgerecht zu erhalten - er ist die Hauptbezugsperson des Kindes. Auf alle Fälle gäbe es eine Instanz, nämlich das Familiengericht, das bei einer Scheidung sich über das sogenannte Kindeswohl Gedanken machen müsste. Eine solche Instanz gibt es für die uneheliche M., die mittlerweile dreijährige Tochter von A. und K., keineswegs. Die Mutter hat das Sorgerecht, basta. Glücklicherweise merkt A., dass sie Zeit für ihre neue Beziehung und zum Arbeiten braucht. Sie lässt sich von K. zu einer Art Vertrag überreden: M. ist die halbe Woche bei A., den Rest der Woche bei K. Das Kind reagiert (nach Angaben von K.) mit Bettnässen, Hyperaktivität und ungewöhnlichen Verhaltensweisen.

 

K. hat nochmal Glück gehabt, sollte man denken: kein Missbrauchsvorwurf der Mutter, der an dieser Stelle gewöhnlich kommt, keine finanziellen Forderungen. Er kann wieder ein bisschen arbeiten, er betreut sein Kind. Für das kleine Mädchen sieht es schon ganz anders aus: es gerät unvermeidlich in das Spannungsfeld zwischen den Eltern, die sich getrennt haben und doch nicht trennen können. Es kann nicht verstehen, dass der Vater den netten neuen Mann der Mutter nicht besonders schätzt. Ob die gemeinsame Betreuung dem Kind nützt, bleibt zweifelhaft. Es kann sein, dass das besser ist als vieles andere, es kann aber auch nicht sein - zumal A. zunächst jeden Kontakt mit K. verweigert und über die Probleme des Kindes nicht sprechen will. Entscheidend ist aber, dass es juristisch gar keine Instanz gibt, die über das Kindeswohl befinden könnte. Für andere Kinder gibt es das Familiengericht, für M. nicht. K. ist noch nicht einmal befugt, mit dem Kind eine psychologische Beratungsstelle aufzusuchen - die medizinische Betreuung obliegt der Mutter, und die will nicht.

 

An dieser Stelle wird normalerweise folgender Einwand erhoben: Gewiss, die Geschichte sei tragisch, aber eben ein bedauerlicher Einzelfall. Gewöhnlich sei der uneheliche Vater nicht an seinem Kind interessiert, er sei unzuverlässig und mache nur Arger. Die einzige vorliegende größere Studie zur Lebenslage unehelicher Kinder, die der Soziologe Laszlo Vaskovics im Auftrag des Bundesjustizministeriums erstellt hat 3, spricht da eine ganz andere Sprache. Zwar bemerkt auch er, dass rund 50 Prozent der unehelichen Kinder (nur 50 Prozent!) bei alleinerziehenden Müttern leben. 4 Bei näherer Analyse wird allerdings klar, dass ein Großteil dieser Mütter den Kontakt des Kindes zum Vater gar nicht wünscht oder sogar aktiv unterbindet. Schon während der Schwangerschaft betrachtet ein Drittel dieser Frauen das Kind nicht als Ausdruck einer Beziehung, sondern als ihr Eigentum, das zum Vater in keinem Konnex steht. Frau will ein Kind (warum eigentlich?), einen Mann sucht sie sich später aus. Zahlen muss der leibliche Vater sowieso. Dramaturgisch ist das geschickt gemacht: Frau grenzt Vater aus - und beklagt sich dann lautstark, dass sie alles allein machen muss. Vielleicht ist das das Hauptergebnis der Emanzipationsbewegung: die Frauen haben virtuos gelernt, sich als Opfer darzustellen - und in den Medien damit zu spielen.

 

Unter diesen Umständen nimmt es wunder, dass (nach den Ergebnissen von Vaskovics) immerhin ein Viertel aller unehelichen Kinder mit beiden Eltern als Familie zusammenleben. Bis zum zwölften Lebensjahr wird etwa ein Drittel dieser Kinder von den Eltern durch Eheschließung »legitimiert«, wie Vaskovics das ausdrückt. Das heißt, die Eltern betrachten ihr Zusammenleben als eine Art Probierstadium, das man bei Gelingen dann auch steuerlich günstiger gestalten kann. Oder eben nicht.

 

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden 1998 in der Bundesrepublik 417000 Ehen geschlossen, 192000 wurden geschieden. Das ergibt die schier unglaubliche Scheidungsquote von 46 (!) Prozent. Es gab fast 2 Millionen sogenannte nichteheliche Lebensgemeinschaften; in 557000 dieser Haushalte sind Kinder. Nach den (normalerweise realistischeren) Hochrechnungen des Deutschen Familiengerichtstags leben sogar 5 Millionen Menschen »unehelich« zusammen. 1998 waren von 785000 Neugeborenen 157000 uneheliche Kinder; zu deutsch: jedes fünfte Baby in der BRD wächst in einer rechtlichen Grauzone auf und muss es Mutti überlassen, ob Papa denn genehm ist.

 

Die Politik steht vor diesem neuen Liebeschaos und glotzt blöd. Die CDU als ordnungspolitische Großmacht hält eisern am »Institut der Ehe« fest und will daneben nichts gelten lassen, sondern arme allein erziehende Frauen fördern. Die Konservativen bilden eine unheilige Allianz mit Grünen und SPD-Frauen, die partout das Monopol der unehelichen Mutter retten wollen. Die Justizministerin bastelt derweil am Entwurf für die Schwulenehe, was eine intime Kenntnis schwuler Lebensgewohnheiten verrät - und nebenbei dem homosexuellen Paar mehr Rechte einräumt als unehelichen Heteros mit Kind, was noch einmal das Gleichheitsgebot verletzt. Was wohl das Bundesverfassungsgericht dazu sagen wird? Die politische Klasse selber wiederum rennt gern, Bundeskanzler Schröder als leuchtendes Beispiel, bis zu viermal aufs Standesamt, um Treue bis zum Tod zu schwören - und hält dieses infantile Gebaren auch noch für modern.

 

Das Volk ist wesentlich kundiger in Liebesdingen: es weiß, dass jeder von uns im Laufe seines Lebens mehrere wichtige, langdauernde Beziehungen hat, dass man probieren muss, dass Liebe immer auch mit Verletzung und oft eben mit Trennung verbunden ist. Deshalb wird immer weniger geheiratet - was nicht heißt, dass diese Leute für ihre Kinder keine Verantwortung übernehmen wollen. Im Gegenteil: uneheliche Väter, das zeigen die Untersuchungen, nehmen sich weitaus mehr Zeit für ihre Sprösslinge als eheliche Väter für die ihren. Nur im Fall einer Trennung sind die unehelichen Kinder wieder benachteiligt: haben die Eltern kein gemeinsames Sorgerecht, bleiben sie automatisch bei der Mutter. Eheliche Kinder dagegen, und in diesem Punkt ist das neue Kindschaftsrecht ein Riesenfortschritt, behalten beide Eltern, denn der Gesetzgeber nimmt das Fortbestehen der gemeinsamen Sorge als Normalfall an. Wer die Alleinsorge will, muss das erst mal begründen.

 

Der Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstags, Siegfried Willutzki, nennt das »Einigungsdruck«. Um des Kindes willen sollen die Eltern sich zusammenraufen und eigene Ressentiments anders abarbeiten. Charakteristischerweise ist die uneheliche Mutter diesem Zwang zum Konsens nicht ausgesetzt - wer das alleinige Recht hat, muss sich nicht einigen. Und es ist leicht zu sehen, dass eine solche Rechtslage schon in einer bestehenden Beziehung die Kompromissfähigkeit schwächt und Trennungsphantasien fördert - oder überhaupt erst in Gang setzt. Wer sicher sein kann, sein Kind zu behalten, trennt sich leichter.

 

Auf absurde Weise hat sich also die Alleinsorge der unehelichen Mutter, die unter ganz anderen moralischen Verhältnissen in den fünfziger Jahren etabliert wurde und dem Schutz der Kinder dienen sollte, in ein Kampfinstrument gegen die Väter verwandelt. Der Gesetzgeber, sowieso nicht mit Phantasie gesegnet, schaut gebannt auf die neue Liebesunordnung der Jahrtausendwende, murmelt die Beschwörungsformeln vergangener Zeiten und ist ziemlich ratlos.

 

Schauen wir einmal nach, wie es inzwischen A. und K. geht und ob M. sich an das Leben in zwei Elternhäusern gewöhnt hat. Leider ist nichts Gutes zu berichten: M. ist zwar im Kindergarten ein originelles Kind, aber sie weint häufig, ist aggressiv und spuckt auf der Straße fremde Leute an. Für ein Mädchen ist Letzteres sehr ungewöhnlich. K. schreibt mir viele Briefe und überlegt, ob er das Kind nicht besser der Mutter überlassen sollte, um den Konflikt zu beenden. A. ist inzwischen von ihrem Liebhaber verlassen worden; sie hat seitdem immer neue Beziehungen, die regelmäßig scheitern und M. stets in Verwirrung stürzen. K. behauptet, seine eigenen Affären von dem Kind fern zu halten.

 

Spinnen wir die Geschichte noch ein bisschen weiter: M. ist zu einem Zeitpunkt geboren, als das neue Kindschaftsrecht noch nicht galt, eine gemeinsame Sorgeerklärung der unehelichen Eltern also nicht möglich war. Nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes »begehrt«, wie es im Juristendeutsch heißt, K. nun das gemeinsame Sorgerecht, um die tatsächliche Betreuungssituation rechtlich abzusichern. A. lehnt ab - es laufe doch auch so alles wunderbar. K. sucht sich einen Anwalt, investiert Zeit und viel Geld und klagt auf gemeinsames Sorgerecht. Was wird passieren?

 

Wir stellen folgende Prognose: Nach einem halben Jahr lehnt das Amtsgericht in Y. den Antrag ab mit der Begründung, ein gemeinsames Sorgerecht gegen den Willen der Mutter sei im Gesetz nicht vorgesehen. Nach einem weiteren Dreivierteljahr kommt der Fall vor das Oberlandesgericht in Z., und hier wird nun verhandelt. A. wird eventuell konzedieren, es gebe in Fragen der Schule, der Religion und der medizinischen Versorgung keine Probleme zwischen den Eltern. Aber sie wird unter Umständen behaupten, K. kritisiere ihren Erziehungsstil und stelle ihre Kompetenz in Frage. Außerdem habe er einmal ihren Freund in Gegenwart des Kindes als Idioten bezeichnet. K. wird dies natürlich bestreiten und auf seine langjährige Erziehungsarbeit verweisen. Das Gericht, so steht zu erwarten, wird der Mutter Recht geben - denn für ein gemeinsames Sorgerecht müsse Einigkeit zwischen den Eltern herrschen. Die Mutter habe aber triftige Gründe genannt, die die Kooperationsfähigkeit der Eltern fraglich erscheinen lassen.

 

So weit, so schlecht für das Kind. Mutter kooperiert zwar täglich, will aber kein Recht gewähren. Die juristische Konstruktion für solche (immer wieder vorkommenden) Urteile ist schlicht genial: Man verlangt von zwei Menschen, die sich getrennt haben, »Einigkeit« und »Kooperationsbereitschaft« - und wer nicht will, hat schon gewonnen. Dass bestimmte Konflikte auch in der Normalfamilie zum Alltag gehören, ist nebensächlich. Gegenüber dem Kind sind die juristischen Salti mortali noch grotesker: die offensichtlich konfliktreiche Situation von M. zwischen zwei Elternhäusern ist nach Ansicht der Gerichte kein Anlass zur Besorgnis: solange das Kind keine psychopathologischen Symptome zeigt oder körperlichen Schaden nimmt, wird man nicht eingreifen. Ein gemeinsam ausgeübtes Sorgerecht der Eltern aber würde das »Kindeswohl« gefährden.

 

Ein von vornherein allen Eltern gewährtes Sorgerecht gefährdete dabei etwas ganz anderes: die Privilegien der Mutter und die seit fünfzig Jahren eingeübten juristischen Vorurteile. Dass man beim Scheitern auch unehelicher Beziehungen eventuell verhandeln müsste, ist nicht genehm. Man scheut den Verwaltungsaufwand.

 

Es ist unübersehbar, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft dieser Jahre weiblich identifiziert ist. Die uneheliche Mutter ist unangreifbar, sie ist die heilige Kuh der deutschen Justiz. Es gibt schlechte Mütter, aber offiziell redet man nicht darüber. Mutter tritt einer Psychosekte bei, die ihr die Trennung vom langjährigen Gefährten nahelegt - und nicht nur die Frau ist weg, sondern auch das Kind. Es ist nämlich nicht verboten, einer Sekte anzugehören. »Eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge« nach § 1666 BGB war nicht festzustellen. Männer bauen Häuser aus und windeln Babys - wenn Mutter plötzlich nach Afrika ziehen will, lebt das Baby ab jetzt eben anderswo, kann ja nicht schaden.

 

Selbst wenn es blutig wird, ist die öffentliche Meinung immer mit den Armen und Beladenen: Väter, die ihre Kinder (und sich selber) umbringen, sind in der Presse immer Bestien, arme Irre, die die Trennung nicht verkraftet haben. Frauen, die zwar nicht sich selbst, aber ihre Kinder killen und in Kühltruhen einfrieren, sind dagegen überlastete, verzweifelte Mütter, die sich nicht anders zu helfen wussten. 5 Der verständnisvolle Rummel um die präsumptive Kindsmörderin Monika Böttcher (geschiedene Weimar) spricht für sich.

 

Was macht es den Frauen so schwer, das Bedürfnis der Kinder nach einer triangulären Struktur zu erfüllen? Während die Väter kaum Lust zeigen, als genervte Alleinerzieher durch die Welt zu laufen, und sich stattdessen lieber die Mühsal des Familienalltags antun, wollen die Frauen das immer weniger: sie wollen arbeiten und - quasi gratis - in der Familie das Erziehungsmonopol behalten. Gleichzeitig wird beides kaum gehen, aber versuchen kann »frau« es ja mal.

 

Es wird also langfristigen Ärger geben - und die Mütter haben ihre Bataillone schon in Stellung gebracht: im Kindschaftsrecht heißt der neue Kampfplatz »Anwalt des Kindes«. Kinder sollen in Umgangs- und sorgerechtlichen Gerichtsverfahren nämlich einen Beistand erhalten, der ihre »wahren« Wünsche auslotet, also: ob sie zu Mama oder zu Papa wollen oder doch zu beiden. 6 Die Anforderungen für diesen Beruf, der eigentlich nur von erfahrenen psychiatrischen Klinikern ausgeübt werden kann, sind noch nicht genau definiert. Welche Chance! Jetzt schon ist sichtbar, dass lauter engagierte Sozialpädagoginnen sich um die lieben Kleinen bemühen werden. Der Frankfurter Mütterlobbyist Ludwig Salgo, im Hauptberuf Jura-Professor, stimmt sie auf den Tagungen der Evangelischen Akademie in Bad Boll schon freundlich ein. Dort referiert dann auch die neue Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt, auf dem SPD-Frauen-Ticket nach Karlsruhe gekommen und Salgo seit Studientagen herzlich verbunden.

 

Fast weiß man also schon, was für Urteile demnächst aus Karlsruhe zu hören sein werden- vor allem, wenn das neue Kindschaftsrecht auf dem Prüfstand steht. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin zeigt nämlich keinerlei Lust, das Gesetz zu ändern; Parteifreundin Hohmann-Dennhardt wird sich dran halten. Warum sollten Frauen dümmer sein als das System Kohl?

 

Anmerkungen

 

1. »Informationen des Bundesministeriums der Justiz« vom 25. September und vom 17. Oktober 1997.

2. Wir machen uns keine Illusionen über den Charakter bürgerlicher Verfassungen, zitieren aber dennoch die entsprechenden Grundgesetzartikel:

GG Artikel 6 Abs. 5: »Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.«

GG Artikel 6 Abs. 1: »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung« - wobei Ehe und Familie nach dieser sorgfältigen Formulierung zwei unterschiedliche Dinge sind und Familie auch als nicht-eheliche Familie denkbar ist.

GG Artikel 6 Abs. 2: »Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern« - notabene: der Eltern, nicht der Mutter! - »und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.« Warum sollte der uneheliche Vater, der sein Kind anerkennt, also dieses »natürliche Recht« nicht haben?

GG Artikel 3 Abs. 1: »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.«

GG Artikel 3 Abs. 2: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt« - wobei an dieser Stelle darauf hinzuweisen ist, dass Frauen de facto in dieser Gesellschaft Nachteile erleiden, was durch Sozialpolitik zu bekämpfen wäre, dass sie aber de iure absolut gleichberechtigt sind, also dieselben Ausbildungschancen und politischen Rechte haben wie jeder Mann. Nur der uneheliche Vater hat keinerlei Rechte, weder de iure noch de facto. Er und sein uneheliches Kind sind die einzigen Rechtsfiguren, denen die Grundrechte vorenthalten werden. GG Artikel 3 Abs. 3: »Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden« (Hervorh. v. mir).

3. L. A. Vaskovics, H. Rost, M. Rupp, »Lebenslage nichtehelicher Kinder. Rechtstatsächliche Untersuchung zu Lebenslagen und Entwicklungsverläufen nichtehelicher Kinder«. Im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, Köln 1997.

4. Nach einer anderen, von Vaskovics zitierten Untersuchung aus dem Jahr 1993 (Statistisches Jahrbuch) lebten damals in den alten Bundesländern 355000 Kinder bei ledigen Frauen, aber immerhin 54000 bei ledigen Männern. Auch das gibt es also.

5. Ein schönes Beispiel für diese Art von identifikatorischem Journalismus bietet das Zeit-Dossier von Merle Hilbk, »Wenn Mütter morden«, Die Zeit vom 4. November 1999.

6. Auch hier haben die unehelichen Kinder krasse Nachteile: Trennen sich Eheleute, so ist das Gericht gehalten, einen Interessenvertreter des Kindes zu bestellen. Trennen sich Unverheiratete ohne gemeinsames Sorgerecht, so ist ein solcher »Anwalt des Kindes« nicht vorgesehen. Offenbar haben uneheliche Kinder keine Interessen, die vertreten werden müssten. Ein sorgerechtliches Verfahren findet gar nicht erst statt.

 

 

 

 

 


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